Montag, 21. April 2008

Das Antirassismusgesetz - Wächter der richtigen Gesinnung

Anti-Rassismus-Gesetz
Wächter der richtigen Gesinnung
Von Alex Baur

Was gut gemeint war, kommt nicht gut: Das Anti-Rassismus-Gesetz ist zu einem Instrument der Abstrafung politischer Gegner und ungewollter Meinungen geworden. Medien und Justiz spielen willig mit. Echte Rassisten trifft die Strafnorm kaum.

Am 7. Juni 2007 wurde Josef Kobler auf den lokalen Polizeiposten zitiert. Der Rentner, der sein Leben lang nie ein Problem mit der Justiz gehabt hatte, glaubte an ein Missverständnis, das sich klären würde. Erst als ihm ein Polizist seine Rechte vorlas («Sie können die Aussage verweigern, Ihre Aussagen können als Beweismittel gegen Sie verwendet werden, Sie können jederzeit eine Verteidigung bestellen»), begriff Kober, dass er ein ernsthaftes Problem hatte.

Nach Aufnahme der Personalien wollte der Verhörbeamte von Kobler wissen, wie er zum Islam stehe, was er von den Ausländern denke, wie er sich zur SVP stelle. Den Fragenkatalog hatte die Staatsanwaltschaft vorbereitet. Sodann las ihm der Polizist folgenden Satz vor: «Für seinen Hass ist man selber verantwortlich. In der Zivilisation zählt er zu den Todsünden, im Islam zum Programm.» Josef Kobler erinnerte sich schemenhaft: Ja, es sei möglich, dass er vor einem halben Jahr etwas Derartiges ins Internet-Diskussionsforum der SVP geschrieben habe, an dem er sich gelegentlich beteilige. Dass er sich strafbar machen könnte, weil er seine Meinung kundtat, wonach Hass beim Islam «zum Programm» gehört, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Doch wegen dieser Aussage ermittelte die Zürcher Staatsanwaltschaft acht Monate lang. Der Verdacht: Verstoss gegen Artikel 261bis StGB, besser bekannt als Anti-Rassismus-Gesetz (ARG).

Strafanzeigen ab Fliessband

Am 16. August 2007 wurde das Verfahren gegen Kobler eingestellt. Der Angeschuldigte habe sich «zwar durchaus muslimkritisch geäussert», tadelte Staatsanwalt Dr. iur. Thomas Brändli. Die vorgängige Relativierung – «für seinen Hass ist man selber verantwortlich» – bewahrte ihn vor einer Strafe. Immerhin, so kombinierte Brändli, habe Kobler auch den Muslimen einen freien Willen zugebilligt, eine rassistische Gesinnung sei mithin nicht nachzuweisen. Eine Entschädigung für seine Umtriebe erhielt Kobler trotzdem nie. Der Rentner reklamierte auch nicht, er war heilfroh, als die Affäre erledigt war.

Josef Kobler ist einer von mindestens sieben Besuchern des SVP-Internetforums, die sich im letzten Jahr mit einem Rassismus-Strafverfahren herumschlagen mussten. Einige von ihnen hatten sich auf Diskussionen mit einem angeblichen Muslim namens «Ahmed» eingelassen. Ob es sich dabei um einen Agent Provocateur handelte, der die politisch korrekte Gesinnung der Bürger testete, ist unklar. Klar ist bloss, dass hinter allen Strafanzeigen der Burgdorfer Rechtsanwalt und grüne Lokalpolitiker Daniel Kettiger steht. Kettiger erklärte auf Anfrage, insgesamt rund fünfzehn ARG-Anzeigen «im Auftrag von Mandanten» erstattet zu haben, die anonym bleiben möchten. Mehr wollte der Advokat, der als Spezialist für öffentliches Verwaltungsrecht sein Geld vor allem beim Staat verdient, nicht preisgeben.

