Donnerstag, 17. April 2008

Whistleblower leben gefährlich

Arbeitsplatz
Wer Courage zeigt, gilt oft als Verräter

Text: David Lier
Bild: Martin Guggisberg

Ein Mitarbeiter eines Jugendheims meldet Gesetzesverstösse seines Vorgesetzten. Dieser kommt ungeschoren davon, der angebliche Nestbeschmutzer hingegen wird rausgeekelt: In der Schweiz leider kein Einzelfall, sondern die Regel.
In diesem Zürcher Jugendheim kam es zu Gesetzesverstössen.
Wer Missstände in seinem Arbeitsumfeld aufdeckt, setzt sich hierzulande einigem Risiko aus: Die sogenannten Whistleblower, zu Deutsch Hinweisgeber, müssen mit Schikanen bis hin zur Entlassung rechnen. Gesetzliche Regelungen, die einen wirksamen Schutz garantieren, fehlen in der Schweiz - im Gegensatz zu den USA oder Grossbritannien - praktisch vollständig.

Markus Kuster (Name geändert) musste das am eigenen Leib erfahren. Er war Leiter einer Autowerkstatt in einem Heim der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime (ZKJ), wo straffällige Jugendliche eine Berufsausbildung machen können. Im Dezember 2005 meldete Markus Kuster dem ZKJ-Geschäftsführer Franz Schaub (Name geändert), dass der Heimleiter in der Ausbildungswerkstatt Privatautos schwarz reparieren lässt. Seit er und sein Mitarbeiter den Heimleiter darauf angesprochen hätten und sich weigerten mitzumachen, würden sie von der Heimleitung «systematisch gemobbt».

Geschäftsführer Schaub beauftragte in der Folge einen externen Rechtsanwalt mit einer Untersuchung. Ergebnis: Der Stiftungsrat erstattete im Februar 2006 Strafanzeige gegen den Heimleiter wegen Betrugs, Anstiftung zur Urkundenfälschung und ungetreuer Geschäftsführung.

Trotz der Anzeige blieb der Heimleiter im Amt - und holte zum Gegenangriff aus. Im März 2006 unterzeichnete er einen Verweis gegen den Mitarbeiter, der zusammen mit Markus Kuster die Strafanzeige gegen ihn ins Rollen gebracht hatte. Vier Monate später wurde derselbe Mitarbeiter vom Geschäftsführer entlassen. Kuster selber erhielt im Juli 2006 - nach sieben Jahren tadelloser Arbeit und einem ausgezeichneten Zwischenzeugnis - unter Androhung «weiterer arbeitsrechtlicher Massnahmen» aus heiterem Himmel einen Verweis.

Schweigen ist Gold
Dass bei betriebsinternen Missständen die Überbringer der Nachricht als Sündenböcke herhalten müssen, ist ein durchaus typischer Reflex. Gemäss Transparency International Schweiz, einer Organisation mit Sitz in Bern, die sich für die Einhaltung von Grundsätzen und Regelungen im Kampf gegen Korruption einsetzt, zeigen Beispiele aus der Praxis, dass Whistleblower oft als Nestbeschmutzer abgestempelt, entlassen und beruflich ruiniert werden. Dies obwohl die Hinweisgeber in den meisten Fällen im langfristigen Interesse einer breiten Öffentlichkeit und auch ihres eigenen Arbeitgebers handeln.

Whistleblowing ist häufig der einzige Weg, um illegale Praktiken aufzudecken, und gilt deshalb als präventives Mittel im Kampf gegen Korruption. Laut Transparency wage es aus Angst vor Repressalien aber nur etwa die Hälfte jener Mitarbeiter, die in ihrem Betrieb Unregelmässigkeiten entdecken, ihre Beobachtungen zu melden. Das kommt nicht von ungefähr: Eine US-amerikanische Studie hat 223 Whistleblowing-Fälle untersucht. Ergebnis: 90 Prozent der Whistleblower verloren ihre Stelle, 26 Prozent mussten sich aufgrund erlittener Schikanen gar in ärztliche Behandlung begeben.

Auch Markus Kuster wurde psychisch krank und musste sich behandeln lassen. Im August 2006 wandte er sich an die Präsidentin des ZKJ-Stiftungsrats, Monika Weber, ehemalige Zürcher Stadträtin, und beklagte, das Mobbing gegen ihn habe sich angesichts der Verweise und der Entlassung seines Mitarbeiters verschärft. Ohne Erfolg - im Gegenteil: Einen Monat später stellte ihn Geschäftsführer Schaub von der Arbeit frei und legte ihm die Kündigung nahe. Daniel Krapf, damals Präsident der Personalkommission, protestierte heftig: «Wir stören uns enorm daran, dass die beiden Personen, die die Zivilcourage hatten, Missstände im Jugendheim transparent zu machen, dafür bestraft werden und massivem Mobbing ausgesetzt sind.»

