Montag, 22. Februar 2010

Politische Korrektheit - semantische Verbotstafeln

Die Diktatur der „Politischen Korrektheit“

von Peter Stiegnitz

Es ist lange her. Wir schrieben damals das Jahr 1958, als mein Freund und ich nach Westberlin zu einer Studententagung flogen. Wir mussten fliegen, weil ich als frischgebackener ungarischer Flüchtling nicht über die DDR fahren konnte. An die Tagung selber kann ich mich nicht mehr erinnern; vielmehr an eine kleine Begegnung am Abend; wir besuchten einen „Nightclub“. Harmlos, wie damals alles noch war, wurde ein Orangenwettessen unter den Gästen, allesamt Tagungsteilnehmer, veranstaltet. Während alle anderen Teilnehmer fein-artig, meist mit einem Taschenmesser ihre Orangen schälten, riss unser Freund aus Israel in Sekundenschnelle die Schale von der Frucht und genauso schnell war er mit dem Obst fertig. Das Markanteste an diesem Abend, und damit nähere ich mich meinem heutigen Thema, war nicht der „Blitzkrieg“ unseres israelischen Genossen mit der Orange, sondern eine kleine Szene anschließend. Vom Nachbartisch gratulierte ein unterlegener Orangenesser dem Sieger: „Glückwünsche, Jude …!“ Ich wollte ob dieser offensichtlichen Beleidigung aufspringen, als mich der Israeli mit den Worten zurückhielt: „Was willst du, er hat recht; ich bin Jude. Na und.“
Heute, ein halbes Jahrhundert später wäre so eine Szene in Deutschland oder in Österreich undenkbar. Und das, obwohl Juden „Juden“ geblieben sind. im Schatten der verlogenen „Politischen Korrektheit“ würde man solch einem Rufer mit dem Paragraphen des „Wiederbetätigungsgesetzes“ drohen.

Weshalb ich die aufgezwungene Art und Weise der „Politischen Korrektheit“ für verlogen halte, möchte ich in einer Zeichnung beweisen. Vorher allerdings ein Wort zur soziologischen Grundlage: In den Ländern der „Ersten Welt“, dazu zähle ich nach wie vor die ehemaligen kommunistischen Staaten nicht, widerspricht den trotz Finanzkrisen immer noch stabilen politischen und wirtschaftlichen Tatsachen das vor allem durch die Medien gesteuerte verunsicherte Selbstbild der Bevölkerung. Da wir im Gegensatz zu den islamischen Ländern erbarmungslos unsere abendländische Tradition auf dem progressiven Altar des Zeitgeistes opferten, fallen wir – ohne kulturellen Halt – immer tiefer in eine pessimistische Generalstimmung.

Die großen Profiteure dieser kollektiven Verunsicherung und des individuellen Pessimismus sind die Bewahrer des Zeitgeistes, die eifrig am abendländischen Ast, auf dem wir alle sitzen, sägen. Diese Bewahrer, die unsere geistige Welt von der Wiege (als Geburtshelfer für Totgeburten) bis zur Bahre (als Totengräber unseres Sicherheitsbedürfnisses) begleiten, sind – wie schon gesagt – die lukrativen Nutznießer der von ihnen erzeugten pessimistischen Darstellungen. Oder anders formuliert. Sie sind in Personalunion Produzenten und Verkäufer des grassierenden Kulturpessimismus.

Warum halte ich die Politische Korrektheit für verlogen und reihe diese in die unrühmliche Gruppe der Kollektivlügen ein? Weil alles, was den psychologischen Grundbedürfnissen der Menschen widerspricht und diese sogar leugnet, als Lüge bezeichnet werden kann. Hiezu ein Zitat als konkretes Beispiel: „Ich bin der Meinung, dass das deutsche Volk jetzt endlich und besser und mehr als bisher ein selbstverständliches, ruhiges, ausgeglichenes, aber unerschütterliches nationales Selbstbewusstsein braucht, seinetwegen, aber auch der Völker Europas wegen. „Wer diesen Satz im heutigen Deutschland, dessen kollektive Uniform immer noch das Büßerhemd ist, hört, der ist davon überzeugt, dass hier ein Neonazi sein Unwesen treibt. Weit gefehlt. Der Autor dieses Satzes war der erste Nachkriegsvorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher. Zitiert habe ich es aus seiner Broschüre „Deutschlands Forderung: Gleiches Risiko, gleiches Opfer, gleiche Chancen!“ aus dem Jahre 1946.

Während die politisch korrekte historische Analyse für die NS-Machtergreifung 1933 in Deutschland überwiegend die Konservativen und das Großkapital in die Verantwortung nahm, war Schuhmacher ganz anderer Meinung: „… ohne die Haltung der Kommunisten wäre das Versagen des deutschen Parlamentarismus und damit die Möglichkeit für die Nazi, an die Regierung zu kommen, nicht gegeben gewesen.

