Donnerstag, 2. Oktober 2008

Ist die "Weltwoche" unter zionistischem Druck?

Iran
Adolf Achmadinedschad

Von Matthias Küntzel

Mahmud Ahmadinejad hat sich einmal mehr als dreister Antisemit profiliert. Neu ist, dass Irans Präsident damit vor der Uno-Vollversammlung reüssiert und Beifall erhält.

Letzte Woche erlebte New York eine besondere Premiere: Erstmals wurde die Rednertribüne der Uno-Vollversammlung für antisemitische Agitation genutzt. Ausgerechnet vor jener Organisation, die im Widerstand gegen die Nazis und als die Quintessenz der Lehren aus den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs gegründet worden war, konnte am 23. September 2008 die Paranoia eines Adolf Hitler fröhliche Urständ feiern.

Absonderlich genug, dass Achmadinedschad seine Uno-Auftritte zu Predigten umfunktioniert, in denen die Wiederkunft des schiitischen Messias herbeigesehnt wird fünf Stossgebete für den zwölften Imam waren es in diesem Jahr. Zusätzlich liess er seine Rede von den «Protokollen der Weisen von Zion» inspirieren.

Auf der einen Seite, belehrte er die Delegierten aus aller Welt, stünden «die Würde, die Integrität und die Rechte der amerikanischen und europäischen Völker» und auf der anderen Seite deren ewiger Feind: «die kleine, aber hinterlistige Zahl von Leuten namens Zionisten».

Obwohl sie nur eine unbedeutende Minderheit seien, «beherrschen sie in einer tückischen, komplexen und verstohlenen Art und Weise einen wichtigen Teil der finanziellen Zentren sowie der politischen Entscheidungszentren einiger europäischer Länder und der USA». Zionistische Juden seien weltweit derart einflussreich, dass selbst «einige Präsidentschafts- oder Ministerpräsidentschaftskandidaten gezwungen seien, diese Leute zu besuchen, an ihren Zusammenkünften teilzunehmen und ihnen Treue zu schwören, um finanzielle und mediale Unterstützung zu erhalten».

Doch auch «die grossen Völker Amerikas und verschiedene Nationen in Europa» seien im jüdischen Griff: Sie «müssen einer kleinen Zahl habgieriger und aggressiver Leute gehorchen. Obwohl sie es nicht wollen, überlassen diese Nationen ihre Würde und ihre Ressourcen den Verbrechen des zionistischen Netzwerks.»

Befreiung ist in Sicht: Unaufhaltsam «schlittert das zionistische Regime in den Zusammenbruch». Es habe nicht die geringste Chance, «aus der von ihm selbst gegrabenen Jauchegrube wieder herauszukommen».

«Befreiungswerk» der Nazis

Natürlich ist der Antisemitismus, den Achmadinedschad in New York predigte, nicht neu. Schon im Dezember 2006 hatte er vor der internationalen Konferenz der Holocaust-Leugner in Teheran die Auslöschung Israels als den wichtigsten Schritt zur «Befreiung für die Menschheit» propagiert und damit ebenjenem «Erlösungsantisemitismus» (Saul Friedländer) das Wort gesprochen, der schon dem «Befreiungswerk» der Nazis zugrunde lag.

Neu ist, dass Irans Präsident damit vor der UN-Vollversammlung reüssiert - und damit nicht nur durchkommt, sondern grossen Beifall erhält und vom nicaraguanischen Präsidenten der Versammlung, Miguel d’Escoto Brockmann, demonstrativ umarmt wird. Mehr noch: Im Anschluss an seine Rede blieb Achmadinedschad nicht nur für Larry King, den Talk-Meister von CNN, sondern selbst für die New York Times ein willkommener Gast. Warum nimmt die Weltöffentlichkeit die Provokation von New York als solche nicht einmal wahr? Ist 63 Jahre nach Auschwitz der Antisemitismus Bestandteil diskursiver Normalität?

Vielleicht liegt es an einem rhetorischen Trick. Achmadinedschad hat nicht von «Juden», er hat von «Zionisten» gesprochen, um seinem Antisemitismus einen ehrbaren Anstrich zu verleihen. Prompt feierte ihn die Vollversammlung der Vereinten Nationen als antiimperialistischen Star. Dass der iranische Präsident dem Wort «Zionist» exakt dieselbe Bedeutung beimisst, die Hitler der Vokabel «Jude» gab, dass er sich auch damit in die direkte Nachfolge von Revolutionsführer Chomeini stellt, dies scheinen viele zu übersehen.

Vor der Revolution von 1979 auferlegte Chomeini seiner Wortwahl keine Zwänge: «Die Juden wollen die Welt beherrschen», schrieb er 1970, «und ich fürchte, dass sie dieses Ziel, da sie so hinterlistig und so vermögend sind, eines Tages auch erreichen werden.» «Die Juden», rief er 1977 seinen Anhängern zu, «haben sich mit beiden Händen die Welt genommen und verschlingen sie mit unersättlichem Appetit.» 1979 liess er als Staatsführer das Wort «Jude» durch «Zionist» ersetzen, doch sein Antisemitismus blieb gleich. Massenhaft verbreitete das Regime die «Protokolle der Weisen von Zion» in alle Welt. Auf der Frankfurter Buchmesse 2005 stellten iranische Buchhändler die englische Ausgabe dieser Hetzschrift aus.

Heute wird in Teheran der Antisemitismus der Nazis mit dem Furor des Religionskriegs vereint. «Man muss die Juden bekämpfen und sie besiegen», empfahl 2005 der einflussreiche Ajatollah Nouri-Hamedani, «um so die Voraussetzungen für die Ankunft des verborgenen Imam zu erfüllen.» Es ist nicht die Technik, die das iranische Atomprogramm so gefährlich macht, sondern die antisemitische und religiöse Mission, die das Regime damit verfolgt.

«Teheran geht schwanger mit Tragödien», hat Schimon Peres am Folgetag vor der UN-Vollversammlung erklärt. «Die Vollversammlung und der Weltsicherheitsrat tragen die Verantwortung, Qualen zu verhindern, bevor sie sich ereignen.» Nicht nur die Vollversammlung und der Uno-Sicherheitsrat - auch wir.

Matthias Küntzel ist Politikwissenschaftler in Hamburg und Vorstandsmitglied der Internationalen Vereinigung «Scholars for Peace in the Middle East». Letzte Veröffentlichung: Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik. LIT-Verlag, 2007.

Quelle: www.weltwoche.ch

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