Weniger Glück hatte Donato Mastroianni*. Ein derber Witz im SVP-Forum kam ihn teuer zu stehen. «Das Minarett ist ein Kamin. Es wird als Abzug der Flatulenzen benutzt, die Musels absondern, während sie auf dem Teppich herumkriechen. Das Minarett muss behandelt werden wie eine Sonderdeponie», hatte der 66-jährige Musiker geschrieben. Der Hintergrund: In einem baurechtlichen Entscheid war das Minarett mit einem Fabrikkamin gleichgesetzt worden.

Mastroianni wollte seine Zote um die «Flatulenzen», die in der Moschee übrigens eine nicht unerhebliche Rolle spielen (ein Gebet, das durch entweichende Blähungen gestört wird, muss integral wiederholt werden), satirisch verstanden wissen. Den Vorwurf der rassistischen Hetze wies der Musiker weit von sich. Doch die Zürcher Staatsanwaltschaft verstand keinen Spass. Im letzten Februar verurteilte sie Mastroianni – auch er war bislang unbescholten – zu einer Geldstrafe von 5500 Franken plus 900 Franken Verfahrenskosten. Der Musiker zahlte zähneknirschend. Eine Anfechtung des Urteils hätte selbst bei einem (ungewissen) Freispruch unter dem Strich erhebliche Kosten verursacht. Heute macht auch er einen Bogen um Diskussionsforen.

Staatsanwältin beurteilt Stilfragen

Die meisten von Kettiger angezettelten Rassismusverfahren wurden zwar eingestellt. Doch unangenehm ist eine Strafklage allemal. Zumal wenn der vermeintliche Wortsünder je nach Kanton von der Polizei wie ein Verbrecher erkennungsdienstlich erfasst wird (Abnahme von Fingerabdrücken, Foto fürs «Verbrecheralbum»). Dies widerfuhr Ida Dreyfuss* in Basel. Im Lauf des Verfahrens wurde sogar ihr Computer vorübergehend konfisziert.

«Der Koran ist ein Handbuch des Terrors, das den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt», hatte die 68-jährige jüdische Akademikerin, die sich selber als Feministin bezeichnet, ins Forum geschrieben. Und: «Den Protest dagegen als Hetze zu bezeichnen, gehört eben zu diesem System des Terrors, der keinen Widerspruch zu seinen totalitären Regeln duldet und Kritiker diffamiert und liquidiert, sobald er die Macht dazu hat.» Auf den Punkt gebracht: Dreyfuss bezeichnet den Islam als Religion, die Terror und Intoleranz in ihrem Fundament trage. Für die Basler Staatsanwältin Eva Eichenberger war dies Grund genug, ein Rassismus-Verfahren zu eröffnen.

Auch Ida Dreyfuss wurde einem Verhör zu ihrer politischen und ideologischen Gesinnung unterzogen. Zwar verzichtete die Staatsanwältin auf eine Bestrafung. Einerseits, so Eichenberger, sei es «zweifelhaft, ob eine zweimalige Verlautbarung in einem Diskussionsforum als Ideologie im Rechtssinne bezeichnet werden kann». Andererseits sei aus früheren Texten von Dreyfuss herauszulesen, dass sie eine Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus mache, mithin nicht die Religion an sich kritisiere. Die Untersuchungsrichterin beliess es bei einer Art mündlicher Rüge in der Einstellungsverfügung: «Die Angeschuldigte muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ihrer Kritik durch eine unnötig drastische Wortwahl Ausdruck gegeben zu haben.»

Der Satz lässt aufhorchen: Staatsanwältin Eichenberger richtet nicht bloss über Recht und Unrecht – sie nimmt sich überdies die Befugnis heraus, über Fragen des Stils zu moralisieren. Diese Anmassung passt ins Bild einer Politjustiz, die zusehends hemmungslos nach ideologischer oder religiöser Gesinnung forscht. Dies wiederum liegt auch im Wesen des Rassismus-Paragrafen begründet, der diese bis anhin verpönte Komponente ins Strafrecht eingebracht hat. Entscheidend ist nämlich nicht nur, ob ein Spruch objektiv rassistisch wirkt, sondern ob er so gemeint ist. Der Richter muss von Amtes wegen nach dem Motiv fahnden. Und bei einem Meinungsäusserungsdelikt liegt dies naturgemäss in der Gesinnung.

