Donnerstag, 8. Mai 2008

Volksouveränität statt Behördenpropaganda

Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» ist dringend notwendig
Zur eidgenössischen Volksabstimmung am 1. Juni
von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zürich

Die Initiative verlangt, dass die freie Willensbildung der Stimmberechtigten vor Volksabstimmungen wieder gewährleistet ist, wie es die Bundesverfassung vorschreibt. Zu diesem Zwecke muss die Exekutive (Bundesrat und Bundesverwaltung) auf ihre in den letzten Jahren überbordende Propagandatätigkeit verzichten, die das erklärte Ziel verfolgt, Abstimmungen «zu gewinnen» (gegen wen?). Statt dessen sollte sie ihren verfassungsmässigen Informationsauftrag erfüllen, was sie oft unterlässt.

In den Schweizer Tageszeitungen wird zurzeit häufig beteuert, mit seinen Abstimmungskampagnen erfülle der Bundesrat lediglich seinen Informationsauftrag. Diese Behauptung ist falsch. Es muss unterschieden werden zwischen der kontinuierlichen Informationspflicht des Bundesrates und seiner Propagandatätigkeit vor Volksabstimmungen.
Was beinhaltet die verfassungsmässige Informationspflicht des Bundesrates?

Der Bundesrat hat tatsächlich den verfassungsmässigen Auftrag, die Bevölkerung über seine Planung und seine Tätigkeit kontinuierlich zu informieren:
«Er [der Bundesrat] informiert die Öffentlichkeit rechtzeitig und umfassend über seine Tätigkeit […]».
Artikel 180 Absatz 2 der Bundesverfassung
Im dazugehörigen Bundesgesetz wird diese Informationspflicht des Bundesrates präzisiert:
«Art. 10 Information
1 Der Bundesrat gewährleistet die Information der Bundesversammlung, der Kantone und der Öffentlichkeit.
2 Er sorgt für eine einheitliche, frühzeitige und kontinuierliche Information über seine Lagebeurteilungen, Planungen, Entscheide und Vorkehren.»
Artikel 10 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes [RVOG]
Die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» richtet sich nur gegen die Propaganda des Bundesrates im Abstimmungskampf, aber gerade nicht dagegen, dass er «seine Politik erklärt und darüber informiert, wie er seine Führungsaufgabe wahrnimmt», wie Bundesrätin Leuthard am 26. April anlässlich der Delegiertenversammlung der CVP fälschlicherweise behauptet hat. Im Gegenteil nehmen wir Bürgerinnen und Bürger den Bundesrat in seine Pflicht, über seine politische Tätigkeit lückenlos zu informieren. Diesen verfassungsmässigen Auftrag erfüllt der Bundesrat oft nicht, sondern wägt nach taktischen Überlegungen ab, ob und wieviel er dem Volk überhaupt verraten will. Vor allem seine Absichten, die Schweiz noch mehr in internationale Organisationen wie Nato, EU und WTO einzugliedern, hält die Exekutive lieber so lange wie möglich verdeckt.
Fazit: Die Informationspflicht des Bundesrates beinhaltet in erster Linie die kontinuierliche Erklärung seiner Politik und nicht den Auftrag, vor der Abstimmung alle Mittel einzusetzen, um eine Vorlage «durch die Abstimmung zu bringen» und so faktisch die Souveränität des Volkes ausser Kraft zu setzen.
Was will die Volksinitiative?

Statt seine Pflicht zu erfüllen, die Bevölkerung frühzeitig über seine Pläne und Tätigkeiten zu informieren, nimmt der Bundesrat seine «Informationstätigkeit» vor Volksabstimmungen in Angriff. Da setzt er viele Millionen von Steuergeldern dafür ein, sich von Spin-doctors beraten zu lassen, wie er die Stimmberechtigten dazu bringen kann, so abzustimmen, wie er es für richtig hält. Seit einigen Jahren wurde die direkte Demokratie dadurch klammheimlich in eine «gelenkte Demokratie» umgewandelt, in der das Stimmvolk in die von Bundesbern gewünschte Richtung gelenkt werden soll.
Ein solches Gebaren verstösst gegen die Bundesverfassung:
«Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.»
Artikel 34 Absatz 2 BV

