Dienstag, 30. Oktober 2007

Verbotene Bücher

Der Fall Jäggi

von Hans Herzog

Basler Zeitung vom 9.Februar 1996:

Rassistisches Buch bei Jäggi sorgt für Aufregung

In der heutigen Ausgabe des „Israelitischen Wochenblattes“ [IW] soll ein Brief abgedruckt werden, der die Unterschriften von Willy und Ulrich Jäggi, dem Präsidenten und dem Delegierten des Verwaltungsrates der gleichnamigen Firma in Basel, trägt. Die beiden entschuldigen sich dafür, dass sie das Buch „Geheimgesellschaften“ (Band 2), welches „in grober Hinsicht die Gefühle unserer jüdischen Mitbürger (aber auch jedes vernünftigen Menschen) verletzt“, nicht früher aus ihrem Sortiment genommen haben. ... Es verstehe sich von selbst, dass der Erlös aus dem Verkauf dieses Buches an eine gemeinnützige jüdische Institution gehe.

Nun ja, wohin denn sonst, als an eine jüdische Institution? Besonders hübsch ist die Wortkombination „gemeinnützig“ und „jüdisch“.

Das Buch „Geheimgesellschaften Band 2, Interview mit Jan van Helsing“, aber auch der erste Band aus dem deutschen Ewert-Verlag strotzen in der Tat nur so von antijüdischem Gedankengut. Im Werk ist gemäss Darstellung von Peter Bollag, Chefredaktor des „Israelitischen Wochenblatts“, beispielsweise davon die Rede, dass unter der Herrschaft des Juden Stalin und dessen Nachfolger in der damaligen Sowjetunion innerhalb von wenigen Jahren über 20 Millionen Menschen abgeschlachtet worden seien. Oder dass New York fast vollständig im Besitz von Juden sei ...

Eine eigenständige Beurteilung des Buches scheint die Basler Zeitung (BaZ) nicht geben zu wollen. Da stützt sie sich schon lieber auf das IW ab, vorsichtshalber. Es könnte ja sein, dass jemand die unpassende Frage stellen würde, was denn an der Tatsache antijüdisch sei, dass Stalin1 20 Millionen Menschen umbrachte. Im weiteren erzählt dann die BaZ, dass sich Jäggi zunächst als störrisch erwiesen habe:

Die Interventionen des Anwalts und Vorstandsmitglieds der Israelitischen Gemeinde Basel, Peter Liatowitsch ... fruchteten nur bedingt. Jäggi erklärte sich immerhin bereit, das Buch aus dem Extrastand ... herauszunehmen und es an einem weniger augenfälligen Ort anzubieten. Doch dieser blosse Teilrückzug wurde von den Betroffenen nicht akzeptiert. Liatowitsch schaltete die Basler Staatsanwaltschaft ein, welche das Buch unlängst beschlagnahmte.

Den Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Herr Liatowitsch schaltet die Staatsanwaltschaft ein, um ein ihm lästiges Buch verbieten zu lassen! Sie haben richtig gehört, liebe Leser: Das Vorstandsmitglied eines kleinen Religionsvereins von der Mannschaftsstärke etwa der Zeugen Jehovas kann via Staatsanwaltschaft darüber entscheiden, was wir lesen dürfen. Hat noch jemand eine Frage nach denen, die an den Schalthebeln der Macht sitzen?

Willy Jäggi ... ist der Fall hörbar peinlich. Sein Entscheid sei in Unkenntnis der Fakten erfolgt, weil ihm zum Lesen des Buches in der stressigen Weihnachtszeit die Zeit gefehlt habe. Wenn er sich anfangs hartnäckig gegen ein Verkaufsverbot zur Wehr setzte, dann auch deshalb, weil er sich keine Zensur aufdrängen lassen wollte. Sonst könnten ja andere Kunden in verschiedensten Büchern rassistische Inhalte bemängeln und ein Verbot fordern. ... Jäggi machte sich im Gespräch mit der BaZ für die Bildung einer Kommission stark, die sich solch heikler Fälle annehme und bei Bedarf alle Buchhandlungen zu einem Verkaufsverbot auffordere. Erst wer sich nicht an diese Vorschriften halte, sollte dann bestraft werden können.

Jäggis Argumente und Ideen stossen allerdings weder bei Anwalt Liatowitsch noch bei Professor Georg Kreis, dem Präsidenten der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, auf offene Ohren. Kreis ... gab zu bedenken, dass niemand von einem Buchhändler erwarte, dass er den Inhalt seines ganzen Sortiments kenne. Bei klaren Signalen seitens der Kundschaft sei aber ein sensibleres Verhalten durchaus am Platz.

Ist das nicht fein formuliert? Herr Jäggi wird sicher verstanden haben, welche Art von Kundschaft gemeint ist, und was für eine Sensibilität vom Buchhändler in Zukunft erwartet wird. Er hat sich zwar eine Zensurbehörde gewünscht, dabei aber nicht bedacht, dass wir doch in einer Demokratie leben und eine Zensur ganz undenkbar ist. Oder nicht?

Jäggi hatte sich zu spät entschuldigt. Solche Renitenz muss geahndet werden. Und nicht nur bei ihm. Die Wochenzeitung (WoZ) vom 24.Mai 1996:

Letzte Woche hat nun Herbert Hauert, der leitende Basler Staatsanwalt, Anklage erhoben. Der Seniorchef der Buchhandlung wird sich also demnächst vor dem Basler Strafgericht zu verantworten haben.

Strafverfahren laufen auch in anderen Kantonen – beziehungsweise laufen an. In der psychiatrischen Praxis von Regina Möckli in Mettschlatt TG lag das Buch laut Besucher(innen) mit Preisanschrift zum Verkauf auf, was eine Anzeige und ein Strafverfahren provozierte.

Ein Verfahren droht auch dem „Buechlade Cham“. „Die Buchhändlerin empfahl mir das Buch“, berichtete eine Kundin der WoZ. „Ich will die Sache strafrechtlich abklären lassen“, erklärt der Zuger Polizeidirektor Hanspeter Uster.

Weil die „Geheimgesellschaften“ im Februar an einem Ufo-Kongress in Zürich verkauft wurden, eröffnete auch die Zürcher Justiz ein Verfahren, ... usw. usw.

Schon am 4. April 96 hatte die WoZ in bezug auf den Buchversand von Emil Rahm in Hallau gemeldet:

Nach Ansicht des Strafrechtsprofessors Marcel Niggli bietet Rahm das Buch eindeutig öffentlich an. Das heisst: Die Schaffhauser Justiz müsste gegen Rahm eine Strafuntersuchung wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz einleiten.

Das Ende vom Lied im Fall Jäggi berichtete dann wieder die WoZ am 6. Juni 97:

Die Buchhandlung Jäggi hat laut einem Bericht der „Basler Zeitung“ mit dem Verkauf des antisemitischen Buchs „Geheimgesellschaften 2“ von Jan van Helsing immerhin einen Gewinn von 2500 Franken erzielt. Dagegen stehen nun 1000 Franken Busse, die ein Basler Einzelrichter Willy Jäggi, dem Besitzer der Buchhandlung, ... auferlegt hat. ... Zum Zeichen der Reue will Jäggi, der als liberal und tolerant beschrieben wird, nun auch den Gewinn aus dem Verkauf des umstrittenen Buches einer gemeinnützigen Organisation überweisen.

Welcher Art die Organisation ist, verschweigt die WoZ hier schamhaft. Aber der geneigte Leser, der weiter oben gut aufgepasst hat, weiss es schon.

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