Sonntag, 9. November 2008

"Terrormanagement" und die Interessen der USA

«Terrormanagement», Kriegspolitik und Notstandsdiktatur
Zwei Bücher erhellen, was sich hinter dem «Krieg gegen den Terror» verbirgt
von Karl Müller

Wer künftig einen klaren Kopf behalten und auch weiterhin vernünftige Entscheidungen treffen will, sollte darüber nachdenken, welche laute Begleitmusik die wohl zunehmenden Infragestellungen unserer bisherigen Lebensweise und die krampfhafter werdenden Versuche, bisherige Geld- und Machtpositionen dennoch behalten zu wollen, haben wird. Dabei kann ein Blick auf die vergangenen Jahre seit dem 11. September 2001 eine Hilfe sein – Jahre im Banne des sogenannten «Krieges gegen den Terrorismus», im Grunde genommen aber auch schon Jahre des Niedergangs westlicher Hegemonial­phantasien.
Zwei deutsche Autoren, beide Journalisten mit Querdenkerqualitäten, haben in den vergangenen Wochen Bücher veröffentlicht, deren Lektüre diesbezüglich lohnt. Aber auch ohne diesen Zusammenhang: Beide Bücher geben einen Einblick in ausserordentlich viele und aufschlussreiche Details des «Krieges gegen den Terror», die einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sein werden, die es deshalb um so genauer zu studieren gilt, wozu eine kurze Besprechung nur eine Einladung sein kann.
Das eine neue Buch hat Christoph R. Hörstel verfasst. Nachdem er im vergangenen Jahr die westliche und insbesondere die deutsche Afghanistan-Politik einer sehr kritischen Analyse unterzogen hatte («Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission», 2007, ISBN 978-3-426-78116-6), hat er sein neues, zweites Buch («Brandherd Pakistan. Wie der Terrorkrieg nach Deutschland kommt») der Geschichte und heutigen Situation Pakistans gewidmet: um einen ausführlichen Einblick in die hochkomplexe, äusserst fragile und deshalb für äussere Einflussnahmen so anfällige Situation und Politik dieser (einzigen) islamischen Atommacht zu geben und um die dunklen Schatten der bisherigen westlichen Pakistan-Politik auszumessen und diese sowie die gegenwärtige Politik des Westens einer grundlegenden Kritik zu unterziehen; denn es war und ist nicht zuletzt diese Politik, die Pakistan zu einem «Brandherd» gemacht hat – und mit dem aktuell drohenden Staatsbankrott nun wohl ganz an den Tropf des Westens hängen will.
Hörstel erinnert daran, dass die Atombewaffnung Pakistans unter den offenen Augen der USA stattfand, mehr noch: Die von Pakistan ausgehende weltweite Verbreitung von Material und Wissen zum Atomwaffenbau geschah ebenfalls mit Wissen der USA. Hörstel schreibt: «Wenn die USA die pakistanischen Geschäfte zum Vertrieb von Anlagen zur Herstellung von Nuklearwaffen also nicht nur geduldet, sondern auch geheimdienstlich geradezu begleitet haben, muss man sich für die Motivation interessieren. Bestand das übergeordnete Ziel vielleicht darin, dass den USA durch diese Geschäfte ein erstklassiger Vorwand dafür geliefert wurde, diese Länder anzugreifen und damit quasi nebenbei die dortigen Energieressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen?»
Hörstel gibt auch einen genaueren Einblick in die vielgestaltige «terroristische» Szene Pakistans, in die Lebensläufe sogenannter Terroristen, in die Madaris, die im Westen unterschiedslos zu Ausbildungslagern für Terroristen abgestempelt werden, in die vielfältigen Beziehungen der pakistanischen Geheimdienste zu dieser Szene. Und er wirft einen Blick auf den Anteil der USA und ihrer Verbündeten hieran.
Hörstel schreibt: «Proliferation und Terror werden in möglichst exakt den Dosierungen geduldet und gefördert, die zur Erreichung globaler strategischer und hegemonialer Ziele als brauchbar angesehen werden – und handle es sich dabei auch nur um den Zugang zu den Energieressourcen dieser Erde. Und selbstverständlich ist keine dramatische Sonntagsrede zu ‹dumm› […], um diese blutige Sandkasten-Politik zu beschönigen und zu rechtfertigen.»
