Sonntag, 17. Oktober 2010

Ahmadinedschad - der Sündenbock der westlichen Welt

Wem nutzt die Berichterstattung über Mahmud Ahmadinedschad?

Niki Vogt

Vor der UN-Vollversammlung hat der iranische Staatspräsident wieder einmal geschickt provoziert. Die westlichen Medien springen auf die gewohnte Weise auf diese Provokation an. Wirklich gefährlich ist aber nicht der Vergleich der Opfer vom 11. September mit jenen durch US-amerikanische Bombardements. Der religiöse Aspekt dieser Auftritte wird sträflich unterschätzt.

In der politischen Debatte kommt es in der Regel nicht darauf an, was jemand sagt. Wichtiger ist oft, wer es sagt und wahrscheinlich auch noch wann. Positionen können fortwährend von bestimmten Beteiligten formuliert werden. Sie finden keinerlei Eingang in die politische Debatte. Der Begriff der »Schweigespirale« hat diesen Konformitätsdruck der Massenmedien zwar bereits seit 30 Jahren beschrieben. Die Wirkungsweisen bleiben aber nach wie vor die gleichen. Erst jüngst konnte man dies an der Berichterstattung über einen Eklat vor der UNO-Vollversammlung beobachten. »Der Hetzer auf dem Vulkan« war nur eine der wenig schmeichelhaften Überschriften im deutschen Blätterwald, die sich mit dem Auftritt des viel geschmähten iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad beschäftigten. Von den einen wird er als Heilsbringer verehrt, von den anderen gehasst. Für die wirklichen Inhalte des umstrittenen Politikers ist da kaum noch Platz. Seine Auftritte vor der UNO-Vollversammlung sind bereits seit Jahren Anlass für eine mediale Erregung, die bereits einem Ritual gleich inszeniert werden: von Freunden und Feinden.

So auch Ende September, als der ruhig wirkende Ahmadinedschad einige Thesen zum 11. September zum Besten gab. Wohlgemerkt, nichts von dem, was der Iraner da ohne große Schärfe zu Gehör gebracht hatte, wäre nicht vorher bekannt gewesen. Ahmadinedschad nannte drei mögliche Szenarien, was die Ereignisse des 11. Septembers anbetrifft: Der Urheber des Anschlags habe eine Terrorgruppe sein können, der die USA überlistet hätte. Diese Ansicht, so der Iraner in seiner Rede, werde vor allem von der US-Regierung propagiert. Oder: »Das Ereignis wurde durch Teile der US-Regierung zur Hervorrufung einer Wende im absteigenden Wirtschaftsverlauf und zur Vorherrschaft der USA im Nahen Osten und zur Rettung des zionistischen Regimes inszeniert.« Und schließlich: »Die Operation erfolgte durch eine Terrorgruppe, aber die damalige US-Regierung hat diese unterstützt und genutzt.« Und so funktioniert die gezielte Provokation: Der Iran braucht sich noch nicht einmal festzulegen, zu welcher Ansicht er neigt. Es sei zur Klärung dieser wichtigen Frage notwendig, wenn die UNO den Vorfall untersuchen würde. Die Vertreter von 27 Ländern, so meldete die deutsche Presse daraufhin empört, hätten die UNO-Versammlung verlassen. Auch weil der Präsident die 3.000 Opfer des 11. September mit den Opfern der Bombardements der USA aufgerechnet habe.

Tatsächlich führte Ahmadinedschad aus: »Es wurde mitgeteilt, dass am 11. September etwa 3.000 Menschen getötet wurden, was uns alle traurig macht. Aber bis heute wurden in Afghanistan und dem Irak hunderttausende Menschen getötet und vertrieben – und der Konflikt eskaliert weiter.« Als Provokation haben dies die bereits erwähnten 27 Länder empfunden. Die Verhältnisse in der UNO-Vollversammlung wären allerdings durchaus zutreffender beschrieben worden, wenn die deutsche Presse erwähnt hätte, dass 163 Delegierte sitzen geblieben waren und der Rede des iranischen Präsidenten meist zustimmend zugehört hatten. Diese Feststellung hat nichts mit einer Solidarisierung zu tun, sondern beschreibt mehr jene Isolierung der westlichen Welt, in Sonderheit Europas, die in anderer Weise auch beim EU-Asia-Gipfel deutlich wurde. Während China den afrikanischen Rohstoffmarkt in den vergangenen Jahren geschickt unter Kontrolle gebracht hat, betteln die westlichen Regierungschefs jetzt um »Gerechtigkeit« und einen »freien Markt«, der den Zugang Europas zu den wichtigen Rohstoffquellen sichern solle. Auch blendet die Berichterstattung die Realität aus, wenn es heißt, China stehe jetzt mit den alten Industrieländern auf Augenhöhe. Dieser Zustand ist Vergangenheit. Europa und erst recht die USA hecheln dem »gelben Riesen« längst hinterher.

