Donnerstag, 19. März 2009

Offener Brief an Peer Steinbrück

Natürlich sind wir Indianer

Ein offener Brief von «Bund»-Redaktor Marc Lettau an den deutschen Finanzminister Peer Steinbrück.

Sehr geehrter Herr Steinbrück, Ihre Partei, die SPD, hat ja eben Post von unserem Genossen Christian Levrat bekommen – mit dem sinngemässen Inhalt, es sei aus Sicht der schweizerischen Sozialdemokratie wirklich nicht nett von Ihnen, mit der Schweiz nicht nett zu sein.

Den exakten Inhalt von Levrats «offenem Brief» kennen wir freilich nicht, denn so offen war dieser auch wieder nicht. Wir – ein innovationsmächtiges Medium aus der schweizerischen Hauptstadt Bern, ein Medium mit völlig unverbautem Blick in die Zukunft – möchten heute die Unzulänglichkeiten von Levrats Schreiben ausbügeln: Wir richten einen tatsächlich offenen, öffentlichen und in zigtausendfacher Ausführung gedruckten Brief an Sie.

Einfach ist das nicht! Sie müssen wissen, dass wir bereits bei der Formulierung der Anrede einige Unsicherheit verspürten: Wie spricht man einen deutschen Minister an, der hierzulande der eigenen Landesregierung die Zornesröte ins Gesicht treibt, der von unserer Boulevardpresse als meistgehasster und hässlichster Deutscher geadelt wird und der unser sonst so gesittetes Parlament zu Nationalsozialismusvergleichen verführt?

Darf man angesichts dieser für helvetische Verhältnisse ungewöhnlich heftigen Gemütswallungen einen öffentlichen Brief überhaupt noch mit «Sehr geehrter Herr Steinbrück» oder gar mit einem jovialen «Lieber Herr Steinbrück» beginnen, ohne sich selbst dem Volkszorn auszusetzen?

Wir bleiben trotz diesen Überlegungen bei der Anrede «Sehr geehrter Herr Steinbrück». Wir tun dies nicht, weil wir besonders mutig oder besonders unterwürfig sind, sondern weil es Ihnen gar nicht geglückt ist, die ganze Nation zu demütigen. Natürlich wählte auch unser geschätzter Redaktionskollege Forster gestern den Titel «Gedemütigte Schweiz». Und selbstverständlich ärgern sich hierzulande äusserst viele über Ihren herablassenden Jargon, Ihre Überheblichkeit, Ihre Ferne zu den hiesigen Realitäten.

Sie dürfen das aber nicht missverstehen, denn wir Schweizerinnen und Schweizer lieben es, wenn jemand zur Verfügung steht, über den wir uns masslos und manchmal auch grundlos ärgern dürfen. Und wir sind froh, wenn dieser Jemand auch mal ausserhalb der Landesgrenzen wohnt. Unsere eigenen Jemands in diesem Bereich verdienen nämlich auch mal eine Pause. Deshalb beinhaltet dieser offene Brief zunächst ein für Sie vielleicht überraschendes, nüchternes: Danke!

Gleichwohl müssen wir Sie öffentlich massregeln, haben Sie doch hierzulande die sonst so solide öffentliche Ordnung gestört. Wie wir Ihnen bereits gesagt haben, haben sie zwar nicht wirklich die Nation als Ganzes gedemütigt, aber Sie haben uns in demütigender Weise vor Augen geführt, wie einflusslos unsere Landesregierung im internationalen Konzert mitmusiziert. Sie spielen Posaune – und überlassen den unsrigen den kläglichen Triangel. Das ist nicht fair, zumal die Unsrigen nicht einmal die Partitur kennen! Apropos Partitur: Da trifft doch unsere Wirtschaftsministerin am World Economic Forum (WEF) in Davos (Schweiz) die Grossen der Welt, plaudert gar mit OECD-Generalsekretär Angel Gurría – erfährt dabei aber nicht, dass die Schweiz im Begriff ist auf einer Liste der satanischen Steuerlöcher zu enden. Natürlich stellt unsere Regierung dies so gut sie dies kann als Unhöflichkeit gegenüber der Schweiz dar. Aber selbstverständlich sind wir primär beleidigt, über eine Landesregierung zu verfügen, die in wichtigen Momenten ausserstande ist zu erfahren, was wirklich läuft.

Kommen wir aber endlich zur Sache mit den Indianern! Ihre Bemerkung war in der Tat äusserst inkompetent. Sie verkannten, dass wir Cowboys und andere Pistoleros grundsätzlich nicht besonders mögen, weil wir im Innersten vielleicht tatsächlich Europas letzte, echte Indianer sind. Sie hätten es wissen können! Erinnern Sie sich denn nicht, mit welcher Innigkeit das ganze schweizerische Volk die Fährte von Problembär JJ2 verfolgte? Ein paar feuchte Bärentatzenabdrücke mögen Sie als Deutschen unberührt lassen. Uns Indianer, die wir näher am Ursprünglichen leben, sicher nicht.

Hätten Sie rechtzeitig begriffen, was den Indianer ausmacht, hätten Sie sich sowieso anders geäussert. Indianer sind recht cool. Indianer rauchen vor ihren Wigwams bewusstseinserweiternde Kräuter. Aber vor allem: Der Indianer hat kein Bankkonto. Er ist den materiellen Werten viel weniger zugetan, als Sie sich dies vorstellen können. Genau darin liegt schliesslich das Unsägliche Ihrer Kritik. Sie haben pauschalisiert das ganze schweizerisch-indianische Volk mit raffgierigen Vermögensverwaltern gleichgesetzt. Sie haben dabei ganz ausser Acht gelassen, dass es selten die Indianer selbst sind, die ab und zu Mist bauen, sondern wenn schon deren Häuptlinge. Wer die Häuptlinge meint, aber die Indianer haut, erntet deren Geheul. Das ist, was Sie jetzt hören. Seien Sie also das nächste Mal präziser bei der Adressierung Ihrer Anmerkungen.

Nun denn, Herr Steinbrück: Wir wünschen Ihnen für die nächsten Tage etwas mehr Kommunikationsgeschick im Umgang mit den ausserhalb der EU verbliebenen indigenen Völkern Europas und verbleiben mit unaufgeregtem Gruss an Ihre Kavallerie. Wir haben die unsrige bereits 1972 abgeschafft.

Marc Lettau, Redaktion «Der Bund», Bern

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