Gegen diese massiven Eingriffe der Exekutive in die Freiheit der politischen Willensbildung setzt sich die Initiative zur Wehr und fordert die Wiederherstellung der Volkssouveränität. Deshalb will sie die Informationstätigkeit von Bundesrat und Bundesverwaltung vor Volksabstimmungen auf die Publikation der Abstimmungsbroschüre und eine kurze Stellungnahme in den Medien beschränken. Der Abstimmungstermin soll zudem sechs Monate im voraus bekanntgegeben werden, damit die Stimmberechtigten genügend Zeit haben, sich zu informieren. Die Abstimmungsvorlagen sollen unentgeltlich bezogen werden können, was zum Beispiel bei den bilateralen Verträgen I mit der EU nicht der Fall war.
Ehrliche Information statt Propaganda

Zu diesen Mitteln hätten die Initianten nicht greifen müssen, wenn der Bundesrat wie in früheren Zeiten einen ehrlichen Umgang mit dem Bürger und ein wahrheitsgetreues Informationsgebaren pflegen würde. Mir persönlich wäre ein offener, ehrlicher Austausch zwischen Behörden und Bürgern weit lieber als der unehrliche Weg, den Bundesbern beschritten hat und der das klare Gegensteuer der Initiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» leider notwendig macht.
Es ist absurd, wenn ein deutscher Publizistikwissenschafter behauptet, der Bundesrat stelle vor Abstimmungen «nur Wissen und Informationen bereit» und befleissige sich «zurückhaltender Mitwirkung». Gemäss dem Leitbild, das die Bundesverwaltung für seine Kommunikationstätigkeit erlassen habe, seien «Propaganda und Formen der persuasiven Kommunikation nicht möglich» [Hervorhebung der Verfasserin] (Otfried Jarren in «Neue Zürcher Zeitung» vom 30. April).
Es ist anzunehmen, dass Herr Professor Jarren mit dem erwähnten Leitbild den bundeshausinternen «Bericht der Arbeitsgruppe erweiterte Konferenz der Informationsdienste (AG KID)» vom November 2001 meint, der unter dem Titel «Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen» herausgegeben wurde.
Diese Broschüre hat die Initianten geradezu von der Dringlichkeit der Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» überzeugt.
Hier nur ein kleines Muster:
Unter dem Titel «Medienorientierung des Bundesrates» ist Folgendes zu lesen (Seite 35):
«In den letzten Jahren hat es sich eingebürgert, dass der Bundesrat seine Abstimmungskampagne rund zwei Monate vor dem Abstimmungstermin mit einer Medienorientierung im Bundeshaus eröffnet. Bei wichtigen Themen, die verschiedene Departemente betreffen, treten bis zu drei Mitglieder des Bundesrates gemeinsam auf.
An der Medienorientierung werden in der Regel folgende Unterlagen in drei Sprachen verteilt:
– Pressemitteilung
– Kurzübersicht über die Vorlage
– Musterreferat (wird auch verwaltungsexternen Referenten zur Verfügung gestellt)
– Argumentarium / Glossar
– Fact-Sheet
– wenn möglich Abstimmungsbüchlein
Bei komplexen Themen werden Medienseminare angeboten, in denen Experten die Materie erklären.
Die Wirkung der Medienorientierung ist gross. Die meisten Medien übernehmen die wichtigsten Aussagen der Mitglieder des Bundesrates, welche damit in einer zentralen Phase der Meinungsbildung grossräumig Präsenz markieren und ihre Argumente darlegen können.
Medienorientierung: Folgerung
Wenn möglich sollte der Bundesrat versuchen, seine Startmedienorientierung vor den anderen Akteuren durchzuführen.»

Kommentar überflüssig!

Die Lektüre dieses «Berichts» der Kommunikationsabteilung des Bundesrates über ihre eigenen Praktiken ist eine gute Einstimmung auf die Volksabstimmung vom 1. Juni.
Beispiel Volksinitiative: bewusste Verdrehungen

Die manipulative Propaganda des Bundesrates macht nicht einmal vor der Abstimmung über die Volksinitiative halt, die diese Missstände gerade beheben will. An der CVP-Delegiertenversammlung vom 26. April hat Bundesrätin Doris Leuthard als Begründung für ihre Ablehnung der Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» erklärt, «Maulkörbe seien für bissige Hunde. Der Bundesrat hingegen müsse seine Politik erklären und darüber, wie er seine Führungsaufgabe wahrnehme, informieren können.»
Es ist der Gipfel an Manipulation, wenn der Bundesrat den Spin-doctor-Begriff «Maulkorb», den er selbst bzw. Ex-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz vor vier Jahren zwecks Diskreditierung der Initiative in die Welt gesetzt hat, den Befürwortern der Initiative zuschiebt.
Die Initiative will dem Bundesrat nämlich keineswegs einen «Maulkorb» verpassen, sondern nur seiner in den letzten Jahren überbordenden Propagandatätigkeit mit zudem fragwürdigen Methoden einen Riegel schieben. Es spricht für sich, dass der Bundesrat es als lästigen Maulkorb empfindet, wenn er daran gehindert werden soll, weiter fragwürdige Mittel einzusetzen, um Abstimmungen gegen das Volk «zu gewinnen.»
Beispiel Nato-Integration der Schweizer Armee (eidgenössische Volksabstimmung 2001)

