Donnerstag, 26. März 2009

Tigris - Die Schlägertruppe des Bundes

Die «Tiger» tarnen sich jetzt als «Tigerli»

Die Bundeskriminalpolizei täuschte die kantonalen Polizeikommandanten über den wahren Zweck ihrer «Einsatzgruppe Tigris». Ausländische Anti-Terror-Spezialisten bildeten den Kampftrupp des Bundes aus.

Von Daniel Ammann

Die Parlamentarier wussten nichts davon, die kantonalen Polizeidirektoren wussten nichts davon, mehrere kantonale Polizeikommandanten wussten nichts davon. Geheim aber soll die geheime «Einsatzgruppe Tigris» der Bundeskriminalpolizei trotzdem nicht gewesen sein, sagte alt Bundesrat Christoph Blocher Anfang Woche der Schweizerischen Depeschenagentur. Und: Es handle sich «auf keinen Fall um eine Bundessicherheitspolizei».

Justizminister Blocher wusste von den «Tigern» und liess sie weiterlaufen – trotz seiner «Skepsis», wie er sagte («Ich hätte sie kaum bewilligt»). Gegründet worden war die «EG Tigris» zwar 2003 noch unter der Ägide von Ruth Metzler. Doch neu ausgerichtet, ausgebaut und bewaffnet wurde sie unter Blocher (2004–2007). Ihren 2,9 Millionen Franken teuren Stützpunkt in den Militäranlagen Worblaufen bezogen die Kampfpolizisten schliesslich unter der aktuellen Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Nachdem sie sich erst ahnungslos gegeben hatte, sagte sie am Sonntag, es brauche eine solche Truppe. Die Bundesrätinnen und Bundesräte haben allen Grund, die Aufregung um die so umstrittene Bundeskampftruppe herunterzuspielen. Schliesslich waren beziehungsweise sind sie politisch dafür verantwortlich, was in ihren Ämtern passiert.

Und die Aufregung ist gross, seit die Weltwoche letzte Woche die Elite-Einheit aus der Dunkelkammer Bundeskriminalpolizei ans Licht brachte. Der grüne Nationalrat Daniel Vischer verlangt in einer Motion vom Bundesrat, «die kriminalpolizeiliche Kampftruppe unverzüglich aufzulösen». Sie verfüge, sagt er, «weder über eine gesetzliche Grundlage noch über eine politische Legitimation». Sein Parteikollege Josef Lang will wissen, wie sich der Aufbau einer solchen Sondereinheit mit der kantonalen Polizeihoheit vertrage. Der Aargauer Sozialdemokrat Max Chopard verlangt Auskunft über die Einsatzdoktrin der «Tiger».

Aktiv wird auch die Geschäftsprüfungskommission (GPK), also die parlamentarische Aufsichtsinstanz der Regierung. Es stelle sich die Frage, sagte die fürs Justizdepartement zuständige Genfer SP-Nationalrätin Maria Roth-Bernasconi, ob der Aufbau der Tigris unter Umgehung des Parlaments rechtens gewesen sei: «Wir wollen wissen, ob diese Einheit opportun ist, ob sie effizient arbeitet und warum nicht offen informiert wurde.» Gegenüber der Weltwoche betont Roth-Bernasconi, dass die GPK nichts von der Einsatzgruppe gewusst habe. Sie widerspricht damit alt Bundesrat Blocher, der sagte, die parlamentarische Delegation hätte «auf jeden Fall» davon gewusst.

Wichtig zu wissen: Erst vor kurzem inspizierte die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates die Bundeskriminalpolizei zum letzten Mal. Am 25. November besuchte eine Delegation der parlamentarischen Aufsicht das Amt. Allein, die «Tiger» blieben ihr verborgen. Die Existenz der Einsatzgruppe Tigris wurde der Aufsichtskommission verschwiegen. Roth-Bernasconi passt das gar nicht. «Das müssten wir wissen», sagt die Nationalrätin. Sie findet, dass die Bundeskriminalpolizei (BKP) eine «Bringschuld» hat, wenn sie eine derart heikle Truppe aufbaut: «Sie muss das Parlament aktiv darüber informieren.»

