Interview mit Nationalrat Toni Brunner über die angedrohte Aufhebung der Immunität
«Die Rechtsstaatlichkeit wurde ausgehebelt»
Die Rechtskommission des Nationalrats hat entschieden, dass die Immunität von Nationalrat Toni Brunner aufgehoben werden soll. Das Parlamentsgesetz macht klar, dass einem Parlamentarier nur die Immunität aufgehoben werden kann, wenn gegen ihn eine Beschuldigung vorliegt. Der Parteipräsident der SVP ist jedoch vom zuständigen Staatsanwalt gar nie als Beschuldigter bezeichnet worden, wie er im Gespräch mit der «Schweizerzeit» erklärt.
Herr Nationalrat Brunner, in welchem Zusammenhang steht die Forderung nach Aufhebung Ihrer parlamentarischen Immunität?
Von der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats wurde eine Subkommission eingesetzt, die das Funktionieren der Strafverfolgungsbehörden untersuchen musste. Im Zug dieser Berichte der GPK, in denen Abklärungen im Justizdepartement (EJPD), beim Bundesstrafgericht etc. gemacht wurden, kam es zu einer Eigendynamik. Lucrezia Meier-Schatz – damals Präsidentin der Subkommission – inszenierte zu den Umständen des Rücktritts von Bundesanwalt Valentin Roschacher eine eigentliche Abrechnung mit Justizminister Christoph Blocher. Plötzlich stand er im Fokus.
Statt pflichtgemäss das Funktionieren der Strafverfolgungsbehörden des Bundes in der Amtszeit von Bundesanwalt Roschacher zu untersuchen, wurde von Anfang an Bundesrat Blocher ins Fadenkreuz genommen. An der Pressekonferenz der Subkommission vom 5. September 2007 konstruierte die Präsidentin aus den Kritzeleien und der Telefonliste eines angeschuldigten Bankiers aufgrund ungeprüfter Aussagen der Staatsanwaltschaft ein weit verzweigtes Komplott unter Beteiligung des Justizministers, welches angeblich das Ziel verfolgt habe, den früheren Bundesanwalt Valentin Roschacher loszuwerden.
Bundesrat Blocher im Fadenkreuz
Der ursprüngliche Auftrag mit der Subkommission hatte damit nichts zu tun. Die Kompetenzen wurden eigenmächtig ausgeweitet. Man hat sich in ein Geschäft verbissen, das gar nicht zur Debatte stand.
Auf Grund von Untersuchungsberichten von Dritten bekamen wir Kommissionsmitglieder allerdings keine Antworten auf wichtige Fragen, beispielsweise auf die Rolle des kolumbianischen Drogenbarons und Informanten der Bundesanwaltschaft, Ramos. Wir versuchten hartnäckig Licht ins Dunkel zu bringen.
Das Ganze gipfelte in einem eigentlichen Komplott gegen den Justizminister. Diffuse Vorwürfe und Gerüchte wurden im Zusammenhang mit Roschachers Rücktritt in die Welt gesetzt.
Weshalb wird ihnen jetzt Amtsgeheimnisverletzung vorgeworfen?
Zu einem bestimmten Zeitpunkt erhielt ich als Mitglied der Subkommission den Vorbericht der Endfassung des GPK-Berichts. Ich erachtete es als meine Pflicht, dazu gewisse Abklärungen persönlich zu treffen, um den Wahrheitsgehalt von Anschuldigungen in diesem Bericht abzuklären. Ich habe dies dann getan beim damaligen Generalsekretär des EJPD. Das ist eine Person, die unter dem Amtsgeheimnis steht und den gleichen Bericht wenig später sowieso erhalten hat, weil er dazu Stellung nehmen musste. Vor dem Hintergrund, dass man als GPK-Mitglied einen geplanten Bericht persönlich nach bestem Wissen und Gewissen beurteilen sollte, war es für mich klar, dass ich mit solchen Abklärungen nichts Unrechtes unternommen habe.
Im Zuge zahlreicher Indiskretionen hat die GPK des Nationalrats letztes Jahr wegen Amtsgeheimnisverletzung Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht. Daraufhin setzte der Bundesrat Pierre Cornu als ausserordentlichen Bundes-Staatsanwalt ein.