Gemessen an den rassistischen Thesen, die im Internet problemlos und legal – die meisten Länder der Welt kennen nach wie vor keine Rassismus-Strafnorm – heruntergeladen werden können, muten die Sätze harmlos an, die Rechtsanwalt Kettiger der Justiz zur Zensur vorgelegt hat. Der Vorwurf der Hetze ist schon deshalb absurd, weil sie im Zuge kontroverser Debatten geäussert wurden. Es ist trotzdem kein Zufall, dass sich Kettiger (oder wer sich hinter ihm versteckt) just den SVP-Blog vorknöpfte. Denn die Anzeigen richten sich immer auch explizit gegen die Betreiberin des Internetforums, die nach Kettigers Meinung haftbar ist für die Voten ihrer Gäste.

Wie bei den meisten Blogs erfolgten die Wortmeldungen anonym. Die Verzeigten hatten sich zuvor aber meist mit ihrem richtigen Namen und Mail-Adresse registriert. So war es ein Leichtes, die Urheber zu identifizieren. Die SVP spielte mit und gab die Adressen der Verdächtigten auf richterlichen Befehl heraus.

Wie Roman Jäggi, der für den Blog zuständige Administrator, erklärte, wollte sich die SVP nicht auf einen Rechtshändel einlassen. Der Aufwand wäre zu gross gewesen. Man fürchtete sich auch davor, umgehend als Komplizin von Rassisten angeprangert zu werden. Allerdings habe man sich schon überlegt, das Forum auf einen Server im Ausland zu verlegen, um den lästigen ARG-Anzeigen auszuweichen. In den USA etwa würde die Justiz einer Herausgabe der Adressen von politisch unkorrekten Blog-Usern niemals zustimmen.

Seit Jahren machen sich linke Politiker einen Sport daraus, der Volkspartei und ihren Exponenten über ARG-klagen den Ruch krimineller Machenschaften oder zumindest ein Rassisten-Etikett anzuhängen. So verfasste Rechtsanwalt Kettiger bereits im Herbst 2004 eine Strafanzeige gegen Mitglieder eines Komitees, das die damals aktuelle Vorlage zur erleichterten Einbürgerung bekämpfte. In einem Inserat rechnete das Komitee vor, dass die Muslime, wenn sie sich im bisherigen Mass vermehrten, in zwanzig Jahren die Mehrheit der Schweizer stellen würden.

Viele Journalisten berichteten damals über die Strafanzeige und rückten die Person von Nationalrat Ulrich Schlüer (SVP) in den Mittelpunkt. Schlüer erfuhr erst über die Presse von der Anzeige. Die Identität des Anzeige-Erstatters Kettiger wurde dagegen verheimlicht. Der Blick erklärte, warum: «Der Berner Anwalt will namentlich nicht genannt werden, da er keine Angriffe von ‹rechtsextremer Seite› riskieren wolle.» Damit wurde Schlüer auch noch gleich eine Nähe zu Gewalttätern angedichtet. Als die Zürcher Staatsanwaltschaft ein Jahr später feststellte, die Hochrechnung sei nicht rassistisch, kümmerte sich kein Mensch mehr darum. Die Abstimmung war vorbei.

Als das Anti-Rassismus-Gesetz 1994 dem Souverän vorgelegt wurde, pries der Bundesrat die Vorlage als Waffe gegen Neonazis und Schoah-Leugner an. Die freie Meinungsäusserung, so wurde dem Volk vorgegaukelt, werde dadurch nicht tangiert. Als Beispiel wurde immer wieder der unbedachte Stammtisch-Spruch bemüht, der nicht vom Gesetz tangiert werde. Zwölf Jahre nach der Einführung des ARG straft die Realität alle Versprechungen Lügen.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) hat 431 ARG-Urteile zusammengetragen, die seit der Einführung der Strafnorm gefällt wurden. Die Zahl der Prozesse gegen Neonazis lässt sich an einer Hand abzählen. In den allermeisten Fällen urteilten die Richter über allenfalls geschmacklose, aber harmlose Äusserungen – oder über gezielte Attacken gegen politische Gegner.

