Dienstag, 22. April 2008

Mann und Frau sind trotz "Gender" verschieden

Jeder setzt sich selbst die Grenzen
von Gerhard Amendt
21.04.2008 - 16.00 Uhr

Im Gegensatz zu Simone de Beauvoir gilt, dass man als Mann und als Frau geboren wird. Aber, und da hatte sie recht, sie werden auch dazu gemacht. Sigmund Freud hat aus dem Unterschied des anatomischen Geschlechts die psychischen Eigenschaften und sozialen Präferenzen von Mann und Frau im Detail verfolgt. Die kleinen Unterschiede symbolisierten Vielfältiges. Fortschritte in Medizin- und Naturwissenschaften haben weitere Unterschiede zum Vorschein gebracht, die sich hinter dem sichtbaren Unterschied verbergen. Dass Mann und Frau verschieden sind, bedarf der Betonung, weil der 68er-Bewegung der Versuch folgte, das Offenbare zu leugnen. Dabei war die Gleichmacherei gut gemeint und sollte Frauen ermutigen.

Deshalb durfte es keine Zeichen geben, die den Wunsch von Frauen nach gleichen Chancen und gleichem Erfolg im außerfamiliären Leben hätten entmutigen können. Weil es solche Zeichen aber gibt, durften sie immer nur außerhalb, niemals in den Frauen liegen. Ebenso sollten die Erfolge der Männer nicht von deren Geschlecht, sondern ebenso nur von äußeren Verhältnissen abhängig sein. Wie jeder weiß, reimte sich die Erklärung der äußeren Hindernisse bis zum heutigen Tag auf „patriarchalische Selbstbereicherung der Männer“ zulasten der Frauen.
Nun sind heute besonders gut ausgebildete Frauen mehr denn je von vielfältigen Begünstigungen umgeben. Jenseits ihrer eigenen Anstrengungen werden sie vielfältig gefördert und von Bevorzugungen umgarnt, von denen männliche wie weibliche Jugendliche aus den unteren Schichten heute und das alte Proletariat vor langen Zeiten nur hatten träumen können. Aber die größten Anstrengungen kommen von den Frauen doch meistens selber. Sie bewähren sich, wo immer sie es wollen, aber doch allzu oft in „Frauenfächern“ oder solchen mit dem Charakter von ausgelagerter Familienorientierung. Die Distanz zum Unerschlossenen, der Technik und den Naturwissenschaften ist weiterhin überwältigend und wird – trotz Girls’ Day und Ähnlichem – nur selten überbrückt. Die strikte Trennung von Beruf und Familie, die für Männer so charakteristisch wie schwierig ist, wenn sie von der Berufsrolle in die zu Hause täglich schlüpfen müssen, lässt sich für Frauen mit familienanaloger Erwerbstätigkeit mildern. Dazu gibt es kaum Forschung, denn die letzten 20 Jahre haben wir darauf verschwendet, Erlösungsfantasien zu verbreiten, wonach einmal Frauen an der Macht den Frieden auf Erden und Befreiung von allen Übeln uns bescheren werden.

Und jetzt treten Fragen nach den widersprüchlichen Interessen von Frauen im Arbeitsprozess von einem Tag zum anderen in den Vordergrund. Das Geraune von weiblichen Opfern und Zukurzgekommenen und seinem Gegenstück von männlichen Tätern und Kriegsgewinnlern im Geschlechterkampf scheint erstorben. Frauen beginnen sich zu fragen, warum ihre Erfolge begrenzt scheinen, und nicht mehr, welcher Mann sie am Erfolg gehindert und welche Institution ihnen ein Bein gestellt oder warum der Sozialstaat ihnen das Problem nicht schon längst aus dem Wege geräumt hat. Wie in guten Tagen der Frauenbewegung wird wieder gefragt, was hat es mit mir selber zu tun. Trotzdem wird die Frage nach der eigenen Verantwortung nur schrittweise der Suche nach Sündenböcken weichen. Je näher Frauen der feministischen Ideologie stehen, umso zäher suchen sie nach Sündenböcken. Daran wird sich so schnell nichts ändern, denn wir leben in einer Kultur, in der die Selbstverantwortung gegen den bevormundenden Versorgerstaat leidenschaftlich gern ausgespielt wird. 20 Jahre Propaganda für Frauen als Opfer braucht seine Zeit, um aus dem weiblichen wie männlichen Mentalitätsgewebe ausgeschieden zu werden.