Hörstel nennt das «Terrormanagement», ein Begriff, den er differenziert darlegt und gründlich erläutert. Hier nur soviel: «Terrormanagement» soll vor allem US-Interessen dienen: «Wir müssen uns darüber klar sein, dass am Hindukusch, in Zentralasien, mitten zwischen Iran und China, die Feststellung ‹mission accomplished› eine Art Horrorvorstellung für amerikanische Interessenvertreter darstellt: Denn in diesem Fall müssten die Amerikaner ihre Truppen zurückziehen. Und dann macht Asien sich sozusagen ‹selbstständig›». Deshalb ist der «Krieg gegen den Terror» «für die Ewigkeit ausgelegt».
Man darf sich das ganze allerdings nicht so vorstellen, dass jeder Anschlag eine Befehlskette hat, die bis zur CIA-Zentrale in Langley (USA) reicht. Es gibt verschiedene Hierarchieebenen innerhalb des «Terrormanagements», jede Ebene hat ihr Eigenleben, fast alle Beteiligten handeln auch auf eigene Faust. Und vieles, was unten geschieht, liegt nicht im Interesse von oben; und von vielem, was oben entschieden wird, wissen die unten nichts.
Hörstel kommt sogar zum Schluss, dass der ganze «Apparat» aus dem Ruder gelaufen ist und der Westen insgesamt heute einer nicht mehr kontrollierbaren Front gegenübersteht, einer Front gut nachvollziehbaren Widerstands.
Die Gründe hierfür sind leicht zu nennen: Der Westen hat mit seiner Politik, die ihre Wurzeln in den katastrophalen Auswüchsen der Kolonialzeit haben, zuviel Verbrechen begangen. Das Wissen hierüber ist mittlerweile zu weit verbreitet, und der Widerstand hiergegen hat eine zu starke Dynamik entfaltet.
Deshalb ist es einerseits richtig, wenn behauptet wird, dass die westlichen Mächte, allen voran die USA, dabei zuschauen, wenn im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet immer mehr neue Taliban und andere Widerstandsgruppen rekrutiert werden; denn so kann man das Feuer des Krieges weiter lodern lassen. Andererseits ist genau dieser Widerstand in Pakistan und Afghanistan ausser Kontrolle geraten; und in der falschen Hoffnung, doch wieder die Kontrolle gewinnen zu können, schlägt man mit brutalsten Mitteln zu – ohne Aussicht auf nachhaltigen Erfolg allerdings, wie Hörstel hervorhebt.
Auch die deutsche Politik ist ins «Terrormanagement» verwickelt: durch Mitwissen – Hörstel gibt ein diesbezügliches Gespräch im deutschen Kanzleramt wieder –, aber auch durch Mittun auf eigene Rechnung – Hörstel erwähnt die «Kooperation» deutscher Stellen beim «Terrormanagement» in Usbekistan.
Menschenrechte spielen dabei nirgendwo eine Rolle.
Und es kann auch nicht besser werden, so Hörstel, «bevor wir uns bequemen, die Krankheit selbst in ihrem Kern anzugreifen – nämlich unsere eigene verfehlte Politik an zu vielen Stellen der Welt». Hörstel selbst legt, wie schon in seinem Buch über Afghanistan, auch für Pakistan einen ausführlichen «Friedensplan» vor. Hier werden zum einen Vorschläge für friedliche Lösungen des Kaschmir-Konfliktes mit Indien und des Konfliktes um die an Afghanistan angrenzenden, von Paschtunen bewohnten Nordprovinzen gemacht. Zum anderen geht es um Pläne für eine innere Entwicklungschance für dieses noch junge, aber mit sehr viel Leid geplagte Land.
