Donnerstag, 9. Oktober 2008

Wie weiter in der Finanzkrise?

Ursache analysieren, Auswege suchen
von Francis Gut und Dr. Vera Ziroff Gut

Für eine breitere Öffentlichkeit hat die derzeitige Finanzkrise zwei Gesichter: den Einbruch der Immobilienpreise in den Vereinigten Staaten und seine Folgen einerseits, den internationalen Börsenkrach andererseits. Auch wenn diese Ereignisse scheinbar Anfang und Ende einer Kette darstellen, sind damit das Ausmass der Krise und deren Ursachen noch nicht erklärt. Nun könnte man sagen: Zyklen am amerikanischen Immobilienmarkt und Krach an der Aktienbörse haben keinen Seltenheitswert. Die Rahmenbedingungen dieser Ereignisse müssen aber erörtert werden, um ihre Tragweite beurteilen und die richtigen Korrekturen vornehmen zu können. Um die Debatte zu erweitern, wird ein lesenswerter Artikel von Michel Chossudovsky1 beigezogen.

Seit Beginn der Globalisierung und mit fortschreitender Konzentration des Kapitals spielen die Hedge Fonds, die keiner Regulierung ausgesetzt sind, eine wichtige Rolle. Sie übernehmen Firmen, gleichgültig ob sich diese Firmen in Schwierigkeiten befinden oder gut geführt sind, und haben keine Angst vor einer Hebelwirkung (tiefes Verhältnis Eigenmittel/Gesamtbilanz; zum Beispiel wird mit relativ wenig Kapital ein gut geführtes Unternehmen übernommen, seine besten Teile werden abgetrennt und mit sattem Gewinn verkauft).

Leerverkäufe und Derivate-Politik
In ihrer Anlagepolitik wetten die Hedge Fonds sowohl auf Gewinne wie auf Verluste der Zielgesellschaften, so dass sie mit Leerverkäufen sehr vertraut sind (Verkauf von Werten wie Aktien auf Termin, obwohl der Verkäufer beim Abschluss des Vertrags die Aktien nicht besitzt; zum Beispiel Abschluss eines Terminverkaufs per Ende Juni 2009 auf CHF 100.- mit der Hoffnung, dass der Kurs inzwischen auf CHF 80.- sinkt; wenn die Wette klappt, kauft man die Aktien damit billiger, als sie Ende Juni 2009 verkauft werden). Durch die geschickte Kombination von Gerüchten und Leerverkäufen kann der Börsenwert einer Grossbank so gesenkt werden, dass sie billig übernommen werden kann. Mehrere der grossen Investmentbanken, die kürzlich in Schwierigkeiten geraten sind, waren Opfer von Leerverkäufen. So erfuhr die Wertpapieraufsicht SEC, dass zum Beispiel der Kollaps von Bear Sterns im März einer Kombination von Leerverkäufen und falschen Gerüchten zuzuschreiben war. Laut «Financial Times» vom 17. September schrieb auch John Mack, CEO von Morgan Stanley, in einem an einige seiner Angestellten geschickten Memo: «Was ist los hier? Für mich ist es ganz klar – wir sind in einem von Angst und Gerücht beherrschten Markt, wo Leute, die Titel leer verkaufen, den Kurs unserer Aktie belasten.»

Kriegskosten
Eine weitere Ursache der Krise bilden natürlich die Kriegsausgaben. Sie betragen USD 500 Mia. pro Jahr, Kosten der ersten Monate der zukünftigen Administration in Höhe von USD 70 Mia. nicht inbegriffen. Es ist weltweit der höchste Kriegsaufwand seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Ausgaben werden aus Steuergeldern finanziert und gehen selbstverständlich zu Lasten der Ausgaben für die zivile Bevölkerung, zu Lasten der Sozial- und Bildungsausgaben.

Dollarwillkür
Die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) tragen zur Krise bei, indem sie die Entwicklungsländer – deren Wirtschaft gegen den Wettbewerb mit dem Ausland geschützt werden sollte – zwingen, ihre Märkte zu öffnen.
Noch wichtiger war die Verwandlung des internationalen Gold/Dollar-Systems in ein System flexibler Wechselkurse, die 1971 erfolgte. Damals lehnten plötzlich die Vereinigten Staaten ab, die Dollars, die dem Federal Reserve System eingereicht wurden, gegen Gold einzutauschen. Das daraus folgende System flexibler Wechselkurse, das nur auf dem Dollar beruht, das heisst auf einer Währung, deren Wert nur durch die Streitkräfte dieses Landes erzwungen wird, bedeutet reine Willkür. In diesem System kann der Betrag der Geldmenge eines Landes beliebig hoch werden, bis eine Hyperinflation an die Wirklichkeit erinnert.

Deregulierung: die Entmachtung des Staates zugunsten der Finanzkonzerne
Diese Veränderung stellt eine Deregulierung des internationalen Währungsmarktes dar, die uns zur Hauptursache der Krise führt: der allgemeinen Deregulierung der Märkte. Wenn diese nach dem Zweiten Weltkrieg unter der ideologischen Leitung der OECD und dank dem GATT-Abkommen in der Realwirtschaft anfing, so wurde diese Bewegung in der Finanzwirtschaft unter Reagan durch den Börsenkrach von 1987 beschleunigt. Damals bat die Wall Street das Finanzministerium und den Kongress, sich freundlicherweise abseits zu halten, das heisst, Finanzministerium und Kongress wurden entmachtet. Die Zeit der «Selbstregulierung» war gekommen: Die Vorschriften des Gesetzgebers wurden durch eigene, von Natur aus schwächere Regelungen ersetzt. Dies förderte die Entstehung grosser Finanzkonzerne.