Aber gleichzeitig beschwören wir den Individualismus, der jeden als Eigenanfertigung ausweisen soll, andererseits jedoch reden wir von Frauen wie von einem einförmigen Kollektiv, so als seien sie durch Sexualanatomie und andere Unabänderlichkeiten von der Individualisierung ausgeschlossen. Aber Frauen geht es nicht anders als Männern. Sie werden als Frau geboren, aber wie bei Männern wird ihr Leben von ihrer Klassenherkunft, dem Erziehungsstil ihrer Familie, ihrer Ausbildung, ihrem persönlichen Willen und kulturellen Einbettung hervorgebracht. Wer deshalb die Frau wie Natur behandelt, setzt sich dem Verdacht aus, deren Teilhabe am außerfamiliären Leben aus konkurrenzbegeisterten Stücken und schierer Lust an der außerhäuslichen Macht verleugnen zu wollen. Und wo die Frau Natur, ist auch der Mann nur Natur. Dann sind wir zur Romantik eines Friedrich Schlegel zurückgekehrt, der den Mann gesellschaftlich definierte. Aus der Frau jedoch eine neue symbolische Ordnung von Weiblichkeit und göttlicher Natur bilden wollte. Nur hat das, wie die Neuauflage durch Margarete Mitscherlich zeigte, weder Männer noch Frauen weitergebracht. Daraus sind pseudomoralische Überlegenheiten hervorgegangen, die ein Passstück zur feministischen Opfermentalität bilden. Die hat Männern unter der Hand allmächtige Verantwortung für die ganze Menschheitsgeschichte angedichtet. Denn je ohnmächtiger die Frauen gedacht werden, umso stärker treten die Männer hervor. Diese Wechselwirkung hat beide Geschlechter noch immer im Griff.

Weil Männer anders als Frauen sind, prüfen sie etwa ihr Studienfach darauf, ob es eine familiengründende Potenz enthält. Ertragsschwache Fächer nehmen sie intuitiv früh wahr und lassen sie links liegen. Frauen scheinen auf diese Männer zu bauen und passen sich ihnen an. Man kann deshalb von einer Entscheidung ohne viele Worte im Sinne traditioneller Arrangements zwischen Männern und Frauen sprechen. Frauen wählen die versorgungs- und zukunftsschwachen Fächer, weil sie sich auf versorgungsstarke und -willige Männer verlassen. Und von denen gibt es zahllose Varianten am Beziehungsmarkt. Diese verkappte Dynamik dürfte nicht wenige Frauen gerade mit hohem akademischem Niveau an familiären Orientierungen festhalten lassen.