Erster Schritt:
Mangelhafte und irreführende Information
Zum seit Jahren geplanten allmählichen Umbau der Schweizer Armee in Richtung Nato-Integration hätte der Bundesrat lange vor der Abstimmung über die Armeereform im Jahre 2001 informieren müssen. Dies hat er aber nicht getan. Die Umwandlung der Schweizer Armee von einer dem Grundsatz der Neutralität verpflichteten reinen Verteidigungsarmee zu einer Armee XXI nach den Vorgaben der Nato hat uns der Bundesrat wider besseres Wissen als «humanitäre Friedenseinsätze der Schweiz» verkauft. Erst vor der Abstimmung erfuhren diejenigen Stimmberechtigten, die sich nicht nur beim Bundesrat, sondern auch bei den Kritikern der Armee XXI informierten, dass die Schweiz bereits seit Jahren Mitglied der PfP und deshalb weitgehend in die Nato integriert war. In der direkten Demokratie Schweiz wurde das Volk nicht einmal gefragt, ob es den Beitritt zur Nato-Organisation PfP wolle oder nicht.

Lagebeurteilung:
Mehr «Einsatz» des Bundesrates nötig
Trotz der oben beschriebenen Nicht- und Falschinformation konnte sich der Bundesrat keineswegs sicher sein, ob die Bevölkerung der Armeereform und insbesondere den Auslandeinsätzen der Schweizer Armee zustimmen werde. Wenn man weiss, dass die Schweizer Bevölkerung in Befragungen zur Neutralitätspolitik regelmässig mit 80% bis 90% die Neutralität beibehalten will, kann man ermessen, dass weit handfestere Methoden nötig waren, um diese Standfestigkeit der Stimmbürger ins Wanken zu bringen.
Also griff der Bundesrat zu Methoden, auf Grund derer die Armee XXI in der Volksabstimmung knapp angenommen wurde. Es ist bitter, dass die Schweiz mit diesem verhängnisvollen Entscheid ihre Friedenspolitik aufgegeben hat und seit dem 19. Jahrhundert erstmals wieder Söldnertruppen in Kriegseinsätze ins Ausland schickt.

Zweiter Schritt:
Manipulation par excellence
Einige Zeit nach der Abstimmung gab Bundesrat Leuenberger offen zu, dass er die Gegner der Vorlage zur Rechten und zur Linken bewusst gespalten habe, um die Vorlage durchzubringen:
«Militärgesetzvorlage 2001. Abstimmungsgetöse. Die Rechte war dagegen, ein kleiner Teil der Linken ebenfalls. Als sozialdemokratischer Bundespräsident wandte ich mich gegen die diffamierende Kampagne der Rechten und setzte die Kampagne mit der Nein-Parole gleich. Ich errichtete der zweifelnden Linken eine moralische Barriere, für die Vorlage zu stimmen, weil sie sich sonst im Lager der (rechten) Gegner befunden hätte. […] Diese Intervention scheint für die knappe Annahme der Vorlage entscheidend gewesen zu sein, eine Verführung zu einem, wie ich meine, richtigen und guten Resultat also.»1
Dass Bundesrat Leuenberger diese Vorgehensweise – bei deren Enthüllung jedem demokratisch Denkenden der Atem stockt – nach der Abstimmung so unverfroren zugegeben hat, zeigt, dass die «Lenkung» der Stimmberechtigten «in die richtige Richtung» bereits seit langem salonfähig geworden ist. Nur mit diesen absolut unzulässigen Mitteln hat der Bundesrat die Armee XXI knapp durchgebracht.
Dagegen wendet sich die Volksinitiative «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda». •

1 Rede von Bundesrat Moritz Leuenberger «Das Böse, das Gute, die Politik», veröffentlicht am 6.9.2002 vom Eidgenössichen Departement für UVEK, www.uvek.admin.ch

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