Das andere neue Buch hat Jürgen Elsässer verfasst. Der Titel lautet: «Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste». Der Autor schildert mit vielen Beispielen sehr anschaulich, dass der europäische «Terrorismus» der vergangenen Jahre brisante, zuweilen grotesk wirkende Verbindungen zu Geheimdienstaktivitäten aufweist. Das reicht von heute unbestrittenen Verbindungen westlicher, vor allem britischer und US-amerikanischer, Geheimdienste zu Usama bin Ladin, über das Wegschauen der Offiziellen bei sogenannten «Hasspredigern» und «Terror»-Zentralen in Grossbritannien, über ähnliche Vorkommnisse in Frankreich, Italien, Österreich, Spanien und der Türkei, bis hin zu den deutschen «Terroristen» und deren Beziehungen zu deutschen Diensten.
Was dabei offenbar wird? Es gibt «Terroristen», deren Gefährlichkeit von offiziellen Stellen und Massenmedien massiv aufgebauscht wird; andere, wirklich gefährliche «Terroristen», die sich bis heute unbehelligt und wohl unter dem Schirm der Dienste in der Welt bewegen können; «Terroristen», vor allem die Gruppe um Mohammed Atta (11. September 2001), zu denen die offiziellen Versionen deutlich vom Erkenntnisstand unabhängiger Recherchen abweichen; «Terroristen», die selbst Geheimdienstagenten waren. Oder: «Terroristen», die gar keine Terroristen sind, die aber in die Maschinerie der Terroristenjagd geraten sind. Und in allen Fällen sind die «Terroristen» schon lange vor ihren «schlimmsten» Taten den Geheimdiensten und den Strafverfolgungsbehörden bekannt.
Dass kriminelle Methoden der Staatsmacht nichts grundsätzlich Neues sind, belegt das Kapitel «Das Netz der Gladiatoren», das die im Buch von Daniele Ganser («Nato Geheim­armeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung», 2008, ISBN 978-3-280-06106-0) zusammengetragenen Erkenntnisse über die verdeckten Operationen von Nato-Geheimtruppen nach dem Zweiten Weltkrieg zusammenfasst und aktualisiert.
Zwecke der «Kooperation» von «Terroristen» und Geheimdiensten sind: «Terroristen» sollen genutzt werden, um politische Verbrechen zu begehen, die Staaten und deren Dienste selbst nicht ausführen können oder wollen. So werden auch geopolitische Ziele verfolgt (zum Beispiel der Auftrag des britischen Geheimdienstes an Usama bin Ladin, den libyschen Staatschef Ghaddafi zu ermorden). Elsässer hat diese Linie der Analyse schon in seinem vorzüglichen Buch «Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan», 2005, ISBN 3-85326-376-3) vorgezeichnet.
Ein weiterer Zweck: Propagandamaterial zu liefern für eine zunehmend aggressive Aussenpolitik, so wie wir sie insbesondere seit dem 11. September 2001 erleben.
Schliesslich: «Gründe» für eine zunehmende Rechtsverweigerung im eigenen Land zu schaffen. Die letzten beiden Kapitel im Buch («Big Brother marschiert», «Die Putschisten») gehen insbesondere hierauf ein. Elsässer analysiert gründlich die im Mai 2008 von der CDU/CSU-Fraktion verabschiedete «Sicherheitsstrategie für Deutschland» und kommt zu dem Schluss, dass offensichtlich eine Notstandsdiktatur für Deutschland geplant ist, die weit über das hinausgeht, was die bisherige Notstandsgesetzgebung vorsieht. Ein System, in dem Teile der politischen Klasse mit dem deutschen Grundgesetz radikal brechen wollen. Elsässer bezeichnet diese Kräfte als «Extremisten» – wohl zu Recht.
