Mittwoch, 14. Mai 2008

Alice Schwarzers billige Polemik

Schwarzer-Äußerungen: Offener Brief an die Jüdische Gemeinde Frankfurt vom 6. Mai 2008

Doña Carmen e.V.
- Verein für soziale und politische
Rechte von Prostituierten -

Elbestraße 41
60329 Frankfurt/Main
Tel/Fax: 069/ 7675 2880
eMail:DonaCarmen@t-online.de
www.donacarmen.de

An den
Vorstand
der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Westendstraße 43
60325 Frankfurt/Main
z. Hd. Prof. Dr. Salomon Korn

OFFENER BRIEF

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Korn,

es kommt sicherlich nicht oft vor, dass eine Prostituiertenorganisation sich an Sie in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Vorstands der Jüdischen Gemeinde Frankfurt wendet. Unser Anliegen - da können wir Sie vorab beruhigen - betrifft aber nicht so sehr das Thema Prostitution, als vielmehr ein öffentliches Ereignis in dieser Stadt, von dem wir erwartet hätten, dass Sie bzw. die Jüdische Gemeinde Frankfurt dazu öffentlich und kritisch Stellung bezogen hätten.

Worum es geht, ist die Auszeichnung von Alice Schwarzer mit dem Ludwig-Börne-Preis. Doña Carmen e.V. hat sich, wie Sie Medienberichten entnehmen können, dazu sehr kritisch geäußert. Wie kann eine Frau Schwarzer, die die Rückgängigmachung des Prostitutionsgesetzes von 2002 fordert, die die Strafbarkeit der Förderung von Prostitution wieder eingeführt und Prostitutionskunden kriminalisiert sehen möchte, nach mehr Kontrolle und Überwachung des Prostitutionsgewerbes ruft und eine bessere Ausstattung der Polizei fordert, sodass diese noch mehr Razzien gegen die dort tätigen Frauen durchführen kann – kurzum, wie kann jemand, der in dieser Weise nach einem starken Staat und nach mehr staatlicher Repression gegenüber einer rechtlich diskriminierten Bevölkerungsgruppe ruft, mit einem nach dem jüdischen Demokraten Börne benannten Preis ausgezeichnet werden, einem Mann, der als aufrechter Demokrat und Angehöriger einer gesellschaftlich benachteiligten und drangsalierten Minderheit immer wieder mit preußischer Zensur und Polizei aneinander geriet?

Man mag einwenden, dass wir dem von uns vertretenen Anliegen - der Entkriminalisierung und (zweifellos strittigen) gesellschaftlichen Anerkennung von Prostitution - ein zu großes Gewicht beimessen, das in Abwägung mit der journalistischen Lebensleistung einer Frau Schwarzer für zu leicht befunden wird. Und zweifellos müssen wir einräumen, dass wir parteiisch sind und Interessen vertreten, lediglich die einer gesellschaftlichen Minderheit, einer diskriminierten obendrein. Doch kann all dies den prinzipiell richtigen Kern unserer Kritik in Frage stellen?

Der Name Ludwig Börne steht nicht nur für aufrechtes demokratisches Engagement in diesem Land, sondern auch für das den Juden von der Mehrheitsgesellschaft zugefügte Leid, ein unermessliches Leid, wie wir spätestens seit der Nazizeit wissen. Vor diesem Hintergrund ist es erschreckend, wie leichtfertig die Börne-Preisträgerin Frau Schwarzer in ihrer Dankesrede von einer geradezu „evidenten Parallelität zwischen der Judenfrage und der Frauenfrage“ spricht. Frauenleid und „Judenschmerz“ miteinander vergleichen – das nennt SPIEGEL online in einem Kommentar zur Paulskirchenrede Schwarzers mit Recht einen „riskanten Vergleich“.

Doch Frau Schwarzer geht in ihren Publikationen noch viel weiter: Denn dort beschränkt sie sich weder auf die Behauptung einer „Parallelität“ von Juden- und Frauenfrage im 19. und 21. Jahrhundert - wie ihr dies in der Paulskirchenrede offenbar opportun erschien - , noch blieb es beim bloßen Vergleichen. Sie macht in ihren bisher veröffentlichten Publikationen ohne zu zögern den Schritt vom riskanten Vergleich zur Gleichsetzung von Frauen und Juden als Opfer.

Schon 1985 glaubte Schwarzer zu wissen, „dass auch ich selbst zu einer minderen Rasse gehöre: zu der der Frauen.“ (Mit Leidenschaft, 1985, S.135) Schließlich hätten auch die Frauen einen Genozid vorzuweisen: die Millionen ermordeter ‚Hexen’. Gegner ihres Konzepts von Frauenemanzipation bezeichnete Schwarzer - mit dem Jargon der Nazis kokettierend - mehrfach als Vertreter einer „Herrenrasse“. Frau Schwarzer und ihre Zeitschrift EMMA propagieren die These der amerikanischen Therapeutin Judith L. Herman von „den kleinen versteckten Konzentrationslager(n), errichtet von Tyrannen, die über ihre Familie herrschen“. (EMMA, Jan/Febr. 2004, S.88) Damit werden Opfer häuslicher Gewalt mit politischen Opfern, letztlich mit Opfern des Nazi-Regimes auf eine Stufe gestellt. So genannte „Lustmörder“ bezeichnet Frau Schwarzer mehrfach als „SS des Patriachats“, was zweifellos die SS verharmlost. Immer wieder drängen sich Schwarzer „Parallelen zu 1933“ auf: „Auch damals waren (zunächst) die Juden im Visier - und die Frauen“. Schließlich habe es unter Hitler ein Berufsverbot für weibliche Juristen gegeben. (EMMA, März/April 2002) „Den Gaskammern der Nazis gingen selbstverständlich die Propagandafeldzüge der Nazis voraus, die jüdische Menschen wie Untermenschen gezeigt haben. Und wir Frauen werden heute gezeigt wie Untermenschen.“ (EMMA-Sonderband PorNO, 1988, S.49) „Wollt ihr die totale Objektfrau?“ fragte Schwarzer, Goebbels imitierend, in ihrer PorNo-Kampagne. (PorNO, 1994, S.85)