Auskunftsperson – nicht Beschuldigter
Dieser hat mich als Auskunftsperson vorgeladen. Er hat das Ermittlungsverfahren schliesslich ohne Antragstellung an den Nationalratspräsidenten zurückgeleitet. Aus heiterem Himmel wurde daraufhin von der Rechtskommission ein Antrag auf Immunitätsaufhebung gegen mich gestellt.
Weshalb wehren Sie sich gegen die Aufhebung?
Die Rechtskommission hat den Antrag auf Aufhebung der Immunität ohne jegliche Rechtsgrundlage gestellt. Art. 17 des Parlamentsgesetzes macht klar, dass die Immunität eines Parlamentariers nur aufgehoben werden kann, wenn gegen ihn eine Beschuldigung vorliegt. Ich wurde jedoch vom zuständigen Staatsanwalt nie als Beschuldigter bezeichnet. Ich habe vor der Rechtskommission mit aller Deutlichkeit auf diesen Verfahrensmangel hingewiesen. In krasser Verletzung dieser rechtsstaatlichen Grundsätze hat die Rechtskommission mit praktisch allen Stimmen gegen diejenigen der SVP-Kommissionsmitglieder beantragt, meine Immunität aufzuheben.
Wird denn die Rechtsstattlichkeit des Verfahrens von der Rechtskommission nicht untersucht?
Diese Art von politischer Instrumentalisierung ist wohl einzigartig in der Schweizer Parlamentsgeschichte. Die Rechtskommission hat es bewusst unterlassen, die rechtlichen Voraussetzungen für ein solches Verfahren zu überprüfen und sich sozusagen selbst zum Staatsanwalt gemacht, als er, ohne Antragstellung, seinen Bericht ablieferte.
Ständige Indiskretionen
Man will also gegen Toni Brunner ein Verfahren eröffnen, während jene, die tatsächlich Indiskretionen begangen haben, offenbar nicht belangt werden. Wie gestaltete sich denn die Arbeit in dieser GPK- Subkommission?
Die Kommissionsarbeit dauerte über ein Jahr. Meine Interventionen waren meist grundsätzlicher Natur. Ich habe in meiner bald dreizehnjährigen Tätigkeit als eidgenössischer Parlamentarier noch nie so etwas erlebt. Es gingen ständig Indiskretionen aus der Subkommission an die Presse. Diese wurden nie untersucht. Erst als die «Weltwoche» Protokollauszüge abdruckte, wurde eine Strafanzeige eingereicht.
Eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur klaren Aufbearbeitung dieser Affäre wurde in der Herbstsession 2008 abgelehnt.
Ja! Eine generelle Untersuchung der Affäre wurde mit sämtlichen Stimmen gegen die Stimmen der SVP abgelehnt. Das Funktionieren der Behörden bei diesen rechtsstaatlich fragwürdigen Ereignissen müsste unbedingt abgeklärt werden. Eine PUK wäre die Voraussetzung gewesen, um einen Schlussstrich unter dieses Thema ziehen zu können.
Eine Konsequenz daraus, dass der Wille für die parlamentarische Aufarbeitung der ganzen Affäre offensichtlich nicht vorhanden ist, ist letztlich auch die Strafklage, die Christoph Blocher und Christoph Mörgeli gegen diverse Parlamentarier kürzlich eingereicht haben.
Wieso beantragt die Kommission in Ihrem Fall die Aufhebung der Immunität, im Fall Mörgeli/Couchepin im Zusammenhang mit dem Mengele-Vergleich von Bundesrat Couchepin, den Nationalrat Mörgeli in die Öffentlichkeit brachte, jedoch nicht die Aufhebung der Immunität Christoph Mörgelis?