«Nur zur Selbstverteidigung»
Genau das wollte die BKP-Führung unter Kurt Blöchlinger offensichtlich nicht. Auch die kantonalen Polizeidirektoren wurden nicht aktiv über die Kampftruppe des Bundes informiert. Fragt man das Bundesamt für Polizei, wieso denn nicht, heisst es: «Wir haben unsere Informationspflicht gegenüber unseren kantonalen Partnern wahrgenommen, indem wir die Einsatzgruppe anlässlich der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten im September 2005 [. . .] präsentiert haben. Es ist unserer Meinung nach Sache der Polizeikommandanten, ihre Vorgesetzten, namentlich die Polizeidirektoren, anschliessend ins Bild zu setzen.»

Über was aber wurde in jenem September 2005 eigentlich genau informiert? Am Mittwoch, dem 14. September 2005, trafen sich die Polizeikommandanten der Kantone zu ihrer 96. Jahreskonferenz. Tagungsort war ein Fünf-Sterne-Luxushotel in Genf, das «Intercontinental». Sie diskutierten, wie gross die Risiken islamistischer Umtriebe in der Schweiz wirklich seien. Die Kommandanten redeten darüber, ob die Kantone davon betroffen sind, dass das Parlament den Ausbau der Bundeskriminalpolizei stoppte.

Nach dem Jahresbericht des Präsidenten schliesslich kam Traktandum 10 zur Sprache: «Tigris – die Einsatzgruppe der Bundeskriminalpolizei». BKP-Chef Kurt Blöchlinger informierte die kantonalen Polizeikommandanten über ein neu geschaffenes «Kommissariat». Diese Einsatzgruppe, sagte er, sei zuständig für «allgemeine Vorermittlungen», «erste Massnahmen» und «Zielfahndungen». Ein Teilnehmer der Konferenz verstand darunter, was man als Polizist unter ersten Massnahmen versteht: Bei einem neuen Fall wird abgeklärt, in welche Kompetenz er fällt. Ist es Bundessache oder ist ein Kanton dafür zuständig? Zielfahnder suchen ausgeschriebene Straftäter. Klassische kriminalpolizeiliche Aufgaben. Blöchlinger betonte denn auch, bei der Einsatzgruppe handle es sich um ein «kriminalpolizeiliches Element».

Dann legte Blöchlinger eine Folie auf, welche die Kommandanten beruhigen sollte, die allenfalls befürchteten, die Einsatzgruppe des Bundes könnte die kantonale Polizeihoheit verletzen: «Die Einsatzgruppe Tigris ist keine Interventionseinheit analog der Kantone», stand auf dieser Folie unmissverständlich. Als Interventionseinheit versteht man gemeinhin eine Spezialeinheit, die bei besonders gefährlichen oder gewalttätigen Straftätern zum Einsatz kommt, bei bewaffneten Geiselnahmen etwa oder bei Terroristen.
Der Aargauer Polizeikommandant fragte anschliessend noch, ob die Mitarbeiter der Tigris nur in Zivil aufträten oder ob sie auch polizeiliche Aufschriften und Abzeichen trügen. Blöchlinger antwortete, die Beamten der Tigris hätten Gilets mit der Aufschrift Polizei, die sie überziehen können, um während eines Einsatzes erkennbar zu sein. Der Schaffhauser Kommandant wollte wissen, wie die EG Tigris den Gebrauch von Schusswaffen handhabe. Die Schusswaffen, sagte Blöchlinger, seien «nur zur Selbstverteidigung». Die Kosten der Bundestruppe waren kein Thema.

Ein Polizeikommandant eines grösseren Kantons, der dabei war, kriegte den Eindruck, bei der Tigris handle es sich bloss um eine Gruppe von speziell ausgebildeten Kriminalpolizisten, die sich auch um Verhaftungen kümmern und im Auftrag des Bundes ausgeschriebene Straftäter aufspüren. Eine solche «niederschwellige Gruppe», wie er sagt, schien ihm sinnvoll und zweckmässig. Das mag der Grund sein, dass die Kommandanten die Information über Tigris nicht an ihre politischen Vorgesetzten, die Polizeidirektoren der Kantone, weitergaben: Sie war nicht wichtig, da «keine Interventionseinheit analog der Kantone».