Der Protest verpuffte wirkungslos. Aufgrund seiner schlechten psychischen Verfassung löste Markus Kuster sein Arbeitsverhältnis per Ende November 2006 auf. Zwei Monate später verkündete Franz Schaub, die Staatsanwaltschaft habe die Strafanzeige gegen den Heimleiter fallengelassen. Die Gründe sind Kuster und seinem Anwalt nicht bekannt, da ihnen unter Berufung auf Persönlichkeitsschutz die Einsicht in die Einstellungsverfügung bis heute verwehrt blieb. Der Heimleiter seinerseits ging per Ende November 2007 «auf eigenen Wunsch» in Frührente. Und mit seinem Abtreten wurde die Akte bei der ZKJ geschlossen.

Den Heimleiter «wegpensioniert»
Daniel Krapf ist als Präsident der Personalkommission zurückgetreten. Heute sagt er: «Wir haben uns an alle Instanzen gewandt. Dass bis nach ganz oben nichts passiert ist, empfand ich als enorm stossend.» Schliesslich habe man den Leiter «wegpensioniert», damit im Heim endlich Ruhe einkehre. Auch Jürg Leimbacher, Markus Kusters Rechtsanwalt, vertritt eine klare Position: «Ich halte es für einen Skandal, dass eine Person, gegen die Strafanzeige eingereicht wurde, nicht einmal freigestellt wird.» Das habe er Monika Weber, der Präsidentin des Stiftungsrats, schriftlich mitgeteilt.

Auf Seiten der Heimleitung und der Stiftung will man alles richtig gemacht haben. Der Ex-Heimleiter meint: «Ich weise den Vorwurf des Mobbings ganz klar zurück.» Den Verweis gegen Kusters Mitarbeiter zu unterzeichnen sei damals seine Pflicht gewesen. Und Franz Schaub wie auch Monika Weber betonen, Kusters Freistellung sei «zu seinem eigenen Schutz» erfolgt. Seine «sehr eigenwillige Wahrnehmung von Vorgängen und Verhalten von Menschen um ihn herum» hätten ihn für Argumente nicht mehr zugänglich gemacht.

«Beruflicher Selbstmord»
Markus Kuster und seine Familie leiden noch heute unter den damaligen Vorkommnissen, die Stellensuche ist schwierig. Nach seinem Weggang vom Jugendheim wurde Kuster ein miserables Arbeitszeugnis ausgestellt. Er musste über seinen Anwalt intervenieren, um ein seiner Leistung entsprechendes Zeugnis zu erhalten. Eine in Aussicht stehende Stelle erhielt er nach anfänglicher Zusage doch nicht, weil der neue Arbeitgeber plötzlich «einiges von ihm gehört» habe.

«In der Schweiz ist Whistleblowing oft mit beruflichem Selbstmord gleichzusetzen», schreibt Zora Ledergerber, Autorin des Buchs «Whistleblowing unter dem Aspekt der Korruptionsbekämpfung». Es sei schwierig, in der kleinräumigen Schweiz wieder eine Anstellung zu finden, wenn jemand einmal als «Verräter» innerhalb der Branche Aufsehen erregte. Um das zu ändern, haben SP-Nationalrat Remo Gysin und FDP-Ständerat Dick Marty bereits 2003 in ihren jeweiligen Räten eine Motion eingereicht, die den Bundesrat auffordert, Whistleblowern auf Gesetzesebene einen wirkungsvollen Schutz zu garantieren. National- und Ständerat haben die Motion mittlerweile angenommen. Die entsprechende Gesetzesrevision befindet sich in der Ausarbeitung. Der Bundesrat wird in der zweiten Hälfte 2008 einen Vorentwurf zur Vernehmlassung präsentieren.

Für Markus Kuster kommt das zu spät. Nicht aber für Personen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden: Auf der Whistleblowing-Hotline von Transparency International Schweiz melden sich jede Woche ein bis zwei Betroffene, die sich aus Angst vor Repressalien anonym beraten lassen.

Weitere Infos
Transparency International Schweiz: www.transparency.ch;
Whistleblowing-Hotline: 031 382 50 44

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