Die Geschichte der Politischen Korrektheit ist uralt, sie erreichte uns aus den Vereinigten Staaten und war ursprünglich religiös begründet. Im Jahre 1793 legte der Oberste Gerichtshof (im Fall eines Bürgers namens Chisholm gegen den Staat Georgia), unter anderem fest, dass ein Eid nicht auf den Staat, sondern auf das Volk abzulegen sei, da der Staat „zwar das edelste Werk des Menschen, der Mensch selbst jedoch das edelste Werk Gottes sei.“

Dann gab es, zumindest an der Front, lange Zeit Ruhe, bis Ende der 50-er und Anfang der 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts die amerikanische Bürgerrechtsbewegung den Schlachtruf „politically correct“ erfand. Im Kampf gegen echte, aber auch angebliche Diskriminierung von Minderheiten, haben Linke, Schwarze und Feministinnen eine Veränderung der Sprache vehement verlangt.
Wie in nahezu allen revolutionären Bewegungen, so war auch der Anfang der PC-Bewegungen nicht unbegründet. Die unmenschliche Rassentrennung, die Benachteiligung der Frauen in der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, passte nicht mehr in die liberale Nachkriegszeit der amerikanischen Gesellschaft. Daher war eine Änderung durchaus sinnvoll und auch angebracht.

Siegreiche Revolutionen, wie das in Paris und in Petersburg der Fall war, stürzen zwar die vorhergehende Herrschaft, doch zerstören sie diese nicht, sondern sie setzen sich selber in die bequemen Stühle der Tyrannen und „fressen“ sich gegenseitig auf; denken wir dabei nur an Robespierre und Trotzki. So war es auch im historischen Ablauf der PC. Anfang 1980 haben Studenten der Universität von Kalifornien, diese geistigen Väter und Mütter der europäischen 68-er Unruhen verlangt, dass die „Werke von toten, weißen europäischen Männern“ nicht mehr unterrichtet werden. Ironischerweise waren damit die großen Philosophen der deutschen und französischen Aufklärung gemeint. Statt Kant und Voltaire wollten die Studenten „weibliche und außereuropäische Autoren“ hören.

Gegen diesen Missbrauch einst durchaus berechtigter Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit wandten sich seit Anfang der 90-er Jahre auch namhafte amerikanische Journalisten; so zum Beispiel Richard Bernstein, Sohn europäischer Migranten, der am 27. Oktober 1990 in der New York Times die sinnlosen Auswüchse der Politischen Korrektheit mit „Orthodoxie“, „Faschismus“, „Fundamentalismus“ und sogar mit „Tyrannei“ gleichsetzte.
Bernstein qualifizierte die „Bildungsinhalte der amerikanischen Reformbewegungen seit den sechziger Jahren eindeutig als negativ.

Auch in liberalen Medien, wie in der Münchner „Süddeutschen Zeitung“ wurden Auswüchse der Politischen Korrektheit kritisiert. So schrieb Christine Brink am 3. November 1991 über „Multi-kultureller Joghurt“ und meint: „In amerikanischen Universitäten greift ein neuer Sprach-Terror um sich.“ Der Spiegel-Reporter Matthias Matussek sieht 1993 in einer New Yorker Ausstellung der Fotografin Nan Goldin einen „Schauprozess“ und schreibt: „Ein Kampfbegriff der Black-Power-Bewegung aus den sechziger Jahren macht erneut Karriere: political correctness“. Der Spiegel entdeckte damals an amerikanischen Universitäten eine „Sprach- und Denkpolizei radikaler Minderheiten, die Vorlesungsverzeichnisse … kontrollieren.“ Selbst der linksliberalen Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ bleibt ein ehrlicher Artikel von Dieter E. Zimmer („PC oder: Da hört die Gemütlichkeit auf“) nicht erspart. Für alle Fälle schickte die Redaktion diesem Artikel die Bemerkung voraus, dass diese „Thesen“ auch für die Zeitung „sehr umstritten seien“. – Eine feige Verbeugung vor dem Zeitgeist.

Zu den dümmlichen Auswüchsen als Zeichen einer missverstandenen Emanzipation wird in immer mehr Medien das so genannte „Binnen-I“ verwendet. Ob man von „Arbeitnehmern“ und „Arbeitnehmerinnen“ oder von „ArbeitnehmerInnen“ schreibt, das beeinflusst den Arbeitsmarkt nicht. Diese Schreibform ist genauso sinnlos wie alle anderen Vorschriften der so genannten „positiven Diskriminierung“. Ich frage mich was daran „positiv“ ist, wenn das Geschlecht und nicht die Fähigkeiten bei der Besetzung verschiedener Posten in Politik und Verwaltung entscheiden. Ist das nicht „Rassismus – neu“? Feministische Vertreterinnen der Politischen Korrektheit üben sich gerne in Kollektivlügen; die weiblichen Sprachformen wenden sie nur bei positiven Inhalten an. So meiden sie beispielsweise ängstlich das Wort „TerroristInnen“. Sie sprechen und schreiben nur von „Terroristen“ – und das ganz ohne das Binnen-I. Bei gemischt-geschlechtlichen Opfergruppen werden in ORF-Nachrichten Frauen oft hervorgehoben; in Tätergruppen allerdings nie.

