Donnerstag, 22. Oktober 2009

Die Methoden der EU

Die EU zeigt ein grosses Ausmass an Machiavellismus

von Karl Müller

Noch vor knapp anderthalb Jahren, im Mai 2008, haben rund 55 Prozent der abstimmenden Iren nein zum Vertrag von Lissabon gesagt. Am 2. Oktober 2009 waren es nur noch rund 35 Prozent. Obwohl der Vertrag, über den die Iren – von oben verordnet – erneut abstimmen mussten, derselbe ist. Dass so etwas möglich ist, hat sehr viel mit den Methoden der EU zu tun. Und dies muss am meisten Sorgen machen; denn die Methoden der EU haben ein grosses Ausmass an Machiavellismus erreicht. Den Iren hat man gezielt das Rückgrat gebrochen. Bekannt ist, dass die Iren unter der Politik des grossen Geldes innerhalb EU-Europas mit am meisten zu leiden haben. Weniger bekannt ist, dass auch die religiöse Identität dieses Volkes massiv attackiert wurde. So stark, dass schon Anfang Juni 2009, Monate vor der Abstimmung, die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» im direkten Zusammenhang mit der Kampagne gegen die katholische Kirche in Irland unter dem Titel «Irland in Selbstzweifeln» das Fazit zog: «Die irischen Demoskopen sagen, das Ja zu Lissabon werde diesesmal sehr deutlich ausfallen.» Naomi Klein hat die nun auch gegen Irland angewandte Strategie «Schock-Strategie» genannt und ein wichtiges Buch darüber geschrieben.* Die «Schock-Strategie» ist eine Machtpolitik, welche die Bevölkerung eines Landes mit brachialen Methoden in einen lähmenden Schockzustand versetzt und diese Lähmung missbraucht, um eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerung durchzusetzen. Nun steht der tschechische Präsident Václav Klaus im Fadenkreuz. Der hat schon Anfang Dezember 2008 erlebt, wie der heutige Umgang in der EU ist, wenn jemand dem Diktat aus Berlin, Paris, London und Brüssel nicht folgen will. Er hatte Besuch von einer Gruppe von Abgeordneten des Europäischen Parlaments und sah sich gezwungen, nach diesem Treffen das Protokoll des Gesprächs zu veröffentlichen (unter anderem in www.welt.de/welt_print/article2848566/Kein-Besuch-von-Freunden.html). Dort kann man lesen, wie sich zum Beispiel der EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit aufgeführt hat: «Zum Vertrag von Lissabon: Ihre Ansichten darüber interessieren mich nicht […]. Sie werden ihn unterschreiben müssen. Weiter will ich, dass Sie mir das Ausmass Ihrer Freundschaft mit Herrn Ganley (dem Chef der irischen Libertas-Partei, die mit ihrer Kampagne massgeblich das Nein der Iren [in der ersten Abstimmung im Mai 2008] zu Lissabon hervorrief) in Irland erklären. Wie können Sie sich mit einem Mann treffen, von dem nicht klar ist, wer ihn bezahlt? In Ihrer Funktion haben Sie sich nicht mit ihm zu treffen.»Der tschechische Präsident reagierte auf eine nachvollziehbare Art und Weise: «Ich muss sagen, dass niemand mit mir seit sechs Jahren (so lange ist Klaus Präsident [...]) in diesem Stil und in diesem Ton gesprochen hat. Sie sind hier nicht auf den Pariser Barrikaden. Ich habe geglaubt, dass diese Methoden für uns vor 19 Jahren ein Ende gefunden hatten. Ich sehe, dass ich mich geirrt habe.»Und später im Gespräch nochmals: «Ich habe nicht geahnt, dass so etwas möglich ist, und ich habe so etwas Ähnliches seit 19 Jahren nicht erlebt. Ich dachte, dass das der Vergangenheit angehört, dass wir in der Demokratie leben, aber in der EU funktioniert wirklich eine Post-Demokratie. Sie haben über europäische Werte gesprochen. Europäische Werte sind vor allem Freiheit und Demokratie, und darum geht es den Bürgern der Mitgliedstaaten der EU vor allem, und heute sind die in der EU sehr im Verschwinden begriffen.»Nach aussen hin heisst es jetzt: «Im Streit um die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon will die Europäische Union keinen Druck auf die Tschechische Republik ausüben. Man müsse für den Ratifizierungsprozess in diesem Land Respekt zeigen, sagte EU-Ratspräsident Reinfeldt vor dem Treffen mit Tschechiens Ministerpräsident Fischer in Brüssel.» (Deutschlandfunk vom 7. Oktober) Aber selbst die «Neue Zürcher Zeitung» aus der nicht zur EU gehörenden Schweiz kommentierte: «Der letzte Akt der tschechischen Trauerspiels um den Vertrag von Lissabon mit Václav Klaus in der Hauptrolle neigt sich dem Ende zu. Wenn sich der Präsident damit nicht abfinden kann, wäre der Rücktritt die logische Konsequenz.» (6. Oktober) Da kann man erahnen, was sonst noch alles auf den Präsidenten der Tschechischen Republik niedergeht. Währenddessen wird innerhalb der EU schon darüber nachgedacht, wer als erster das nach dem Vertrag von Lissabon neu geschaffene Amt des EU-Präsidenten besetzen soll. Bislang vor allem gehandelt wird der Name des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair. Das bedarf der Interpretation: Blair ist ein Lügner und Kriegsverbrecher, der in der ganzen Welt jegliches Ansehen verloren hat. Wenn der Vorschlag «Blair» ernst gemeint ist – und dafür spricht einiges –, dann kann dies vielleicht bedeuten, dass die EU keinerlei Rücksicht mehr auf die Weltöffentlichkeit nimmt. Es kann aber auch bedeuten, dass die Drahtzieher in der EU gar nicht an einer handlungsfähigen EU, sondern vor allem an einer Vielzahl gelähmter und handlungsunfähiger europäischer Staaten interessiert sind. Länder, die von ein paar wenigen Staaten mit nationalen Grossmachtinteressen – und denjenigen, die in diesen Ländern das grosse Geld dirigieren – an der kurzen Leine geführt werden sollen. Allen voran von Sarkozys Frankreich und Merkels Deutschland. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Rat nach dem Vertrag von Lissabon sind so angelegt, und die Warnung des luxemburgischen Aussenministers Jean Asselborn von Anfang Mai 2009, die EU habe sich verändert, heute wolle ein «Direktorium der Grossen und einiger ihrer Vasallen» den Ton angeben, ist sehr ernst zu nehmen. Deutschland, Frankreich (und Grossbritannien) betreiben schon seit geraumer Zeit eine nationale Grossmachtpolitik, welche die EU sehr gerne vor ihren Karren spannt: Deutschland vor allem in Südost- und Osteuropa, Frankreich im Mittelmeerraum, und Grossbritannien hängt noch immer dem einstigen Empire nach. Der Vertrag von Lissabon ist ein Knebelvertrag für die anderen Länder Europas. Hierbei mitmachen zu wollen, lohnt sich nicht. Und wer bislang mit dabei dabei sein musste, kann sich ja auch überlegen, ob er nicht wieder austreten will.

* Naomi Klein. Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. 2007, ISBN 978-3-10-039611-2

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