Von Roger Köppel
Brüssels Reaktionen auf das Nein der Iren offenbaren den undemokratischen Kern der Union. Bundesbern arbeitet der Euro-Elite darum ungebremst entgegen.
Demokratie ist, wenn am Ende das herauskommt, was die Regierung vorher wollte. Das Volk darf als Akklamationsinstrument die Pläne der Obrigkeit beglaubigen. Stellen sich die Bürger dagegen, haben wir es mit «Populismus», «diffusen Ängsten» oder «Undankbarkeit» zu tun.
Das ist kein Zynismus, sondern eine wertneutrale Zusammenfassung der Deutungen und Reaktionen aus Brüssel auf das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag.
Von Beginn weg lief das europäische Reformverfahren gegen elementare rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze. Im Sommer 2005 wurde die gross lancierte EU-Verfassung in den Niederlanden und Frankreich an den Urnen versenkt. Das auf über 250 Seiten aufgeblähte, unleserliche Konvolut fand keine Mehrheit. Die nur schlecht getarnte Absicht, die Europäische Union mit den Vollmachten und den Symbolen eines Bundesstaates zu versehen, wurde durchschaut und abgewehrt. Wozu auch braucht ein Staatenbund, der angeblich kein Bundesstaat sein will, eine Verfassung samt Hymne, Präsident und Aussenminister?
Folgerichtig zogen die Euro-Politiker die ihnen genehme Konsequenz: Sie änderten die Verpackung, bewahrten den Inhalt, streuten neue Buchstaben ein und hofften, die in «Reformvertrag» umbenannte Verfassung an den Stimmbürgern vorbei in den Parlamenten durchzuschmuggeln. Es war geradezu frech, wie sich Merkel, Sarkozy und seinerzeit Blair für dieses Hintertreppenmanöver in aller Öffentlichkeit auch noch auf die Schultern klopften. Die Iren freilich liessen sich nicht für dumm verkaufen. Nach dem Nein müsste die Ratifizierung jetzt eigentlich sofort gestoppt werden, dennoch will die Euro-Elite unter KommissionsPräsident Barroso während des Verfahrens die Regeln ändern und weitermachen. Einzelne Politiker legten den Iren drohend nahe, sie sollten aus der EU austreten. Die Union gibt sich als das zu erkennen, was sie seit ihrer Gründung ist: ein bürgerfernes Elitenprojekt ohne demokratische Grundlage.
Stimmvolk ausgetrickst
Während die EU in Dublin Schiffbruch erleidet, geht die politische Europäisierung der Schweiz ungebremst weiter. Erst recht seit dem Abgang Christoph Blochers arbeiten Bundesrat, Verwaltung und Parlament der EU streberhaft entgegen. Man zeigt Verständnis für die Druckversuche im Steuerbereich und sucht nach «Lösungen» für Probleme, die von Brüssel konstruiert wurden. Die bilateralen Abkommen wickelt Bern im Sinne Brüssels gegen schweizerische Interessen ab. Letzte Woche knickte der Nationalrat ein. Nach anfänglichem Zögern entschied die Classe politique in Bern, dass es in der Schweiz keine gesonderten Abstimmungen über die Fortführung und die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit geben werde.
Es war ein glatter Bruch mit früheren Versprechungen und ein bemerkenswerter Anschlag auf die Volksrechte. Durch die Verknüpfung wird es unmöglich, ein sinnvolles Referendum zu ergreifen. Indem die Bundesversammlung die zwei Fragestellungen unentwirrbar zu einer verschraubt, trickst sie Brüssel-reif das Stimmvolk aus. Ausserdem wurde ein Automatismus bekräftigt, den man seinerzeit, als man die Bürger für die Bilateralen gewinnen wollte, ausdrücklich verneinte: Wenn Ausdehnung und Weiterführung der Personenfreizügigkeit zusammengehören, verliert die Schweiz faktisch die Souveränität über ihre Zuwanderung. In Zukunft entscheidet Brüssel, wer sich in der Schweiz niederlassen darf. Hätte man das den Leuten schon damals erzählt, wäre es nie zu einem Vertrag gekommen.
Die Schweizer Europa-Politiker zersetzen die Schweizer Demokratie. Bundesrätin Widmer-Schlumpf wirkte von Beginn weg als Sprachrohr Brüssels, als sie sagte, die EU könne es verständlicherweise nicht akzeptieren, dass man die Personenfreizügigkeit nicht auf alle Neumitglieder ausdehne. Die Schweiz würde eine Benachteiligung einzelner Kantone ja auch nicht tolerieren. Das stimmt nicht. Die Europäische Union ist gemäss Selbstdeklaration gerade kein Bundesstaat, so dass ihre Mitgliedsländer auch keine Kantone sind. Wer Analogien dieser Art verbreitet, führt das eigene Volk an der Nase herum.
Vor zehn Jahren wurde der damalige FDP-Präsident Franz Steinegger in einem Interview gefragt, ob die Schweiz nach den abschlägigen EU-Volksabstimmungen nun einfach «Rädchen um Rädchen, Schritt für Schritt» der EU beitreten werde. Die Antwort des linksfreisinnigen Politikers fiel eindeutig aus: «Ganz klar. In der direkten Demokratie sind konkrete Schritte der einzige Weg, um weiterzukommen.» Exakter lässt sich die heimliche Agenda unserer Euro-Politiker nicht umschreiben. Das parlamentarische Verknüpfungsmanöver machte es deutlich. Der bilaterale Weg soll am Volk vorbei direkt in die EU führen. Die Berner Elite bereitet im Verdeckten einen Beitritt vor. Ironischerweise driftet sie ausgerechnet dann Richtung Brüssel, wenn die EU ihre grössten Schwächen offenbart.
Donnerstag, 19. Juni 2008
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