Auch die häufige Neuschaffung politisch korrekter Bezeichnungen, wie die positive Diskriminierung oder das Verschweigen weiblicher Übeltäter beseitigt keinen Rassismus, hebt keine Ungleichheit auf. Oft ganz im Gegenteil: Die Empörung über die verlogene und diktatorische Realitätsverweigerung stärkt rassistische, diskriminierende Einstellungen. Jeder neue PC-Begriff diskriminiert die eigene, vorhergehende Bezeichnung einer bestimmten Volksgruppe. Statt diese zu schützen, wie es PC-Verfechter unermüdlich betonen, erzeugen sie gegenteilige Gefühle.

Die Verfechter der Politischen Korrektheit wollen die von ihrer Meinung abweichende Sprache und andere Meinungen verbieten. Einem „Gottesurteil“ ähnlich hört man auch bei uns immer wieder: „Das darf man heute nicht mehr sagen …!“
Sicherlich: hinter dem abwertenden Wort „Nigger“ versteckt sich purer Rassismus. Gut, also nicht „Nigger“ und auch nicht „Negro“, obwohl letzteres ein spanischen Lehnwort und keine Diskriminierung ist. Dann dufte man „black“ sagen, wenn auch nicht lange. Anderen nicht. Dann durfte man nur mehr „afro-american“ sagen. Dass es sich dabei durchaus um wenn auch nur ungewollten Rassismus handelt – Menschen nach ihrer Herkunft zu bezeichnen – das fiel den PC-Vorbetern nicht auf. Also: „afro-american“ in den USA, „Euro-Afrikaner“ in Europa und vielleicht „Afro-Afrikaner“ in der alten Heimat, um damit die Minderheit der letzten überlebenden Weißen ab- und auszugrenzen.
Was darf man heutzutage alles nicht sagen: Beginnen wir mit den „Zigeunern“. So darf man sie nur mehr „Roma und Sinti“ nennen. Und das, obwohl es unzählige andere Stämme, wie beispielsweise die Lovara gibt. Wie viel ehrlicher benimmt sich die offizielle Vertretung der immerhin über 100.000 ungarischen Zigeuner, die sich auch offiziell „Zigeuner Selbstverwaltung“ nennt und ihre Vertreter unter diesem Namen auch in den gesetzgebenden Körperschaften sitzen. Da in Mittel- und Westeuropa eher wenige Eskimos leben, stört es hierzulande nicht sonderlich, dass man sie nur mehr „Inuit“ nennen darf. und so weiter, und so fort.

Mit der Keule der Politischen Korrektheit werden nicht nur ethnische Minderheiten geschützt. So ist es beispielsweise in der progressiven Pädagogik verboten, von „schwer erziehbaren Kindern“ zu sprechen. Zuerst durfte man die lieben Jugendlichen, die andere halbtot prügeln, „verhaltensauffällig“ nennen. Jetzt darf man auch nicht mehr von „Verhaltensauffälligen“ sprechen. Wie skurill der PC-Erfindergeist ist, verweist die Tatsache, dass man solche Jugendlichen nur mehr „verhaltensoriginell“ nennen darf. Wirklich originell.

Umberto Eco hat es auf den Punkt gebracht; ich darf sinngemäß zitieren. Die Politische Korrektheit ist überhaupt dazu da, das zugrunde liegende Problem, weil es ungelöst ist, sprachlich zu kaschieren.

Eco hat Recht. Die Politische Korrektheit fragt nicht, ob man „Neger“ liebt oder nicht, ob man „Zigeuner“ akzeptiert oder nicht, ob man „Eskimos“ für Rohfleischesser hält oder nicht, sondern begnügt sich mit einer oberflächlichen, sprachlichen Kosmetik. und das, genau das ist verlogen.

Jeder von uns ist davon überzeugt, dass man Rassismus nicht bejahen darf. Wer Menschen nach seiner Herkunft, Religion oder Hautfarbe beurteilt, wer Minderheiten den jedem Menschen gebührenden Respekt verweigert, der sollte eines Besseren belehrt werden. Allerdings nicht mit semantischen Verbotstafeln, die genauso sinnlos sind wie die zweisprachigen in Kärnten, sondern mit der Bejahung der eigenen historischen, philosophischen und religiösen Tradition. Wer die durchaus berechtigten Begriffe wie „Volk“ und „Heimat“ nur deshalb leugnet, weil diese einst missbraucht wurden, wer die eigene Identifikation verbietet und diese nur Minderheiten und Migranten zugesteht, der sollte sich nicht wundern, wenn alte Vorurteile, wenn auch im neuen Gewand, weiter bestehen.

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