Donnerstag, 6. August 2009

Metropolitanräume - Die Vision der Globalisten

Im Dienste des entfesselten Kapitals
Metropolitanräume in der Schweiz befolgen EU-Plan

von Karl Müller

Das Konzept der Metropolregionen (in der Schweiz: Metropolitanregion oder Metropolitanraum) dient in seinem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kern einem entfesselten, international agierenden Kapitalismus. Es ist ein weltweites Konzept, und es orientiert sich an den Vorgaben der seit 20 Jahren vorherrschenden Globalisierungsideologie. Schon 1995 heisst es im in der Bundesrepublik Deutschland formulierten nationalen «Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen» zu den «europäischen Metropolregionen»: «Als Motoren der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung sollen sie die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit Deutschlands und Europas erhalten.» Die grössten Unternehmen eines Landes beziehungsweise der Welt sollen in einer Metropolregion ihre Hauptsitze oder wichtige Zweigstellen haben.

Europäisches Raumentwicklungskonzept EUREK
Im Europäischen Raumentwicklungskonzept (EUREK) der EU, das 1999 unter deutsch-rot-grüner Ratspräsidentschaft verabschiedet wurde, heisst es, es gehe um eine «volle Integration in die Weltwirtschaft». Und weiter: «Die weitere Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU im globalen Massstab erfordert […] die stärkere Einbindung der europäischen Regionen in die Weltwirtschaft. […] Der Auf- und Ausbau mehrerer dynamischer weltwirtschaftlicher Integrationszonen stellt ein wichtiges Instrument zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung […] in der EU dar. […] Die Schaffung von mehreren dynamischen Zonen weltwirtschaftlicher Integration, die im Raum der EU gut verteilt sind und aus miteinander vernetzten, international gut erreichbaren Metropolregionen und daran angebundenen Städten und ländlichen Gebieten unterschiedlicher Grösse bestehen, wird eine Schlüsselrolle bei der Verbesserung des räumlichen Ausgleichs in Europa spielen. Hochwertigen und globalen Dienstleistungen muss dabei in Zukunft auch in den Metropolregionen und Grossstädten ausserhalb des Kernraums der EU mehr Gewicht beigemessen werden.» Zu den Metropolregionen gehören die von der EU geplanten und im EG-Vertrag (Artikel 154 – 156) festgeschriebenen Transeuropäischen Netze (TEN) («ein Beitrag der EU zur Umsetzung und Entwicklung des Binnenmarktes»), welche die Metropolregionen miteinander verbinden sollen. Zu den hier geplanten Projekten gehört auch das TEN 24, die Eisenbahnachse Lyon/Genua – Basel – Duisburg – Rotterdam/Antwerpen, die auch durch die Schweiz gehen soll und ein Stück weit das besondere Interesse der Deutschen Bahn AG am Zugriff auf den Lötschbergtunnel erklärt.

Nicht von unten her in den Gemeinden, Regionen und Nationen gewachsen
Das Konzept der Metropolregionen ist nicht von unten her in den Gemeinden, Regionen und Nationen gewachsen, sondern wurde und wird auf globaler Ebene zentral gesteuert und von oben nach unten durchgegeben. Das unter deutsch-rot-grüner Federführung formulierte Programm EUREK beruft sich mehrfach auf die Uno-Konferenzen in Rio (1992) und in Istanbul (1996), wo mit der Agenda 21 und Habitat II international Weichen gestellt wurden, auch, um unter der Floskel von der «Nachhaltigkeit» internationalistisch agierende Sozialisten und Grüne ins Boot der grosskapitalistischen Globalisierung zu holen und den natürlichen Widerstand gegen diese geplante Globalisierung zu brechen. Die Agenda-21-Parole: «Denke global, handle lokal» kann deshalb nur so verstanden werden: Was von ein paar wenigen in der Welt zentral geplant wird, soll bis in die Gemeinden hinein durchgesetzt werden – soll dort aber so verkauft werden, als verlangten soziale und ökologische Anliegen vor Ort und in der Welt eine Auflösung bewährter ­politischer Strukturen. Eine neue Variante findet dieser Betrug in der aktuellen Forderung nach einem «Green New Deal».

