Donnerstag, 30. Juli 2009

Friedrich Leibacher - Mythos und Realität

Attentat von Zug

von David Frankfurter

Fritz Leibacher hat nichts heldenhaftes getan. Doch seine Tat hätte nur in Zug geschehen können. Mit viel Gutachten und Testimonials versucht eine Doku des Staatssenders die offizielle Version der Ereignisse zu verfilmen. An den wesentlichen Ursachen des Attentats führt sie jedoch bewusst vorbei.

Der Halbstarke
Fritz war alles andere als ein pflegeleichter Jugendlicher. Er hockte mit Gleichgesinnten (heute würde man Gang sagen) im Sommer am Zugersee, soff, grölte, hatte Sex mit dem nicht ganz 16jährigen Dorfluder, kassierte auch schon mal Hausverbote in diversen Gaststätten und foutierte sich so ziemlich um die Strassenverkehrsordnung. Es ist jedoch falsch, in Leibacher einen klassischen Kriminellen zu sehen, vielmehr wurde er und seine Kumpagnen als „Halbstarke“ bezeichnet, Titel, welcher in der Regel allen aufsässigen Jugendlichen angehängt wurde, auch den 68iger. Mit heutigen Massstäben gemessen, wäre Leibacher schlimmstenfalls ein Problemjugendlicher. Am Ende landete er für kurze Zeit in einer Arbeitserziehungsanstalt.
Dann besserte er sich jedoch. Er fiel nie besonders durch Gewalttätigkeit auf. Allerdings hatte er Mühe, im Erwerbsleben richtig Fuss zu fassen. Er verkaufte z.B. Inserate in Branchenbücher, die nie erscheinen sollten. Das taten viele andere natürlich auch, doch den “Fritzli”, wie die Zuger Polizei nannte, hatte man schon seit seiner Jugendzeit besonders im Visier. Er war auch einfach zu kriegen. Konnte man ihm sonst nichts anhängen, musste man nur in seinem Handschuhfach schauen. Er hatte immer eine Waffe darin. Die zahlreichen Anzeigen wegen Verstoss gegen das Waffengesetz sprechen eine klare Sprache. Leibacher wird zwar in den Medien als notorischer Kleinkrimineller dargestellt, doch lag die letzte Straftat 20 Jahre vor dem Attentat zurück. Leibacher holte die Matura nach und studierte einige Semester Jura. Warum er gerade Jura belegte, überrascht wohl niemand.

Das Zuger Milieu
Die Tat Leibachers ist nur verständlich, wenn man kurz einen Blick auf das Zuger Milieu wirft. In den Medien wird Zug immer wieder als Steuerparadies bezeichnet, weshalb sich dort internationale Unternehmen ansiedeln. Das ist jedoch Propaganda, andere Standorte sind günstiger, haben günstigere Mieten und einen viel besseren Arbeitsmarkt. Der wahre Vorteil des Kantons Zugs ist der „kooperative“ Rechtsapparat. 50 Anwälte, 11 Richter, 4 Oberrichter und die Verwaltung sorgen dafür, dass potente Steuerzahler nichts zu befürchten haben.
Natürlich profitieren auch Einheimische von dieser Nestwärme. Versetzt der Sohn des Zuger Stadtschreibers im Vollsuff und vollgekokst eine Tanksäule, so kann auch er sich darauf verlassen, dass sein Verfahren umgehend eingestellt wird. Im Volksmund werden die Verflechtungen als die Zuger Mafia bezeichnet. Von dieser Nestwärme konnte Leibacher nicht profitieren. Machte er einen „Seich“, knüpfte man ihn gnadenlos vor. Er wurde regelrecht drangsaliert.

