Montag, 23. Juni 2008

Die Plutokratie und ihre Auswirkungen

Wieviel Demokratie ist noch geblieben?
von Prof. Dr. Eberhard Hamer, Hannover

Der Autor gehört einer Generation an, welche nach dem Ende der Hitler-Diktatur die Idee der Demokratie als neues, humaneres Freiheitssystem begeistert begrüsst und sich deshalb auch politisch dafür engagiert hat.
Noch heute ist er überzeugt, dass eine wirkliche Demokratie die menschenwürdigste aller zur Verfügung stehenden Staatsformen wäre. Kein anderes politisches System wertet den Einzelmenschen so hoch, hat theoretisch soviel Achtung vor seiner Freiheit, seiner Menschenwürde und will bewusst den Willen der Bürger in Regierungshandeln umsetzen. Souveränität in der Demokratie liegt bei den vielen Millionen Bürgern. Sie geben nur auf Zeit und widerruflich Regierungsmacht ab an Vertreter, die in ihrem Namen die politischen und gesellschaftlichen Probleme lösen sollen.
Haben wir eine solche Demokratie heute wirklich noch?

• 90% unserer Bevölkerung sind dagegen, dass unsere Regierung den Angriffskrieg der Amerikaner in Afghanistan, im Irak und vielleicht künftig in Iran mit eigenen Hilfstruppen unterstützt. – Der eindeutige Wille dieser Mehrheit spielt aber offenbar für die herrschenden Politiker und Parteien keine Rolle mehr.
• Mehr als 70% der Bevölkerung in Deutschland und wohl auch in Europa lehnen die Machterweiterung der Politkommission in Brüssel durch einen neuen Ermächtigungsvertrag ab. – Dennoch betreibt gerade die deutsche Regierung gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit und ohne Mitwirkung der Bürger diesen weiteren Souveränitätsverlust. Originalzitat Kohl: «Wo kommen wir hin, wenn die Bevölkerung über so wichtige Dinge selbst entscheiden soll?» Was gilt hierbei noch das Mitbestimmungsrecht der Bürger?
• Mehr als 80% der Bevölkerung lehnen eine Aufnahme der Türkei in die EU ab, weil die Türkei nicht zu Europa gehört und dies zu untragbaren Folgewirkungen führen würde. Dennoch betreiben unsere Politiker und Parteien auf Druck der USA nahezu einheitlich die Aufnahme der Türkei gegen den Willen ihrer Wähler. – Sind diese Politiker noch Beauftragte ihrer Wähler?
Die Fälle liessen sich über die Abschaffung der D-Mark gegen 90% der Bevölkerung, über den Vertrag von Edinburg, in welchem Kohl die Tributpflicht Deutschlands an die meisten europäischen Staaten «auf ewig» festgeschrieben hat, über die Nato-Ost-Erweiterung als gezielten Angriff gegen Russland oder andere gegen den eindeutigen Willen der Bevölkerung laufende politische Massnahmen fortsetzen.
Festzuhalten bleibt daraus, dass offenbar das Handeln der führenden Politiker in Deutschland und Europa immer weniger dem Interesse der eigenen Bevölkerung, sondern offenbar anderen Interessen dient. Die Kraft der Demokratie ist offenbar nicht stark genug, dass die Politiker ihr Mandat nach dem Wählerwillen statt nach anderem Willen richten.
Dass die Wähler hiermit nicht einverstanden sind, ist an der sinkenden Wahlbeteiligung ablesbar. Die herrschende politische Elite hat sich jedoch mit einem Trick hierüber hinweggeholfen: Wenn eben nur noch 10% der Bevölkerung zur Wahl gehen, sind 6% eine absolute Mehrheit und man kann weiterregieren. Es kommt nicht auf die Mehrheit der Bevölkerung und Wähler an, sondern nur auf die Mehrheit derer, die überhaupt noch zur Wahl gehen, auch wenn dies nur noch eine Minderheit ist. So ist auch unsere Regierung der «grossen Koalition» nur von einer Minderheit unserer Bevölkerung gewählt. Sie präsentiert nicht die Mehrheit der Gesamtbevölkerung.