Die EU will auch den Schweizer Raum verplanen
Und was die Schweiz betrifft: Schon EUREK spricht davon, dass die Schweiz in das europäische Raumordnungskonzept eingefügt werden soll: «Die zunehmenden Verflechtungen mit der Schweiz und mit Norwegen [das auch kein EU-Mitglied ist] und das ausdrückliche Interesse dieser Staaten an der Zusammenarbeit bestätigen die Notwendigkeit, die Raumentwicklungsplanung der EU über das Territorium der [1999] 15 Mitgliedstaaten hinaus auszudehnen.» (Hervorhebung durch den Verfasser) Die EU strebe deshalb eine «gesamteuropäische Raumentwicklungsstrategie» an. Das heisst aber doch nichts anderes, als dass die EU die Souveränität von Nicht-EU-Staaten ignoriert und auch deren Raum verplanen will! Leider korrespondiert dies mit Stellungnahmen aus der Schweiz selbst. So heisst es schon im Bericht des Bundesrates vom 19. Dezember 2001mit dem Titel «Agglomerationspolitik des Bundes», das «geplante Engagement des Bundes für den urbanen Raum» stelle «keine isolierte Initiative oder eine besonders innovative Aktion der Schweiz dar». Vielmehr sei die Schweiz «im Vergleich zu den ausländischen Initiativen bereits im Rückstand oder drohe, in Rückstand zu geraten». Das Konzept des Bundesrates füge sich deshalb «in einen internationalen und europäischen Kontext ein», und die Überlegungen des Bundesrates gingen «in die gleiche Richtung wie die Überlegungen der Europäischen Union». (Hervorhebung durch den Verfasser) Noch deutlicher wird eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2003 mit dem Titel «Zu gross, um wahr zu sein? Die Europäische Metropolregion Zürich». Dort wird die Frage aufgeworfen, ob die Metropolregion Zürich «durch ihr wirtschaftliches und politisches Schwergewicht für das Nicht-EU-Land Schweiz die Funktion eines Integrationsmotors in Richtung EU übernimmt». (Hervorhebung durch den Verfasser) Die Frage wird nur indirekt beantwortet, indem es heisst: «Der Standortwettbewerb findet auf einer Massstabsebene statt, wofür die von kleinen und föderalen Strukturen geprägte Schweiz ungenügend gerüstet ist.» Heisst das, dass die Schweiz ihre gewachsenen ­politischen Strukturen – am Volk vorbei – verändern soll, nur, um für eine immer fragwürdiger werdende Globalisierung und die Pläne der EU gefügig zu sein? Erhellend steht denn auch im Bericht aus der ETH: «Die OECD streicht gerade für die Schweiz die ‹Metropolitan Governance›, also die Steuerungsfähigkeit von funktionalen Metropolregionen, als eine der zentralen Herausforderungen für eine nachhaltige Raumentwicklung heraus.»

Kein Beitrag zur Gemeinwohlförderung
Jeder muss wissen: Das Konzept der Metropolregionen ist kein Beitrag zur Gemeinwohlförderung, sondern zerstört die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in einem Land und verletzt damit fundamental eine Vielzahl von Menschenrechten. Das Konzept ist Teil eines Plans, der vor allem dem Reichtum und Machtzuwachs von ein paar wenigen dient, vor allem Finanzakteuren im Hintergrund multinationaler Konzerne und Finanz­institute. Das Konzept der Metropolregionen kann nicht angemessen beurteilt werden, wenn die verheerenden weltweiten Folgen der Globalisierung der vergangenen 20 Jahre ausser acht gelassen werden: der Angriff auf zentrale Werte des Zusammenlebens; die Verrohung immer grösser werdender Teile unserer Gesellschaft, leider auch der Jugend, durch brutalisierende Medienerzeugnisse; die Erosion des für eine Demokratie unverzichtbaren bürgerlichen Mittelstandes in den Industrieländern; der Hunger und die alarmierende Not von immer mehr Menschen auf der Welt; die immer krasser auseinandergehende Schere zwischen arm und reich; der skrupellose Imperialismus der Ausbeutung und Unterdrückung; und: die so vieles vernichtenden Kriege der vergangenen 20 Jahre.