Der verschollene Busfahrer
Irgendwann drehte Leibacher das Spiess um. Statt sich drangsalieren zu lassen, wollte er andere mit Hilfe des Rechtssystem drangsalieren. Doch er machte bald eine erstaunliche Entdeckung: alle seine Anzeigen und Beschwerden verliefen im Sand. Dann legte er sich mit einem Busfahrer an, der, wie jeder in Zug wusste, mit viel Kurvenöl seinen Dienst versah. Die Stadt hatte natürlich kein Interesse, den Mann zu entlassen, es war schwer einen Neuen zu finden und ausserdem hatte er nie Anlass zu Beanstandungen gegeben. Also stellte die kantonale Untersuchungsbehörde die Untersuchung ein. Als Leibacher die Einstellungsverfügung in der Hand hielt, fasst er den Entschluss für sein Attentat. Kaum waren sich die Behörden nach dem Attentat sich diesen Zusammenhang bewusst, wurde der Chauffeur sofort ins unbekannte Ausland verschickt. Er durfte erst zurückkehren, nachdem die Journalisten wieder aus der Stadt abgezogen waren. Auch darüber steht im Bericht nichts. Der Buschauffeur wird auch sicherlich nie interviewt werden.

Das Attentat und die schnellste Ausschaffung der Schweiz
Leibacher erzählte von seinen Attentatsplänen. Am Stammtisch nahm ihn nicht ernst. Anders seine dominikanische Ex-Frau, die mitansah, dass es sich hier nicht um dumme Sprüche handelte. Sie ging einen Monat vor der Tat zur Polizei und diese versorgte sie umgehend in die psychiatrische Klinik nach Oberwil. Nach dem Attentat wurde die Frau innert Tagen ausgeschafft (geht doch, wenn die Behörden nur wollen). Auch das wurde im Bericht nicht erwähnt. Die Frau kommt zwar in der Fernsehdoku zu Wort, aber die Umstände ihrer Ausschaffung werden natürlich nicht thematisiert. Der Tathergang selbst ist hinreichend bekannt. Ob Leibacher erschossen wurde, sich selbst richtete oder verletzt am Boden lag und dann noch abgeschossen wurde, ist letztlich nicht weiter von Bedeutung.

Die offizielle Version
Leibacher wird im Untersuchungsbericht als “Lagerist” bezeichnet. Schon das mag komisch anmuten. Fakt ist, dass die Behörden bis heute von ihren eigenen Verfehlungen ablenken wollen. In Zug haben die massgeblichen Personen kein Interesse, dass das “kooperative” Zuger Justiz- und Verwaltungssystem in die Schlagzeilen gerät. Das Vertrauen der internationalen Unternehmen in dessen Schutz könnte schnell Schaden nehmen. Wir werden also von offizieller Seite nie Genaueres über den Busfahrer erfahren – obwohl ihn in Zug jeder kennt, auch seine Schwächen. Wir werden nie erfahren, wie die Zuger Polizei den Fritzli systematisch drangsalierte. Wir werden nie erfahren, dass die Einstellungsverfügung der Untersuchungsbehörden bewusst geschah. Denn sie hätte dem Chef der Zuger Verkehrsbetriebe nachweisen können, dass er einen besoffenen herumfahren lässt. Er wäre in eine ungemütliche Lage gekommen. Und wir werden bewusst vieles nicht erfahren, was sonst noch so alles in Zug im Justizsystem läuft. Weil man also nicht allzuviel über Leibacher sagen will, bekommt man stattdessen Psychogramme von seiner Persönlichkeit. Das allein schon ist ein Eingeständnis, dass man sich nicht wirklich mit den Zusammenhängen beschäftigen will.

Fazit
Leibacher ist kein Held. Ein Held tötet keine Unschuldigen. Leibacher war kein Krimineller. Die letzte Strafe lag 20 Jahre zurück. Leibacher war kein Psychopath. Er fiel in Zug nicht mehr auf, als viele andere auch. Leibacher ist vielmehr ein Terrorist. Er hatte ein Motiv für sein Attentat. Das ist das Tabu.

Der offizielle Untersuchungsbericht

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