Vom Nutzen einer Zollmauer
Von Mathias Binswanger
Der Bundesrat will den Agrarfreihandel, aber was soll die Zwängerei? Am Ende wäre die Landwirtschaft ruiniert. Der allgemeine Wohlstand stiege trotzdem kaum.
Der Zeitpunkt sei noch nie so günstig gewesen, schrieb Kurt Schildknecht jüngst in der Weltwoche, um den Agrarprotektionismus in der Schweiz zu eliminieren. Da hat er zweifellos recht. Das vom Bundesrat geplante Agrarfreihandelsabkommen mit der EU bietet eine einmalige Chance, die Zahl der Bauern erheblich zu senken. Diese sind den Befürwortern des Freihandels nämlich schon lange ein Dorn im Auge: Schweizerinnen und Schweizer sollen gefälligst bei Banken oder in der Pharmaindustrie arbeiten, wo die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer etwa das Zehnfache der Wertschöpfung in der Landwirtschaft beträgt. Und wenn man für die Freihandelsidee ein paar Bauernopfer bringen muss, dann ist das eben der Preis des Fortschritts. Was bei einem vollständigen Wegfall des Agrarprotektionismus noch bleiben wird, sind neben einigen Grossbetrieben ein paar kleinere Hersteller von lokalen Spezialitäten wie Appenzeller Käse oder Bündnerfleisch, die zusammen mit Alphornbläsern und Jodlerinnen zum Heidiland-Image der Schweiz beitragen. Will man den Bauernstand jedoch flächendeckend erhalten, dann funktioniert das bei vollständig liberalisierten Agrarmärkten nur mit immer höheren Zahlungen an die Bauern, da diese dann durch den Verkauf ihrer Produkte nicht einmal mehr ihre Herstellungskosten decken können. Also wird man die Produktion nach und nach einstellen, aus Landwirten werden vom Staat bezahlte Landschaftsgärtner und Wiesenpfleger. Von der in der Verfassung vorgeschriebenen «sicheren Versorgung der Bevölkerung» wäre keine Rede
Konsumenten zahlen dennoch mehr. Ausser in Neuseeland und Australien (bis zur einsetzenden Dürre 2001), wo so viel landwirtschaftlich nutzbare Fläche vorhanden ist, dass praktisch alle Bauern unter die Kategorie Grossbauern fallen, schaffen es die Bauern in keinem Industrieland, ohne staatliche Unterstützung zu überleben. Das gilt auch für den weltweit grössten Agrar-Exporteur, die USA, welcher die Subventionen in den letzten Jahren nochmals massiv ausgebaut hat. Die Landwirtschaft hat nämlich ein entscheidendes Handicap: Ihr wichtigster Produktionsfaktor, der Boden, lässt sich nicht beliebig vermehren. Zwar versuchen die Bauern seit Jahrhunderten, ihre Böden immer intensiver zu bewirtschaften, doch damit gerieten sie nur in die sogenannte landwirtschaftliche Tretmühle. Diese Tretmühle funktioniert so: Der einzelne Bauer hat unter heutigen Bedingungen kaum eine Möglichkeit, seine Produkte zu differenzieren und sich von seinen Konkurrenten abzuheben. Lebensmittelhersteller wie Emmi oder Migros, welche den Bauern ihre Produkte abkaufen, wollen homogene Produkte (z. B. Rohmilch, Weizen), bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie von Bauer A oder von Bauer B stammen. Also kann sich Bauer A nur von Bauer B abheben, indem er billiger produziert; er muss seine Arbeitsproduktivität durch den Kauf von immer mehr Maschinen oder durch die Anpflanzung ertragreicherer Sorten erhöhen. Dies führt zu einem Verdrängungswettbewerb, bei dem immer weniger Bauern immer mehr Lebensmittel produzieren, aber gleichzeitig die Preise fallen.Genau das kann man auch in der Schweiz beobachten. So sind die Preise, welche die Bauern für ihre Erzeugnisse erhalten, von 1994 bis 2005 um rund ein Viertel geschrumpft. Die von den Konsumenten bezahlten Preise für Lebensmittel sind jedoch zugleich um etwa zehn Prozent gestiegen. Profitiert haben somit die Lebensmittelhersteller, die zum Beispiel Milch immer billiger einkaufen konnten und mit einem hochdiversifizierten Angebot an Milchprodukten ihren Umsatz steigerten. Diese Entwicklung wird sich bei der Einführung des Agrarfreihandels noch erheblich beschleunigen, da die Lebensmittelhersteller den Schweizer Bauern dann aufgrund der ausländischen Konkurrenz immer geringere Preise zahlen werden.Warum aber die Zwängerei des Bundesrates in Sachen Agrarfreihandel? Sie liesse sich noch verstehen, wenn die weitgehende Vernichtung der Landwirtschaft an anderer Stelle zu erheblichen Wohlstandsgewinnen führen würde. Aber nach diesen sucht man selbst im Informationsblatt des Bundesrates vergeblich. Die Rede ist von einer Erhöhung des BIP um ein halbes Prozent (wirklich grossartig!) und von sinkenden Lebensmittelkosten für Konsumenten und besserer Konkurrenzfähigkeit für die Nahrungsmittelindustrie und den Tourismus. Aber eben: Die Entwicklung der Lebensmittelpreise hat kaum etwas mit den an die Bauern bezahlten Preisen für Rohstoffe zu tun; sinkende Kosten für Konsumenten und bessere Konkurrenzfähigkeit entfallen somit als Argument. Und dass der Tourismus in der Schweiz wegen sinkender Agrarpreise wachsen wird, kann selbst der Bundesrat nicht im Ernst glauben. Im Unterschied zu vielen andern Branchen führt mehr Freihandel in der Landwirtschaft nicht zu mehr Wohlstand, sondern verursacht stattdessen erheblichen Schaden.
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten.
Im Mai erscheint von ihm das Buch «Globalisierung und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel» (Picus-Verlag, Wien).
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Quelle: www.weltwoche.ch
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