Genaueres darüber zu wissen würde sich lohnen. Denn die erste lebensgestalterische Präferenz von mehr als 60 Prozent aller Frauen bleibt die Arbeit in der Familie, mit der die männliche außer Haus harmonisch sich ergänzt. Das könnte den mangelnden Biss der Frauen außer Haus erklären. Sie vermeiden unbearbeitetes Terrain, das nur mit abenteuerlicher Mentalität sich erobern lässt. Eben, was Männer eher mögen. Dort aber entstehen die kleinen und großen und vor allem die herausragenden Erfolge und die Zukunftsperspektiven. Aber nicht immer geht das gut aus. Unabdingbar gehört das Scheitern dazu. Das beschämt und macht Männer für Frauen weniger attraktiv. Aber solch narzisstischer Absturz gehört zum Alltag der Abenteurer. Erfolg macht Männer zwar begehrenswert, so wie Macht geil macht, und das bereits in kleinen Dosen. Nur, der Misserfolg zerstört das wieder ebenso schnell. Selbstwertverlust setzt dann ein, nicht erst beim großen Manager, sondern bereits sehr viel weiter unten. Männer sind narzisstisch extrem verletzlich, aber vielleicht sind Frauen es auf andere Weise. Vielleicht vermeiden sie solche Kränkungen, indem sie sich der scharfen Konkurrenz entziehen und stattdessen Berufe mit familienähnlichen Abläufen bevorzugen. Vielleicht ist die Arbeit in Kindergärten, Grundschulen, der Pädagogik, der Weiterbildung, der Psychotherapie deshalb anziehender für sie, wie die Funktion der Pressesprecherin, der Personalmanagerin reizvoller ist, oder der Talkmasterin, die keinen Streit in ihrem Wohnzimmer duldet (oder die Kunstgeschichte als Wissenschaft und zugleich Heimverschönerung, wenn „Brigitte“-Ratschläge zu farblos werden). Das sind Vermutungen, für die die ersten Bestätigungen aus der Forschung bereits verfügbar sind. Sie deuten die innere Gespaltenheit vieler Frauen gegenüber der außerhäuslichen Welt nur an. Nochmals anders stellt sich das in den unteren Schichten dar.

Das narzisstische Verletzungsrisiko, dem sich Männer mit abenteuerlichen Erschließungen von Berufsfeldern und gefühlter Alleinzuständigkeit fürs tägliche Brot aussetzen, wird gern übersehen. Einfach ist der Grund dafür. Ihre Welt wird idealistisch überhöht. Das fördert nicht nur Neid, weil alles so einfach scheint, sondern ebenso Fantasien von unbegrenzter Macht. Deshalb sind ihre Erfolge öffentlich, ihr Scheitern aber ist privat.

Selbst äußerst erfolgreiche Frauen sind anders. Kürzlich gratulierte ich einer brillanten Frau zu ihrer Beförderung bis kurz unter die „gläserne Decke“. Ich prophezeite ihr den CEO für die nahe Zukunft, worauf ich unverblümt hörte: „Ach, darauf bin ich gar nicht scharf!“ Das erinnert mich an eine amerikanische Arbeitsmarktexpertin, die in ihren Statistiken für New Yorks erfolgreiche Frauen eine erstaunliche Tendenz aufspürte. Deren Zahl sinkt, obwohl die Ostküste ein Hort einkommensstarker Frauen ist. Gründe dafür vermutete sie in der Kultur. Frauen möchten vielleicht nur das Erlebnis des Erfolges, um mit dem Wissen davon in die Familie zurückzukehren, weil ihnen das reicht. Aber es ist daran geknüpft, dass männliche Risikobereitschaft so zwanghaft fortgeführt wird wie bisher. Das bringt Männer in ein Dilemma. Wenn die Entschiedenheit der Frau nicht gesichert ist, wie sollen sie dann angstfrei mit alternativen, familiennahen Gedanken spielen? Alleinzuständigkeit schwebt über ihrem Haupt, und erst recht beherrscht sie ihre Seelen. Sie fühlen sich gezwungen zu tun, was ihre Väter taten. Für die Familie letztverantwortlich zu sorgen.

Aber was Männer und Frauen unterscheidet, zieht sie zugleich auch an. Wenn darüber ohne Klischees vom guten und vom bösen Geschlecht diskutiert würde, hätten Männer weniger Anlass, Misserfolge von Frauen als eigenes Verschulden zu erleben. Noch ist das aber Standard in unserer Kultur. Frei sind Frauen und Männer eigentlich erst, wenn sie aushandeln können, wer was tut, weil es dem einen lieber ist als dem anderen, obwohl beide es tun könnten, es ihnen aber unterschiedlich schwerfällt.

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