Der Regierung ist diese mangelnde demokratische Legitimation längst klar. Sie hat sich deshalb längst wieder der alten Kontrollmechanismen der Diktaturen bedient, um den Wähler in Schach zu halten, als da sind: Der gläserne Steuerbürger, Telefon- und Handyüberwachung, Identifikationsnummern für alle Bürger, die künftig sogar wie schon beim Vieh auch bei Menschen implantiert werden sollen, und die Einführung des Inquisitionsparagraphen 130 StGB, mit welchem die Staatsmacht Dissidenten verurteilen und einsperren lässt – zurzeit mehr als 2500.
So haben wir uns vor 50 Jahren die Demokratie nicht vorgestellt, für die wir gekämpft haben. Wir wollten freie Bürger sein, sind aber immer mehr zu Untertanen geworden. Wenn die herrschenden Politiker, Parteien und der Regierungsapparat eines Volkes sich so offensichtlich von der Bevölkerung abheben, sich nicht mehr als Willensvollstrecker der Wähler fühlen, sondern in ganz entscheidenden Freiheitsdimensionen gegen ihre Wähler operieren, ist das demokratische Selbstverwaltungs- und Delegationsprinzip entscheidend umgekehrt. Unser Herrschaftssystem wird nicht mehr von unten nach oben delegiert, sondern inzwischen zentral bestimmt und von oben nach unten orientiert, befohlen und kontrolliert. Wir sind unmerklich im Laufe der letzten 30 Jahre aus unserer Demokratie in immer mehr Zentralherrschaft gerutscht. Entscheidende Weichenstellungen werden heute nicht mehr demokratisch, sondern gegen das Volk zentral herbeigeführt. Demokratie wird nur noch unten und in Randbereichen geduldet.
Immer wieder bricht schlagartig auf, dass offenbar viele unserer Politiker und Parteien doppelte Loyalitäten haben. Der VW-Skandal zeigte, dass ein Konzern sein Umfeld nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch beherrschte, korrumpierte, bestach und nach seinem Willen dominierte. Früher herrschte ein König in Hannover, heute herrscht VW dort. In anderen Bundesländern ist es nicht anders. Das Königreich Württemberg wird von Daimler-Benz beherrscht, Bayern von Siemens, Nordrhein-Westfalen von den Montankonzernen usw. Selbst ein Kanzler und seine Minister haben sich nach einer Veröffentlichung des Konkursverwalters von Kirch nicht gescheut, jährlich Bestechungsgelder einer ausländischen Finanzmacht anzunehmen. Nach einer Untersuchung des Mittelstandsinstituts Hannover hängt die Mehrheit unserer Bundestagsabgeordneten und hängen alle Parteien am goldenen Zügel der grossen Kollektivorganisationen von Konzernen und Gewerkschaften. Alle Versuche der Bürger und Bürgerorganisationen, die Bestechung von Politikern und Parteien zu verbieten und strafrechtlich zu ahnden, hat das Parlament bisher mit überwältigender Mehrheit verhindert. Bestechung ist nur bei kleinen Beamten strafbar, nicht bei denen, welche die Weichen für die Beamten stellen und über die grossen Schicksalsfragen unseres Volkes bestimmen wollen.
Gründe für die Entdemokratisierung und wachsende Zentralherrschaft