Das ist vollkommen klar: Im Fall Couchepin geht es um den Inhalt. Es hat niemand das Interesse daran, an Couchepins unsägliche Aussagen weiter zu erinnern, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, weil Couchepins Opfer ja «bloss» ein SVPler ist. Es kann aber doch nicht sein, dass das Amtsgeheimnis dazu dient, Ungereimtheiten zuzudecken. Offenbar will man die Aufgebung der Immunität nur zulassen, wenn es einer Mehrheit als politisch opportun erscheint. Seit die SVP in der Opposition ist, stehen wir noch stärker im Fadenkreuz aller anderen Parteien.
Der Wille, über die Geschichte Couchepin/Mörgeli zu reden, fehlt offensichtlich. In meinem Fall aber fokussiert man sich darauf, was «der böse Brunner» gemacht haben soll. Wenn die Rechtsstaatlichkeit eingehalten werden soll, dann müssen wir uns immer auch an das bestehende, an das geltende Recht halten. Die Immunitäts-Aufhebung darf nicht zum Spielball politischer Manöver werden. Ausgerechnet die Rechtskommission foutiert sich offensichtlich um diesen Grundsatz.
Waren bei den Bundesratswahlen vom 12. Dezember 2007 noch die Nachwirkungen aus den GPK-Auseinandersetzungen zu spüren?
Absolut. Der Putschversuch gegen Christoph Blocher konnte nur rechtzeitig aufgedeckt werden durch die Präsentation und Erklärung der entscheidenden Dokumente durch Nationalrat Christoph Mörgeli. Man wollte Christoph Blocher noch während seiner Amtszeit stürzen. Das politische Fundament der Schweiz wurde erschüttert durch Vorgänge, die man bisher nur aus Bananenrepubliken kannte. Schon während seiner Amtszeit wurde Christoph Blocher immer wieder mit Rücktrittsforderungen konfrontiert – wegen Bagatellen, wie zum Beispiel der Albisgüetlirede. Heute erleben wir die Auswirkungen all dieser Ereignisse. Es ist klar, dass man darum attackiert, weil ich zur Zeit Parteipräsident bin.
In Bundesbern geschehen ständig Indiskretionen. Auch in Ihrem Fall.
Es erstaunt mich schon, wenn ich mit meinen Auskünften an den untersuchenden Bundesanwalt in der Presse zitiert werde. Aus den Bundesratssitzungen geht vieles raus, was im Nachgang zu rekonstruieren ist. So war die entscheidende Sitzung des Bundesrates zum Fall Schmid/Nef offenbar eine kürzere Angelegenheit. Auch aus dem Umfeld Couchepins gab es Indiskretionen. Das EJPD verfasst einen Mitbericht zur «Botschaft über die Finanzhilfe 2005-2009 an Schweiz Tourismus». Dieser Mitbericht wurde mittels einer Indiskretion von einem persönlichen Mitarbeiter Pascal Couchepins der Walliser FDP zugespielt. Der Mitarbeiter musste darauf seine Stelle räumen.
Es ist erstaunlich, wie man in Bern sehr gezielt mit Indiskretionen arbeitet. Man muss sich schon fragen, wie in Zukunft mit der Vertraulichkeit von Kommissionssitzungen und mit dem Amtsgeheimnis generell umgegangen werden soll. Sollen Kommissionssitzungen nicht eher öffentlich stattfinden? Sollen Protokolle den Stempel «vertraulich» nicht mehr erhalten? Man muss sich diese Fragen ernsthaft stellen. Was würde ändern, wenn die Kommissionssitzungen öffentlich würden? Negativ zu verbuchen wäre, dass allenfalls Profilierungs-Wünsche bei einzelnen Politikern die Redebedürfnisse noch zusätzlich erhöhen könnten.
Hat denn nicht auch die Präsidentin der Subkommission, Frau Meier-Schatz, Indiskretionen begangen?
Man hat sich an der Pressekonferenz am 5. September 2007 wilden Spekulationen hingegeben und so den Justizminister bewusst in die Bredouille gebracht.
Herr Nationalrat Brunner, falls es in Ihrem Fall zur Aufgehung der Immunität kommt, wie werden Sie reagieren?