Rund die Hälfte der Anti-Rassismus-Verfahren wurde eingestellt, ohne dass es zu einer Anklage kam. Von den Angeklagten wurden zwanzig Prozent freigesprochen. Fast zwei Drittel der Anzeigen waren mithin unbegründet. Verurteilungen werden nur selten angefochten, das Bundesgericht hatte bislang über lediglich 24 ARG-Fälle zu entscheiden. Offenbar ziehen es die Verurteilten vor, die Busse zu zahlen und die Faust im Sack zu machen.

Die Statistik entlarvt die Strafnorm als Instrument der Zensur. Nicht die Verurteilung von Straftätern steht im Vordergrund. Das Verfahren an sich und die damit verbundenen Schikanen erfüllen, unbesehen von der Schuldfrage, den erzieherischen Zweck vollauf: Jedermann soll sich genau überlegen, was er sagt – und im Zweifelsfall schweigen. Denn nicht die Strafe und nicht die Einsicht, sondern die Selbstzensur ist das Endziel jeder Zensur.

Willkür zwecks Volkserziehung

Zur Verunsicherung trägt auch die Widersprüchlichkeit der ARG-Urteile bei. Der englische Begriff «Nigger» etwa ist verboten, das deutsche Pendant «Neger» (vorläufig noch) erlaubt. «Scheiss-Schweizer» darf in Zürich (anders als im Kanton Zug) nicht gesagt werden, die Aussage «Ich traue grundsätzlich keinem Schweizer» (geäussert von einem jüdischen Mitarbeiter der Bergier-Kommission) dagegen wird toleriert. Das heisst aber nicht, dass dieselbe Aussage über Muslime straffrei wäre. Jeder Fall ist für sich zu beurteilen, eine klare Linie ist nirgends erkennbar.

Die Willkür bei der Anwendung des Zensurparagrafen illustrieren zwei Strafanzeigen, die Anwalt Daniel Kettiger während eines lokalen Wahlkampfs im Sommer 2005 gegen die Grenchner SVP-Politiker Heinz Müller und Gabriela Rauber lancierte. Die beiden hatten in fast identischen Verlautbarungen behauptet, Kosovo-Albaner würden zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft neigen.

Die Solothurner Staatsanwaltschaft bestrafte die beiden Grenchner Politiker für diese Aussage mit je 200 Franken Busse (die SP forderte sie daraufhin zum Rücktritt auf). Die Verurteilten fochten das Urteil an. Das Amtsgericht sprach Heinz Müller frei. Er hatte gesagt: «Kosovo-Albaner legen eine Gewaltbereitschaft an den Tag, die uns fremd ist.» Gabriela Rauber dagegen hatte geäussert: «Die Kosovo-Albaner nehmen sich nicht die Mühe, sich anzupassen, sie wollen uns ihre Gewaltbereitschaft aufzwingen.» Das war nach Ansicht derselben Richter zu «krass» formuliert und deshalb mit 500 Franken zu büssen. Vor Obergericht wurde später auch Gabriela Rauber freigesprochen.

Rechtsanwalt Roland Bühler, der die beiden SVP-Politiker verteidigte, schätzt die Verfahrenskosten auf total 30000 Franken. Die Entschädigung von 10000 Franken, die ihm aus der Staatskasse zugesprochen wurde, deckt seinen Aufwand nur teilweise. Hätte sich Bühler nicht bereit erklärt, für Rauber einen reduzierten Tarif anzuwenden, hätte sie die Busse akzeptiert – obwohl sie, wie sich später herausstellte, unschuldig war. Für ihre politischen Gegner war die Strafanzeige gleichwohl ein voller Erfolg. Gabriela Rauber ist mittlerweile als Präsidentin der SVP Grenchen zurückgetreten. Nach dem Prozess hatte sie die Nase voll von der Politik.

*Namen aus den Prozessakten von der Redaktion geändert

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