Weitere Belege für diese Verfahrensweise finden sich in Schwarzers Publikationen zuhauf. Es wimmelt nur so davon. Schwarzer zielt - wie sie selbst schrieb - darauf ab, Frauen „mit anerkannt Diskriminierten, mit Schwarzen oder gar Juden (zu) vergleichen“. (Mit Leidenschaft, 1985, S.200) Das findet sie keineswegs geschmacklos. Denn solche „realistischen Parallelen“ seien nötig „weil oft erst das die Ungeheuerlichkeit der Frauen-‚Normalität’ klarmacht“, so Schwarzer. (ebenda, S.200)

Wer Frauenverachtung und das Leiden von Frauen unter männlicher Ignoranz, wer die rechtliche und gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen in demokratisch verfassten Gesellschaften mit der Verfolgung der Juden unter dem Hitler-Regime derart „realistisch“ vergleicht und auf eine Stufe stellt, wer die Opfer häuslicher Gewalt mit den Opfern politischer Gewalt unter dem Nationalsozialismus gleichsetzt, wie Schwarzer es tut, betreibt unter dem schützenden Mantel des Philosemitismus eine verantwortungslose Verharmlosung und Banalisierung der Nazi-Verbrechen. Diese werden in unerträglicher Weise für pseudofeministische Zwecke instrumentalisiert, um eine angeblich allgegenwärtige „Männergewalt“ zu behaupten, zu dämonisieren und Frauen als stets hilflose Opfer zu fixieren. Frauenbefreiung wird auf diese Weise mit dem Heiligenschein einer antifaschistischen Tat versehen und vermarktet.

Wir sind der Überzeugung, dass die Verleihung des Börne-Preises an Frau Schwarzer die Erörterung der hier aufgeworfenen Fragen notwendig gemacht hätte. Hier wäre nicht zuletzt die Jüdische Gemeinde Frankfurt, hier wären nicht zuletzt auch Sie, Herr Prof. Dr. Korn, als Vorsitzender im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Mitglied im Stiftungsvorstand der Ludwig-Börne-Stiftung gefordert gewesen. Stattdessen höfliches Schweigen, nicht der Hauch von Kritik oder gar Protest. Stattdessen eine Preisverleihung als gehobenes Entertainment: man witzelt, man scherzt, man lacht. Ikonen-Verehrung statt kritischer Auseinandersetzung.

Wie kann es sein, dass die genannten Positionen von Frau Schwarzer als „kritischer Journalismus“ gewürdigt und ausgerechnet mit einem Ludwig-Börne-Preis prämiert werden? Man mag ja der Meinung sein, dass die Thematisierung des Leids, das den Juden zugefügt wurde, allemal besser sei als dessen Verleugnung. Aber rechtfertigt das Vergleiche, die eine Verharmlosung und Banalisierung der Verbrechen an den Juden beinhalten? Wir sind daher irritiert und verwundert zugleich, dass insbesondere die Jüdische Gemeinde Frankfurt und auch Sie selbst, Herr Prof. Dr. Korn, solche von Frau Schwarzer öffentlich immer wieder vertretenen Positionen kommentarlos passieren lassen.

Als Organisation, die sich tagtäglich für die Rechte von Prostituierten einsetzt, haben wir ein gutes Gespür für Diskriminierungen und den herabwürdigenden Umgang mit gesellschaftlich benachteiligten Gruppen entwickeln müssen. So haben wir uns mit öffentlichem Protest zu Wort gemeldet gegen die Herabwürdigung insbesondere ausländischer Prostituierter in den Verlautbarungen und Publikationen von Frau Schwarzer. So weisen wir den geschichtsklitternden Vergleich Schwarzers zwischen heutiger Prostitution und Sklaverei zurück, der das historisch dokumentierte Leid der Opfer der Sklaverei nachträglich verharmlost.

Aber es kann doch nicht allein Aufgabe einer Prostituiertenorganisation sein, stellvertretend für andere zu der von Frau Schwarzer behaupteten, höchst problematischen „Parallelität zwischen der Judenfrage und der Frauenfrage“ kritisch Stellung zu nehmen!

Wo bleibt die Auseinandersetzung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, wo, Herr Prof. Dr. Korn, bleibt Ihre kritische Auseinandersetzung mit den genannten Positionen von Frau Schwarzer?

In Erwartung Ihrer Antwort auf diese Fragen verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

Sprecherin Doña Carmen e.V.

PS. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie unseren ‚Offenen Brief’ allen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt zugänglich machen könnten.

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