Ich mache mir keine Illusionen. Die Rechtskommission des Nationalrats hat gegen die Stimmen der SVP dem Begehren um Aufhebung der Immunität zugestimmt. Ich gehe davon aus, dass es im Rat wohl ähnlich sein wird. Später geht das Begehren an den Ständerat. Wenn beide Räte die Immunität aufheben wollen, müsste der ausserordentliche Staatsanwalt entscheiden, ob er eine Untersuchung einleiten will.
Wenn es zu einem Verfahren kommt, so sehe ich diesem jedoch gelassen entgegen. Ich wurde vom Staatsanwalt nie als Beschuldigter bezeichnet, und es wurde ja nie eine Voruntersuchung gegen mich eröffnet – dies wären gemäss Parlamentsgesetz die Voraussetzungen für die Immunitätsaufhebung. Ich bin nur meiner Pflicht als Parlamentarier nachgekommen und wollte abklären, ob die Inhalte der mir vorgelegten Entwürfe stimmten.
Das Ganze ist aber wohl letztlich wahrscheinlich auch ein Teil meines Jobs – als Privatmann stand ich noch nie vor dem Richter Als Parteipräsident und Wahlkampfleiter war ich schon mehrmals konfrontiert mit Klagen. Das gehört offenbar dazu.
Herr Nationalrat, besten Dank für das Interview.
Interview: Reinhard Wegelin
BLICK-Interview: Wie grenzt man politische Gegner mittels perfider Fragetechniken aus!
BLICK: Wüste Herbststürme prasseln auf Sie ein. Droht Ihnen bald die Kapitänsmütze wegzufliegen?
Toni Brunner: In der Politik stürmts immer. Dieser Wind haut mich nicht um.
Der Entscheid von gestern war fast schon ein Orkan.
Ein Orkan zerstört, wir hatten eine konstruktive Diskussion. Manchmal gibts zwar Gegenwind, aber damit muss man leben.
Immerhin hat die Mehrheit Ihrer Fraktion Ihre Strategie, Blocher wieder in den Bundesrat zu bringen, weggepustet.
Sicher nicht. Es ging nur um die Frage, ob wir jetzt schon einen Namen für eine eventuelle Vakanz nennen sollen.
Es ging aber nicht um irgendeinen Namen, sondern um Christoph Blocher.
Ziehen Sie keine falschen Schlüsse: Die überwiegende Mehrheit bei uns ist überzeugt, dass er der beste Mann wäre, um Ordnung ins VBS zu bringen.
Mag sein. Aber die Mehrheit geht auch davon aus, dass er keine Wahlchancen hat. Hand aufs Herz: Wollen Sie überhaupt zurück in die Regierung?
Ja. Aber wir lassen uns vom politischen Gegner keine Bedingungen diktieren.
Andere Parteien müssen auch Kandidaten bringen, die eine Mehrheit finden können. Schliesslich wählt das Parlament den Bundesrat.
Ich schliesse nicht aus, dass Blocher eine Mehrheit bekäme. Denken Sie daran, welchen wirtschaftlich schweren Zeiten wir entgegengehen. Sie können von mir nicht erwarten, dass ich den Mann, der am besten dem Land dienen könnte, aus opportunistischen Gründen abseits lasse.
Die SVP hat doch nicht lauter Halbschuhe im Parlament, sondern viele gestandene Leute mit Erfahrung.
Natürlich! Wir haben viele, die das könnten.
Und auch einige, die es wollen?
Noch viel mehr. Das ist aber kein Problem.
Heute schon der nächste Sturm: Der Nationalrat will wegen Amtsgeheimnisverletzung Ihre Immunität aufheben.
Glauben Sie wirklich, dass das Parlament gleich gestimmt hätte, wenn ich nicht SVP-Präsident wäre? Ich staune, dass nach meiner Anhörung durch die Rechtskommission dazu geheime Dokumente in den Medien auftauchten. Aber das interessiert offensichtlich keinen.
Haben Sie in den letzten Tagen nie daran gedacht, jetzt die Freundin zu heiraten, eine Familie zu gründen und sich um den Hof daheim zu kümmern?
Das wäre der Weg des geringsten Widerstands. Das ist nicht meine Art. Alles der Reihe nach!
Mittwoch, 1. Oktober 2008
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