Unkontrollierte Bankriesen
Zur Wirtschaftskonzentration trug auch die Abschaffung der Trennung zwischen Bankentypen bei. Nach der grossen Wirtschaftskrise von 1929 hatte Franklin D. Roosevelt durch den Kongress das Glass-Steagall-Gesetz bewilligen lassen, das Investment Banking (Wertschriften- und Währungsgeschäft sowie weitere Kapitalanlagen für institutionelle Kunden – Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen usw.) vom Retail Banking (weitere Geschäfte, insbesondere Kreditgeschäfte) trennte. Damit wollte man Finanzmanipulationen und Insidergeschäfte verhindern, mit denen sich Bankiers auch auf Kosten ihrer Kunden sanierten. In den letzten Jahrzehnten haben die Banken diese Gesetzgebung mit dem Segen der US-Regierung mehr und mehr ignoriert. Schliesslich wurde sie 1999 durch das Financial Services Modernisation-Gesetz abgeschafft. Darüber hinaus wurden unter der Leitung der Wall Street internationale Bündnisse abgeschlossen, die zur Bildung weiterer Bankenkonzerne führten.
Die Wall-Street-Riesen wurden so mächtig, dass sie jede Kontrolle weitgehend verhindern konnten und nur ihrer eigenen Regulierung folgten. Im Ausland profitierten sie von ähnlichen Gesetzgebungen. Die WTO- und IWF-Abkommen öffneten ihnen die Türen zu den Entwicklungsländern.

Insider-Informationsmanipulationen: ein Milliardengeschäft für wenige
Chossudovsky sieht die Macht der Wall-Street-Riesen vor allem in ihrer frühzeitigen Information, ihrer Insider-Information, ihrer Fähigkeit zu manipulieren und Ergebnisse vorauszusehen, ihrer Fähigkeit, falsche Informationen zur Wirtschaft und zu Markttendenzen zu verbreiten, kurz, in ihrer Fähigkeit irrezuführen. Kein Wunder, dass die CIA dabei eine grosse Rolle spielt.
Das «Notgesetz zur Wirtschaftsstabilisierung», der sogenannte Auffangfonds, den die Bush-Regierung zur Lösung der Krise jetzt verabschiedet hat, ist dabei nur eine Verlängerung des gleichen schmutzigen Spiels: Man bittet die übriggebliebenen Finanzgesellschaften (Grossbanken, Versicherungsgesellschaften usw.), sich noch einmal zu bedienen. Die Gewinner der Krise sind die Bank of America, JP Morgan Chase (Rockefeller), die Federal Reserve Bank of New York, diese nicht zuletzt dank ihrer Insider-Information, sowie alle Spekulanten, die von Insider-Informationen, insbesondere am Schwarzen Montag (29. September, Kurseinbruch) und am folgenden Tag (Kurserholung), profitierten. Einige Analysten-Stimmen behaupten, die Gewinner haben die Krise bewusst ausgelöst, um noch mehr zu verdienen, noch mehr Macht zu konzentrieren. Andere sagen sogar, die Bush-Regierung will damit den politischen Feind (Russland und China, die umfangreiche amerikanische Staatsobligationen besitzen) schwächen.

Chancen für einen echten neuen Anfang
Auch die Verlierer kennen wir: die Angestellten der bankrotten Banken und Versicherungsgesellschaften, deren Kader sich nicht selten goldene Fallschirme versprechen liessen, die Hauseigentümer, deren Häuser von den Gläubigerbanken übernommen wurden und die jetzt in Wohnwagen und Zelten vor den Städten leben, die Arbeitnehmer, die auf Grund der Krise entlassen wurden und zum Teil bereits heute am Hinterausgang der Supermärkte nach Essbarem suchen, und die Steuerzahler, die durch die kommende Rezession noch mehr belastet werden.
Auch wenn einzelne europäische und amerikanische Politiker heute nach mehr Regulierung auf den Finanzmärkten rufen, ja sogar nach einer Abkehr von Deregulierung und Wirtschaftskonzentration, so bleibt es in einem ersten Schritt Aufgabe des Bürgers, dies mit Nachdruck zu verlangen. Darüber hinaus muss in Europa jeder Versuchsballon, einen 300-Milliarden-Euro-Auffangfonds «à l’américaine» zu kreieren, wie ihn Frankreichs Bush-Marionette Sarkozy losgelassen hat, heruntergeholt werden. In einem zweiten Schritt müssen die Bürger, muss der Souverän erörtern, welches bürgernahe Geld- und Währungssystem das gegenwärtige ersetzen könnte.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden im deutschen Sprachraum mehrere Modelle für ein Geld- und Kreditsystem erprobt (z.B. WIR-Geld, Chiemgauer, Schwundgeld, Freigeld, genossenschaftliche Modelle), die sich lohnen, für einen Neuanfang überprüft zu werden. Wesentlich ist dabei, Lösungen mit kleinräumigen, kontrollierbaren und unabhängigen Einheiten zu berücksichtigen. •

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