OECD-Bericht aus dem Jahr 2002
Wie absurd und menschenfeindlich das ganze Konzept der Metropolregionen ist, zeigt nicht zuletzt der in der ETH-Studie zitierte OECD-Bericht aus dem Jahr 2002 mit dem Titel «OECD-Prüfbericht Raumentwicklung Schweiz». Die OECD – das wurde vor ein paar Wochen in dieser Zeitung ausführlich dargestellt (Zeit-Fragen Nr. 16 vom 21. April) – ist eine transatlantische Scharnierstelle, ein Planungsapparat der Globalisierungspolitik – insbesondere im Dienste der Kapitalverkehrsfreiheit – und damit der Angriffe auf eine gemeinwohlorientierte Volkswirtschaft und auf die Volkssouveränität. Der Prüfbericht der OECD geht auf einen Beschluss der OECD aus dem Jahr 1999 zurück, mit dem ein Raumentwicklungsausschuss gegründet wurde, der die Raumentwicklung aller Mitgliedsländer «überprüfen» sollte. Schon im Vorwort wird die Globalisierung wie ein unumstössliches Naturgesetz betrachtet und festgehalten, dass diese Globalisierung «die Fähigkeit von Regionen zur Anpassung und Nutzung oder Bewahrung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zunehmend auf die Probe» stelle.

Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in der Schweiz …
Nun kommt der Prüfbericht allerdings eingangs zu dem Ergebnis, dass die bis damals gültige Politik der Schweiz dazu geführt habe, dass die Unterschiede zwischen den Kantonen «in der wirtschaftlichen Leistung […] im Vergleich zu den übrigen OECD-Ländern relativ niedrig» sind. Der Schweiz sei es gelungen, «im ganzen Land einen hohen Lebensstandard aufrechtzuerhalten». Gelungen sei dies zum Beispiel durch öffentliche Einrichtungen wie Bahn und Post, die auch in Randgebieten Arbeitsplätze schaffen. Investitionen in kantonale Strasseninfrastrukturen hätten «umfassend zur Umverteilung von Einkommen zugunsten ländlicher und Berggebiete» beigetragen, und bei der Vergabe öffentlicher Aufträge seien bis dahin «wirtschaftlich benachteiligte Gebiete deutlich bevorzugt worden». Die für die Schweiz kennzeichnende dezentrale Steuerpolitik scheine, so die OECD im Jahr 2002, «die Unterschiede zwischen dem Dienstleistungsniveau der einzelnen Gebietseinheiten nicht zu vertiefen und kann sogar zur Minderung der Disparitäten zwischen städtischen und ländlichen Gebieten beitragen». Das Streben nach Steuereinnahmen veranlasse «die Kantone dazu, den Bedürfnissen der Einwohner nachzukommen und auch in peripheren Gebieten ein hohes Dienstleistungsniveau zu gewährleisten. […] Generell scheint sich der steuerliche Wettbewerb landesweit günstig auf die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen auszuwirken.»