Er hofft aber auch, dass es gelingen kann, die Opposition in Deutschland, die es in allen politischen Lagern gegen derartige Pläne gibt, zusammenzuführen – «bevor es zu spät ist». •
Hegemonialinteressen

«Zur Legitimierung ihrer militärisch durchgesetzten strategischen Hegemonialinteressen in Asien lassen die USA heimlich über pakistanische Geheimdienste ihre Gegner hochpäppeln, die sie gleichzeitig durch gewaltsame Eingriffe zu steuern versuchen. Dieses Doppelspiel sichert den ständigen Zuwachs an eigenen und verbündeten Truppen, die dann dazu benutzt werden, weitergehende geschäftliche Ziele zu erreichen. Ihren Parlamenten, die diese wachsenden Truppenentsendungen absegnen müssen, erklären die führenden Nato-Politiker, die sämtlich über die hier mühsam zusammengetragenen Tatsachen bestens informiert sind: Wir brauchen mehr Truppen, weil wir Afghanistan stabilisieren und aufbauen wollen, weil die Taliban stärker werden und wir verhindern müssen, dass sie wieder an die Macht kommen, weil alle bisherigen Anstrengungen im ‹Krieg gegen den Terror› nicht vergeblich gewesen sein dürfen – und schliess­lich: weil sonst der Terror zu uns kommt.
Angesichts der bisher gesammelten Tatsachen kann hier von Lügenpolitik nicht mehr gesprochen werden, das ist schon eine konzertierte, langfristige Politik des Grossbetrugs.
Die Verbündeten kooperieren in der Hoffnung auf eigene Geschäftsanteile und ahmen die Machtergreifungsszenarien amerikanischer Cliquen bei sich zu Hause innen- und aussenpolitisch nach.
Gegen eine solche Politik besteht meiner Ansicht nach Widerstandspflicht.»
C. R. Hörstel: Brandherd Pakistan, Seite 281
Eine deutsche Notstandsdiktatur

«Das Zusammenspiel zwischen Terroranschlägen und Terrorplanungen, an denen V-Leute der Sicherheitsapparate beteiligt waren, und einer Terrorhysterie, die dieselben Sicherheitsapparate mit Hilfe der Medien orchestrierten, ermöglichte in vielen westlichen Ländern seit dem 11. September 2001 radikale Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte. In Deutschland wurden seit der Kampagne um die sogenannten Kofferbomber 2006 und die sogenannten Wasserstoffperoxidbomber 2007 weitreichende Gesetzesvorhaben beschlossen oder auf den Weg gebracht. Fluchtpunkt ist die Installierung einer Geheimen Datenpolizei, die alles sammeln, mit Bild und Ton speichern und verwerten darf, was die Bürger am Telefon, über Internet, auf ihrem Computer oder in ihrer Wohnung äussern. Biometrische Personaldokumente, Videoüberwachung und Auto-Kennzeichenerfassung ermöglichen die Erstellung von Bewegungsprofilen und Kontaktnetzen. Big Brother weiss alles über uns.
Immerhin gibt uns die Verfassung noch das Recht, unsere Parlamente und damit die Regierung zu bestimmen. Damit wäre es zumindest de jure möglich, durch die Wahl verantwortungsbewusster Politiker und Parteien einen Kurswechsel einzuleiten. Aber die Extremisten in der CDU/CSU arbeiten bereits an der Abschaffung dieser Möglichkeit. Die parlamentarische Demokratie soll ausgehebelt und durch eine Notstandsdiktatur ersetzt werden. […]
Im Szenario der Extremisten braucht es keinen Bundestag, um den Notstand zu sanktionieren. Handverlesene Bundeswehrtruppen werden auf Befehl des Verteidigungsministers jede Verschwörung zerschlagen, die der Innenminister identifiziert hat. Um es deutlich zu sagen: Die Putschisten werden nicht darauf warten, dass das Parlament eine gesetzliche Grundlage für den Bundeswehreinsatz im Innern oder die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates beschliesst. Sie werden handeln, sobald sie es für richtig halten, und zur Legitimation von einem unmittelbar bevorstehenden terroristischen Angriff sprechen. Die freche Tat soll ein juristisches Exempel statuieren, Legislative und Judikative vor vollendete Tatsachen stellen.
Die Verfassungsfeinde brauchen zur Durchsetzung ihrer Ziele die Terrorwarnung in Permanenz, und, falls das nicht reicht, irgendwann auch einen echten Anschlag. Man kann nur beten, dass es in den Sicherheitsapparaten noch genug verantwortungsvolle Beamte gibt, die einen neuen Reichstagsbrand verhindern.»
J. Elsässer: Terrorrziel Europa, Seite 318 ff.

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