Die Erklärung für die entdemokratisierte Zentralisierung ist aber nicht nur in der ­politischen Korruption zu suchen, sondern in einem Strukturwandel, der sich in den letzten 30 Jahren erstmalig in der Geschichte vollzogen hat: Früher hat die Politik oberste Machtfunktion im Staat gehabt und sollte deshalb alle anderen Bereiche steuern. Dies galt für die Fürsten wie für die Diktatoren ebenso wie für demokratische Regierungen. – Heute aber nicht mehr. Inzwischen haben sich das Finanzkapital und die Konzerne unter dem Stichwort der Globalisierung eine «Freiheit über den Wolken jeder nationalen Gesetzgebung» geschaffen, weil sie jeder Regierung und jedem Land drohen können, in andere Länder (Steueroasen, Billiglohnländer) zu ziehen, wenn die Politik nicht ihren Willen erfüllen sollte. Damit hat sich praktisch die Macht im Staat umgekehrt. Nicht mehr die Politik bestimmt die Wirtschaft, sondern die Grosswirtschaft bestimmt längst die Politik. Die damit zusammenhängende Korruption ist nur eine Folge dieses Machtwechsels.
Dieses ist übrigens nicht nur ein nationales Problem, sondern ein internationales. Auch die USA sind schon lange keine Demokratie mehr, sondern werden von den beiden Hochfinanzgruppen finanziert, beherrscht, dirigiert und politisch manipuliert. Die US-Administration muss eben dort Krieg führen, wo die Hochfinanzgruppen das Öl wünschen oder andere Bodenschätze (Kosovo), oder wenn sie Absatz für ihre Rüstungsindustrie brauchen. Politiker kann man in den USA nur werden, wenn man über die Gelder und Rückendeckung einer der beiden Hochfinanzgruppen verfügt.
Die USA sind längst Plutokratie statt Demokratie und haben dieses System der Kapitalherrschaft über die von ihnen geschaffenen und beherrschten internationalen Organisationen wie Weltbank, WHO, IMF unter anderem für die ganze Welt vorgeschrieben. Auch die EU ist nicht aus dem Willen der Völker entstanden, sondern aus dem Druck der US-Hochfinanz, Europa einheitlich regieren zu können und nicht mit 27 einzelnen – sogar noch auf ihre Souveränität bedachten – Regierungen verhandeln zu müssen.
Kapitalherrschaft ist immer Zentralherrschaft. Zentralherrschaft kann aber Demokratie nicht gebrauchen. Unter dem Stichwort der Globalisierung haben deshalb das internationale Finanzkapital und die internationalen Konzerne die Demokratien in der Welt überall so aufgeweicht, dass sie den entscheidenden Einfluss bekamen und auch gegen die Bevölkerungen Entscheidungen durchsetzen konnten. So ist auch bei uns die Demokratie immer stärker zur Plutokratie verändert worden, zur Herrschaft des internationalen Kapitals und der internationalen Konzerne über die Regierung, die Parteien, den Staat und damit über das Volk.
Wir haben diese Entdemokratisierung viel zu spät gemerkt. Heute aber kommt niemand mehr zu Wort, der diese Entwicklung kritisiert, weil das internationale Kapital auch unsere Medien beherrscht und darüber bestimmt, was in den Medien gebracht werden soll oder darf. Dies wiederum beweist, dass die Entdemokratisierung kein Zufall, sondern zentral gezielte Entwicklung ist.
Dennoch gibt es Hoffnung: Die internationale Hochfinanz hat für die Errichtung ihrer globalen Herrschaft immer grössere Geldsummen benötigt, die sie aus der ihr gehörenden Federal Reserve Bank bisher schöpfen konnte, die aber inzwischen ein Volumen erreicht hat, das nicht mehr beherrschbar erscheint. In den letzten 30 Jahren hat die Hochfinanz das Geldvolumen der westlichen Welt vervierzigfacht, während sich die Gütermenge nur vervierfacht hat. Wir leben also in einer riesigen ungedeckten Finanzblase, die immer schwerer vor dem Platzen zu bewahren ist und wohl bald platzen wird. Platzt sie aber, ist die Macht der Plutokratie zumindest vorübergehend diskreditiert, wird die Bevölkerung sich betrogen fühlen und die Vormacht der alten Betrüger nicht mehr dulden. Dann könnte wieder ein Systemwechsel zurück zur Selbstbestimmung durchgesetzt werden.
Vermutlich hat diese Chance schon begonnen.

2 Kommentare:

Egon Stein hat gesagt…

Die Plutokratie und ihre Auswir-kungen,ein bemerkenswerter Bericht
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Wir sollten nicht auf die hypothe-
tische Hoffnung warten, dass sich das Problem aufgrund eines Finanz-
Collaps schon zu unseren Gunsten einer Demokratie-Erwartung von selbst erfüllt.Alleine der Umkehr-
prozess zur Teil-Selbstversorgung,
braucht eine halbe Generation. Um-
denken,mobilisieren und beginnen,
bedingt einen Leidensdruck;Psyche,
und dieser individuelle Prozess be-
inhaltet Verzicht!Beginnen wir so-fort!!!Egon Stein,CH-6045 Meggen

Tony Banana hat gesagt…

Perfekter Artikel, danke!