… passt nicht zur Globalisierung
Diese für die Schweiz und die Schweizer günstige Ausgangslage sei allerdings wegen der mit der Globalisierung einhergehenden Deregulierungen, Liberalisierungen und Privatisierungen nicht zu halten. Das «sorgsam ausgewogene System von raumordnungspolitischen Massnahmen zur Minderung der Disparitäten» sei «unter Druck geraten». Die OECD stellt dann aber nicht die Globalisierung in Frage, sondern die bisherige Politik der Schweiz. In der Schweiz gebe es eine «zunehmende Auseinanderentwicklung von funktionalen und institutionellen Regionen». Was heisst: Auch der OECD passt die gewachsene direktdemokratische, in überschaubare Räumen und föderal gegliederte Schweiz nicht zu dem, wie die Globalisierung «funktioniert». Bei der OECD heisst das abschätzig: «Im Grunde genommen liegt dem wirtschaftlichen und sozialen Leben des 21. Jahrhunderts die Raumstruktur des 19. Jahrhunderts zugrunde. Die funktionale Organisation des Landes deckt sich nicht mit der politisch räumlichen Struktur.» Es komme zu «Lücken und Ungereimtheiten». Und dann kommt es: «Diese treten in metropolitanen Gebieten besonders deutlich zutage». Die Schweizer Regionalpolitik sollte sich deshalb weniger auf Berg- und wirtschaftlich benachteiligte Gebiete konzentrieren, sondern viel mehr auf die Förderung städtischer Gebiete. Mit der Änderung der Bundesverfassung im Jahr 2001 sei dies auch möglich geworden. In der Welt der Globalisierung gehe es in erster Linie um die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit einer Region, nicht um Minderung von Disparitäten. Direkte Stützmassnahmen für die Städte, zum Beispiel Steuererleichterungen, könnten allerdings auf den Widerstand der EU stossen. Deshalb empfiehlt die OECD «marktorientierte strategische Instrumente», die «die Entstehung konzentrierter Siedlungsstrukturen begünstigen» und es den Kantonen ermöglichen, auch «eine kantonsübergreifende kohärente Gebietsstruktur zu entwickeln». Die Folgen einer solchen Politik werden durchaus erkannt: «Mit den laufenden und bevorstehenden Reformen der Finanzpolitik, Sektoralpolitik und Regionalpolitik könnte sich mehr und mehr ein Gegensatz zwischen Effizienzerhöhung und Erhaltung des regionalen Gleichgewichts abzeichnen.» Aber ausser dem Vorschlag für gewisse «Kompensationsmechanismen» (zum Beispiel die Förderung von Nationalparks oder regionalen Naturparks) fehlt es bei der OECD an einem Nachdenken über die Voraussetzungen des Konzeptes.

OECD empfiehlt der Schweizer Politik «Zuckerbrot und Peitsche»
Um trotz der Zerstörung des Gleichgewichts viele ins Boot zu zwingen, empfahl die OECD 2002 eine bessere Koordinierung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden und erwähnte für den Bereich der Metropolitanräume die «Tripartite Agglomerationskonferenz» als «Partnerschaft zwischen allen drei Regierungsebenen». In den speziellen Empfehlungen für die Schweizer Metropolitanräume empfahl die OECD eine «bessere Integration der Schweizer Städte in das Netz europäischer Städte». Dem Bund empfahl die OECD eine «Zuckerbrot/Peitschen-Politik»: «Die Peitsche wäre beispielsweise ein Bundesgesetz über horizontale Zusammenarbeit und/oder die Verpflichtung von Kantonen und Gemeinden zur Errichtung von metropolitanraumweiten Körperschaften und zum Beitritt zu solchen. Das Zuckerbrot könnte darin bestehen, die Bundestransfers von der Bereitschaft der im Metropolitanraum befindlichen Gemeinden zur Zusammenarbeit abhängig zu machen.»

Ist es das wirklich wert?
Zum Schluss: Ist es das wirklich wert, die direkte Demokratie in der Schweiz zu hintergehen und zu übergehen? Ist es wirklich so erstrebenswert, bewährte politische Strukturen am Volk vorbei zu unterminieren und dann auch zu zerstören? Alles, um einer undemokratischen EU gefügig zu sein? Alles für die menschenverachtende Globalisierung eines entfesselten Kapitalismus! Nach 20 Jahren ist doch unübersehbar geworden, welchen Preis die Menschheit dafür zahlen musste und weiterhin zahlen muss. Lohnt es sich wirklich, die «Gewinner» der Globalisierung in seiner Nähe zu haben, auf Brotkrumen der «Gewinner» der Globalisierung zu hoffen und in dieser falschen Hoffnung alles, was in der Geschichte errungen wurde, über den Haufen zu werfen? Und die Chancen für einen anderen, einen menschenwürdigen Weg in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu schmälern? Das sind ganz offensichtlich rhetorische Fragen. Und trotzdem muss man darüber nachdenken.

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