Und ähnlich isoliert ist Europa auch in der sich zum Islam hin entwickelnden Weltgemeinschaft. Selbst säkulare Staaten des Nahen Ostens, wie dies beim Irak der Fall war und bei Syrien weiter zu beobachten ist, werden unter der tätigen Mithilfe des Westens zu religiösen Diktaturen umgewandelt, wie sie der Iran einer ist. Während Europa und die USA den Terror bekämpfen – meist, wie jetzt wieder in Pakistan, durch Terror – führt Mahmud Ahmadinedschad einen ganz anderen, einen psychologischen Krieg, der in der rituellen Berichterstattung völlig untergeht. Viel nachhaltiger nämlich dürfte die Verquickung von Glauben und Politik sein, die mit dem Muslimen Einzug in die UNO-Vollversammlung hält. Nach dem Verständnis Ahmadinedschads ist der Prophet Mohammed Endpunkt der Offenbarung, eine Art Vervollständigung der abrahamitischen Religionen. »Parallel zu dieser Entwicklung aber haben sich die Egoisten und Diener des Weltlichen diesem klaren Aufruf in die Quere gestellt und die Botschaft des Propheten bekämpft«, urteilt der Präsident in seiner Rede. Zu diesen Gegnern des Islam gehören gleichermaßen das säkulare Europa wie die USA. Gerade in den Ländern der Dritten Welt wird man es gerne hören, wenn das alte Lied des europäischen Imperialismus bemüht wird: »Die Territorien wurden besetzt und die Einheimischen in Scharen blutig niedergemetzelt und erniedrigt.« In die Kategorie dieser Auseinandersetzungen reiht er auch die beiden letzten Weltkriege bis zum Irakkrieg in der jüngsten Vergangenheit ein. Und der Islam soll nun der Versöhner innerhalb dieser kriegerischen Welt sein: »Er ruft zur Anbetung des Einen Gottes, Gerechtigkeit, Liebe zu den Menschen, Kultivierung der Erde, Nachdenken und Verteidigung der Unterdrückten und Kampf gegen die Unterdrücker auf.« Die Unterdrücker sind nach diesem Verständnis die säkularen Staaten des Westens.

»Der Koran ist ewig, wie Gott und die Wahrheit ewig sind. Dieser Schritt und jeder andere Schritt, der zur Vertiefung von Klüften und trennenden Abständen zwischen den Völkern führt, sind teuflischer Natur. Man muss sich klug davor hüten, in Satans Falle zu gleiten.« In solchen Sätzen liegt die eigentliche Sprengkraft. Denn nach dem Verständnis des Islam spielen Völker und Nationen keine Rolle, weil diese sich der großen Gemeinschaft der Glaubensgemeinschaft Umma unterzuordnen haben. Wirklicher Frieden herrscht also nach der Vorstellung des Islam nur dann, wenn der Islam die Welt missioniert hat. Den Respekt, den der Iraner anderen Gottesbüchern entgegenbringt, ist nicht viel wert. Da nach seinem eigenen Verständnis Mohammeds Prophezeiung am Ende der Überlieferungskette steht, mag zwar Respekt gegenüber dem Christentum theoretisch vorhanden sein. Nach muslimischer Vorstellung ist aber nur der Koran relevant, dessen Ordnung auch die Gesellschaft allgemein betrifft. Die Problematik solcher Staaten wie dem Iran liegt nicht in der Urananreicherung, sondern in dem Zugriff auf die Menschen durch die Religion. Europa wird zurzeit gerade islamisiert.

Ein Mahmud Ahmadinedschad, der vom Westen durch eine undifferenzierte und nachweislich verlogene Berichterstattung zum Märtyrer gemacht wird, bekommt dadurch einen Status und eine Bedeutung, die nachhaltig wirkt. Der Schaden, der ihm durch falsche Übersetzungen, Unterstellungen und Anschuldigungen zugefügt werden soll, wirkt nur in den westlichen Ländern. Und das auch nur solange, wie die Mainstreammedien das mangels Korrektiv unbeanstandet behaupten können.

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