«Stage» bei der GSG 9
Blöchlinger führte, man kann es nicht anders sagen, die Kommandanten hinters Licht. Ein Eingeweihter spricht von «Täuschung»: Die Einsatzgruppe Tigris ist nämlich nichts anderes als «eine Interventionseinheit analog der Kantone». Ein Beteiligter schilderte sie uns als «Hardcore-Interventionseinheit», ein anderer als «reines Interventionsinstrument». Davon zeugen auch die Ausrüstung, die Ausbildung und die Infrastruktur der «Tiger». So verfügt die Tigris über alles Material, das eine gutausgerüstete Anti-Terror-Einheit braucht. Von Maschinenpistolen und Rammböcken über Blendgranaten und Knallpetarden bis zu Flinten und Kevlar-Helmen. So haben die «Tiger» eine klassische Grenadierausbildung, wie sie für Interventionseinheiten üblich ist. So bildeten sogar ausländische Anti-Terror-Spezialisten die Schweizer Bundespolizisten aus – zum Beispiel in Nahkampf, Taktik und Schiessen. «Tiger» besuchten nach Informationen der Weltwoche Lehrgänge unter anderem bei der legendären GSG 9 der deutschen Bundespolizei und beim «Einsatzkommando Cobra» des österreichischen Innenministeriums. Das Bundesamt für Polizei bestätigte, dass «Angehörige der Einsatzgruppe zur Weiterbildung Stages bei ausländischen Partnern» absolvierten. Das Amt weigerte sich aber zu sagen, wo diese «Stages» stattfanden. Schliesslich ist auch die Infrastruktur auf eine Interventionseinheit gemünzt, mit einer interaktiven Schiessanlage und einem Spezialraum, um die Stürmung von Wohnungen einzuüben.

Das alles zeigt klar, wohin die Reise gehen sollte. Es ist wenig glaubwürdig, die «Tiger» nun als harmlose «Tigerli» zu tarnen. Das weiss auch die BKP-Führung – allen öffentlichen Verlautbarungen zum Trotz – selber am besten. Tigris-Chef Michael Jaus stellte erst vor kurzem stolz fest, seine Einsatzgruppe sei jetzt die beste Sondereinheit der Schweiz. Seine Männer, die laut «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens das «Tiger»-Logo auf die Schulter tätowiert haben, hörten die Worte ihres Chefs mit Stolz.

Die engen Freunde Blöchlinger und Jaus hatten bis letzte Woche ehrgeizige Pläne für die Einsatzgruppe Tigris. Sie wollten sie von den heute vierzehn auf mehrere Dutzend Elitepolizisten ausbauen. Sie wollten einen 24-Stunden-Pikettdienst einrichten. Sie wollten, dass sämtliche Verhaftungen der Bundespolizei nur durch die Tigris erfolgen sollten. Sie wollten den Bundessicherheitsdienst, der für den Personen- und Gebäudeschutz zuständig ist, an die Einsatzgruppe anbinden. Nationalrat Josef Lang hat wohl recht, wenn er vermutet, dass die Tigris in Richtung eines «Sicherheitsdetachements light» ging. Ruth Metzler scheiterte 2002 mit ihrer Idee einer solchen Bundespolizeitruppe. Im Jahr darauf segnete sie die Bildung der Einsatzgruppe Tigris ab.

Die ehrgeizigen Pläne der «Sheriffs», wie Blöchlinger und Jaus intern genannt werden, dürften erledigt sein. Das Parlament wird jetzt, endlich, die Einsatzgruppe beobachten und begleiten. Die wichtigsten Fragen sind gestellt: Ist sie nötig, nützlich und wirksam? Sind die 2,7 Millionen Franken, die sie uns jedes Jahr kostet, gerechtfertigt? Gibt es eine gesetzliche Grundlage für sie? Verletzt sie die Polizeihoheit der Kantone? Und vor allem: Wurde sie, weil sich niemand um sie kümmerte, hinter dem Rücken der Politik ausgebaut?

Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 13/09

Keine Kommentare: