Dienstag, 26. April 2011

Soziale Apokalypse

Soziale Apokalypse ebenfalls nicht mehr abwendbar

Eva Herman

Ein Aufschrei erklang in den Medien, als die jüngste Allensbach-Studie vor wenigen Tagen der Öffentlichkeit kundtat, wie es mit unseren Kindern, den Lehrern, der Bildung und der Zukunft in Deutschland bestellt ist. Von Überraschung bis Empörung war alles dabei: Die Kinder des Landes seien unkonzentriert und lernten immer schlechter, sie seien vor allem materialistisch eingestellt, die Eltern erwarteten zu viel von überforderten Lehrern, die ihrerseits genervt abwinkten und feststellten: Nie hatten Eltern so wenig Zeit für ihre Kinder wie heute. Und zu keiner Zeit stand es schlimmer um das familiäre Leben als heutzutage. Politiker taten besorgt, die Medien schäumten.

Das ist also der Jetztzustand. Und morgen? Wie sieht die Zukunft aus? Schlecht, kann man leider nur noch sagen. Noch schlechter. Düster bis dunkeldüster! Denn die familiären Bindungen sind nahezu überall zerbrochen, und die Schraube windet sich unaufhaltsam weiter nach unten. Allensbach-Chefin Renate Köcher brachte das Debakel mit dem Satz auf den Punkt: Eltern kümmerten sich heutzutage zu wenig um die Kinder daheim, weil sie beide meist berufstätig seien. Dies ist der wichtigste Gedanke, die Kernbotschaft an die ganze Gesellschaft. Gleich noch einmal der bedeutungsvollste Satz des Jahres, damit er nicht gleich wieder vergessen wird: Eltern kümmern sich heutzutage zu wenig um die Kinder daheim, weil sie beide meist berufstätig sind!

Das ist der Grund für all die Probleme, die inzwischen deutlich aus dem trüben Sumpf der Bindungslosigkeit gewachsen sind. Für alle Probleme? Jawohl, so ist es. Und jeder könnte es mittlerweile eigentlich auch wissen. Die fehlende Zeit der Eltern für ihre Kinder zerstört die Generationen. Mangelnde Zeit und mangelnde Aufmerksamkeit sind verantwortlich für nahezu alle sozialen Probleme, alle gesellschaftlichen, mitmenschlichen, familiären, beruflichen und sogar für eine Vielzahl gesundheitlicher Missstände.

Das, was in der aktuellen Allensbachstudie zu Recht als dramatische Entwicklung dargestellt wird, ist seit Langem absehbar gewesen, auch wenn jetzt vor allem die Medien ganz überrascht tun wollen. Fehlende Verantwortung sei deswegen nicht nur den Eltern, die keine Zeit mehr für ihre Kinder haben, vorzuwerfen. Sondern in aller erster Linie betrachte man sich die dreisten »Unter-den Teppich-Kehr-Attitüden« von Politik und Medien, die seit Jahrzehnten die Erwerbstätigkeit der Frau glorifizieren und unter einem falschen Heiligenschein den Bürgern schmackhaft zu machen suchen durch zum größten Teil unzulässige Politpropaganda und vorsätzliche Denkmanipulation, die die Grenzen zur kollektiven Gehirnwäsche längst überschritten haben.

Seit Eltern, namentlich die Mütter, aus beruflichen Gründen nicht mehr genügend Zeit für Familie und Kinder haben, sondern Letztere immer öfter sich selbst überlassen sind, geht es bergab mit der Gesellschaft. Nicht nur, dass seit der flächendeckenden Einführung der weiblichen Erwerbstätigkeit Ende der 1960er-Jahre ein massiver Geburteneinbruch bis zum heutigen Tage erfolgte, der eine schwerstwiegende Demografie-Krise mit sich führt, die Kinder erleiden außerdem täglich extreme Entbehrungen: Liebes- und Zeitmangel, fehlende Elternvorbilder, Richtlinien der Erziehung wie Ordnung und Disziplin. Den Feministinnen ist das übrigens piepegal. Sie sind am Wohl von Kindern und Gesellschaft vollkommen uninteressiert, gilt doch ihr einziges Ziel der sogenannten Unabhängigkeit der Frau. Unabhängigkeit? Von was eigentlich? Ja, ja, vom Mann, jetzt auch vom Kind, vom Heim. Vom Glück! Nie lag die Frau mehr in Ketten als heute: Zwar kann sie jeden Beruf ergreifen, doch hat sie keine Zeit mehr für irgendetwas, außer, zwischen ihren verschiedenen Lebensbaustellen wie Kindern, Kochen, Karriere und Kalorienzählen hin- und herzuhetzen, um allen Ansprüchen der modernen, emanzipierten Frau auch zu genügen.

Alle bleiben dabei auf der Strecke: die Frauen, die Männer, die Kinder, die Alten, der Beruf, Schulen, Gesellschaft. Häufig werden die Bedürfnisse schon der Kleinsten nicht mehr erfüllt, im Alter von wenigen Monaten werden sie – staatlich gefördert und politisch gewollt – in die Fremdbetreuung abgeschoben. Liebe, Nähe, Geborgenheit? Fehlanzeige. Stattdessen: Stress, fremde Leute, mangelnde Empathie. Heranwachsende werden in Ganztagsschulen gesteckt, wo sie den Familien weiter entrissen und entfremdet werden. Ihre grundlegenden Bedürfnisse nach Freizeit und natürlichem, familiärem Tagesablauf werden derweil gestillt und ersetzt durch Materielles: Geld, Medienspiele, Handys, Computer etc. Kinder sind heute zu materialistisch geworden, klagen die Lehrer nach der jüngsten Allensbach-Studie. Ach, ja? Wer macht sie eigentlich dazu?

Die Familie wurde durch die Erwerbstätigkeit der Frau aufgelöst. Das gesamte Drama in all seinen Facetten und mit sämtlichen Folgen ist derzeit noch nicht komplett absehbar. Doch genügt bereits der Blick auf heutiges Geschehen, um zu ahnen, was uns bald noch alles bevorstehen mag. Denn lange wird es nicht mehr dauern, bis die Missstände für alle Menschen fatal zum Ausdruck kommen müssen. Die Allensbach-Studie spricht Bände, und zwischen allen Zeilen kann jeder, der es will, die Botschaft erkennen: Die Familie löst sich auf, und damit kommen immense Probleme auf uns zu. Auch wenn uns durch falsch interpretierte Politpropaganda-Studien der bundesdeutschen Medienöffentlichkeit von Zeit zu Zeit immer wieder weisgemacht werden soll, dass berufstätige Mütter erfolgreichere Kinder hätten, so sieht die Wirklichkeit ganz anders aus: Drogen, Alkohol, Fettleibigkeit, Kriminalität, Depression, Desinteresse, aber auch die Unfähigkeit vieler junger Leute, auch nur die geringsten Anforderungen zu erfüllen, wenn es um die berufliche Ausbildung geht, sind die bittere Realität der heutigen Zeit. Allerorten die gleiche Botschaft: Ein Großteil der jungen Menschen ist ausbildungsunfähig, ob in Handwerk oder anderen Dienstleistungssektoren, bei der Polizei oder Bundeswehr, ob in weiterführenden Schulen. Ihre Ansprüche können die jungen Leute meist genau definieren, ihre Fähigkeiten stehen jedoch in keinerlei Verhältnis dazu. Durch elterliche, vor allem mütterliche Vernachlässigung laufen nachfolgende Generationen langsam, aber sicher, aus dem Lebensruder.

Wer in seiner Kindheit keine familiäre Bindung erlernt, wird sie später auch nicht entwickeln können. Deutschland wird zur Single- und Alten-Gesellschaft, doch trifft kaum ein Mensch die Entscheidung, allein zu leben, freiwillig. Es kommt einfach immer seltener zu Bindungen, weil zunehmend weniger Menschen dazu geeignet sind. Rücksichtnahme und Verantwortung, die der Mensch als Kind nicht erleben durfte, lernt er später auch nicht mehr für sich und andere. Dafür wissen wir: die wachsende Zielgruppe unseres Landes sind alte Leute. Schon 2030 wird Deutschland zur Hälfte aus Rentnern bestehen.

Die Alten werden immer mehr. Sie werden immer ärmer, immer trauriger und immer einsamer. Außerdem steigen Alterskrankheiten wie Alzheimer, Demenz und Depressionen weiter dramatisch an. 2030 also besteht unser Land zur Hälfte aus alten, oft kranken und verwirrten Menschen. Wer sich das nur bildhaft vorstellen will, mag bereits bei dem Gedanken daran verzweifeln. Goldene Zukunft? Wohl eher nicht. Ein Desaster wartet auf uns.

Trübe Aussichten also. Von den allermeisten Medien werden diese gesellschaftsrelevanten Zustände jedoch noch nicht einmal ansatzweise ins tägliche Berichterstattungsprogramm aufgenommen. Warum? Ganz einfach: Weil diese Thesen politisch unkorrekt sind, ein Tabu darstellen. Denn die Erwerbstätigkeit der Frau ist inzwischen zur Heiligen Kuh mutiert, niemand soll und darf sie noch anzweifeln, genau wie einst zu Honeckers Zeiten. Dass berufstätige Mütter unter dem Mehrfachdruck zusammenbrechen, belegen sämtliche Burn-out, Depressions- und Alkoholsuchtstudien. Doch auf die hört niemand, bzw. es werden die falschen Schlüsse für die Entstehung dieser gesellschaftszerstörenden Übel gezogen, die inzwischen längst die Stabilität der Menschengemeinschaft gefährden.

Im Herbst 2010 haben sich 19 Klinikärzte in einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit gewandt: Sie warnen vor einem weltweiten »Seeleninfarkt«: »Seelische Erkrankungen und psychosoziale Probleme nehmen in allen Industrienationen ständig zu. Mittlerweile leiden rund 30 Prozent der Bevölkerung innerhalb nur eines Jahres an einer diagnostizierbaren psychischen Störung. Am häufigsten sind Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen und Suchterkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert, dass Depressionen bis zum Jahr 2020 nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Erkrankung der Welt werden. Dadurch wird der Herzinfarkt beinahe vom ›Infarkt der Seele‹ abgelöst.«

Der neuen Allensbach-Studie zufolge verzweifeln vor allem die Lehrer an einer möglichen Wertevermittlung, die eigentlich im Elternhaus der Kinder stattfinden müsste. Drei von vier Lehrern halten die Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder für überfordert, zu wenig Zeit würden sie sich für ihren Nachwuchs nehmen. An den Hauptschulen sei es »außerordentlich schwer«, aber auch die anderen Lehrer halten ihren Einfluss überwiegend für gering, viel wichtiger für die Schüler seien in dieser Reihenfolge: die Medien, ihr Freundeskreis, die Eltern, die Klassenkameraden, die Schule als Ganzes. Nur acht Prozent der Lehrer glauben, »sehr großen Einfluss« auf ihre Schüler ausüben zu können.
Der kritischen Haltung der Lehrer gegenüber Eltern und Schülern stehen übrigens, wie könnte es anders sein, immer größere Erwartungen der Eltern an die Schulen gegenüber. 86 Prozent von ihnen fordern die erfolgreiche Vermittlung von Rechtschreibung und Grammatik, 79 Prozent glauben, dass eine gute Allgemeinbildung der Kinder Aufgabe der Schule sei, auch Werte wie Pünktlichkeit und Hilfsbereitschaft fordern 66 Prozent der Eltern von den Lehrern, Leistungsbereitschaft sollen die Kinder ebenso in der Schule von den Lehrern, und nicht etwa daheim, vermittelt bekommen, finden 65 Prozent der Eltern.

Verkehrte Welt? Ja, auf jeden Fall! Denn mit dem wachsenden Unvermögen der Eltern, ihre eigenen Kinder zu kennen, sie im Griff zu haben und ihnen das Leben beibringen zu können, wachsen die Ansprüche an andere Institutionen, wie Schule und Staat. Damit ist eigentlich schon der letzte Schritt in ein sozialistisches System getan. Was das bedeutet, weiß jeder: Früher oder später bricht der ganze Laden sowieso zusammen.

Samstag, 23. April 2011

Klimaerwärmung

Wissenschaftler: Erwärmung durch Kohlendioxid ist viel zu gering, um sich darüber Sorgen machen zu müssen!

David Evans

Die Debatte über die globale Erwärmung hat mittlerweile lächerliche Ausmaße angenommen und steckt voller mikrodünner Halbwahrheiten und Missverständnisse. Ich bin ein Wissenschaftler, der einst auf dem Zug der Erwärmung mitgefahren war, der die Beweise versteht, der einst ein Alarmist war, der aber inzwischen Skeptiker geworden ist. Es war zunächst amüsant, das Ganze unvoreingenommen zu beobachten, aber seit einiger Zeit ist es auch besorgniserregend. Die Angelegenheit zerreißt die Gesellschaft und macht unsere Politiker zu Narren.

Ich möchte ein paar Dinge klarstellen.

Die gesamte Idee, dass Kohlendioxid die Hauptursache der kürzlich erfolgten globalen Erwärmung gewesen ist, wurde durch empirische Beweise seit den 1990er-Jahren eindeutig widerlegt. Aber der Erwärmungszug fuhr bereits zu schnell und enthielt zu viele Jobs, Industrien, Profite, politische Karrieren sowie die Möglichkeit einer Weltregierung und im Endergebnis totale Kontrolle. Anstatt zuzugeben, dass sie falsch lagen, halten die Politiker und ihre handzahmen Wissenschaftler jetzt die Fiktion, dass Kohlendioxid ein gefährlicher Giftstoff ist, auf empörende Weise am Leben.

Um es ganz klar zu sagen: Kohlendioxid ist ein Treibhausgas, und je mehr davon in der Luft enthalten ist, umso wärmer ist der Planet. Jedes bisschen Kohlendioxid, das wir ausatmen, erwärmt den Planeten. Aber die Frage ist nicht, ob, sondern wie stark das Kohlendioxid zur Erwärmung beiträgt.

Die meisten Wissenschaftler auf beiden Seiten stimmen auch darin überein, wie stark ein bestimmter Anstieg des CO2-Anteils in der Atmosphäre die Temperatur des Planeten steigen lässt, wenn man zusätzliches Kohlendioxid berücksichtigt. Diese Berechnungen stammen aus Laborexperimenten; die grundlegende Physik dahinter ist seit einem Jahrhundert verstanden.

Der Streit beginnt damit, was danach kam.

Der Planet reagiert auf dieses zusätzliche Kohlendioxid, was alles ändert. Am meisten umstritten ist der Umstand, dass die zusätzliche Wärme zu größerer Verdunstung aus den Ozeanen führt. Aber bleibt diese zusätzliche Feuchtigkeit einfach in der Luft hängen und lässt den Anteil an Feuchtigkeit zunehmen, oder sorgt dies einfach nur für mehr Wolken und Regen? 1980, als die Theorie vom Kohlendioxid anfing, wusste das niemand. Die Alarmisten schätzten, dass die Menge an feuchter Luft rund um die Erde zunimmt, was zu weiterer Erwärmung führt, weil Feuchtigkeit auch ein Treibhausgas ist.

Dies ist die Kernidee jedes offiziellen Klimamodells. Für jedes einzelne Quäntchen Erwärmung durch Kohlendioxid wird einfach behauptet, dass der zusätzliche Eintrag feuchter Luft zu drei Quäntchen Erwärmung führt. Die Klimamodelle vergrößern den Erwärmungseffekt um den Faktor drei – sodass zwei Drittel ihrer simulierten Erwärmung auf zusätzlichen Feuchteeintrag (und andere Faktoren) zurückgehen; nur ein Drittel wird durch das zusätzliche Kohlendioxid verursacht.

Das ist der Kern dieser Angelegenheit. Alle Streitigkeiten und Missverständnisse haben hier ihren Ursprung. Die Alarmisten gründen ihre Behauptungen auf die Feuchtigkeit in der Atmosphäre, doch gibt es einfach keinen Beweis für diese Verstärkung im Kern ihres Alarmismus.

Seit den 1960er-Jahren wurde die Atmosphäre mit Wetterballonen messtechnisch erfasst, es gab viele tausend Einsätze pro Jahr. Die Klimamodelle sagen alle übereinstimmend vorher, dass der Planet sich erwärmt, und dass sich ein »Hot Spot« feuchter Luft in zehn Kilometern Höhe über den Tropen bilden soll, wenn sich die feuchte Luftschicht ausdehnt. Während der Erwärmung in den späten 1970er- sowie den 1980er- und 1990er-Jahren fanden die Ballone keinen »Hot Spot«. Überhaupt keinen. Nicht einmal einen kleinen. Dieser Umstand ist ein klarer Beweis dafür, dass die Klimamodellrechnungen fundamental versagt haben und dass sie den Temperaturanstieg durch Kohlendioxid weit überschätzen.

Dieser Beweis trat Mitte der 1990er-Jahre erstmals klar zutage.

An diesem Punkt hörte die »Klimawissenschaft« auf, Wissenschaft zu sein. In der echten Wissenschaft sticht der empirische Beweis immer die Theorie aus, egal wie verliebt man in diese Theorie ist. Aber die offizielle Klimawissenschaft ignorierte den durch die Wetterballone erbrachten Beweis, ebenso wie andere Folgebeweise, die die Wetterballone bestätigten, sondern klebte stattdessen an ihrer Theorie zum Kohlendioxid – hielt sie dies doch in gut bezahlten Jobs mit großzügigen Forschungszuwendungen. Außerdem erhielten sie so politische Macht über ihre Regierungsbeamten.

Mittlerweise gibt es unabhängig voneinander viele verschiedene Beweisstücke, die belegen, dass durch den zusätzlichen CO2-Eintrag die Erwärmung der Erde gedämpft wird. Jedes langzeitliche System verhält sich so und reagiert so auf jede Störung. Anderenfalls würde das System instabil werden. Das Klimasystem bildet da keine Ausnahme, und jetzt können wir das beweisen.

Aber die Alarmisten sagen genau das Gegenteil, nämlich dass das Klimasystem jede Erwärmung durch zusätzliches CO2 beschleunigt und potenziell instabil ist. Es ist keine Überraschung, dass ihre Prognosen der planetaren Temperatur, die sie 1988 sowie 1990, 1995 und 2001 vor dem US-Kongress abgaben, sich allesamt als viel höher herausgestellt haben, als es dann in Wirklichkeit der Fall war.

Sie fahren fort, den erwarteten Temperaturanstieg zu reduzieren, von 0,3°C pro Dekade 1990 auf 0,2°C pro Dekade in 2001 und aktuell 0,15°C pro Dekade – und haben noch die Frechheit, uns zu sagen, es sei »schlimmer als erwartet«. Diese Leute sind keine Wissenschaftler. Sie überschätzen die Temperaturzunahme durch das Kohlendioxid, lehnen selektiv Beweise ab und verbergen inzwischen die Wahrheit.

Eine Art des Verbergens liegt in der Art, wie sie die Temperatur messen. Die offiziellen Thermometer befinden sich oft im warmen Abwind von Klimaanlagen, über heißen Asphaltflächen an Flughäfen, meist auch noch im Abgasstrahl von Düsenjets, bei Kläranlagen, wo sich durch das Kompostieren von Faulschlamm Wärme entwickelt, oder in aufgeheizten Städten mit vielen Autos und Gebäuden. Die Globale Erwärmung wird in Zehntelgrad gemessen, sodass jede äußere Wärmeeinwirkung von Bedeutung ist. In den USA verletzen fast 90 Prozent aller von Freiwilligen bedienten Stationen die Richtlinien bezüglich der Lage, die einen Mindestabstand von künstlichen Heizquellen vorschreiben.

Die globale Temperatur wird auch durch Satelliten gemessen, die nahezu den gesamten Planeten sieben Tage pro Woche 24 Stunden lang ohne Verzerrungen beobachten. Diese Satellitendaten weisen das Jahr 1998 als das wärmste Jahr aus, und dass die Temperatur seit dem Jahr 2001 nicht mehr gestiegen ist (levelled off). Warum folgt die offizielle Wissenschaft nur den Thermometern an der Erdoberfläche und erwähnt die Satellitendaten nicht einmal?

Die Erde befand sich seit den Tiefen der Kleinen Eiszeit um 1680 in einem Erwärmungstrend. Menschliche Emissionen von Kohlendioxid waren vor 1850 vernachlässigbar und kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtig in Gang. Daher kann anthropogenes CO2 unmöglich den Trend ausgelöst haben. Innerhalb dieses Trends sorgte die Pazifische Dekadische Oszillation (PDO) für einen Wechsel zwischen globaler Erwärmung und Abkühlung für jeweils 25 bis 30 Jahre in beide Richtungen. Wir befinden uns gerade am Ende einer Warmphase, sodass man während der nächsten zwei Jahrzehnte eine leichte globale Abkühlung erwarten kann.

Wir befinden uns derzeit aber auch an einem außerordentlichen Zusammentreffen. Die offizielle Klimawissenschaft, vollständig von der Regierung dirigiert und gefördert, treibt eine auf Mutmaßungen über feuchte Luft basierende Theorie voran, doch haben diese Mutmaßungen sich längst als falsch herausgestellt. Die Regierungen nehmen diesen Rat voller Schadenfreude an, weil der einzige Weg, die Emissionen zu drosseln, darin besteht, Steuern zu erheben und die Kontrolle der Regierung über den gesamten Energieverbrauch zu erweitern. Und die Drosselung der Emissionen im weltweiten Maßstab könnte sogar zu einer Weltregierung führen – wie aufregend für die politische Klasse!

Selbst wenn alle CO2-Emissionen ab morgen beendet sind, alle Geschäfte geschlossen sind und wir zurück in die Steinzeit katapultiert werden, würde die Temperatur bis 2050 um 0,015°C zurückgehen. Aber ihre Modelle übertreiben um das Zehnfache – tatsächlich würden unsere Opfer den Planet bis 2050 um bloße 0,0015°C abkühlen!

Schließlich, das gilt für alle diejenigen, die immer noch glauben, dass unser Planet durch Emissionen von Kohlendioxid in Gefahr ist: Es tut mir leid, aber man hat Sie hereingelegt! Ja, Kohlendioxid ist ein Grund für globale Erwärmung, aber der Effekt ist so minimal, dass es nicht wert ist, viel für eine Drosselung von Emissionen zu tun.

Freitag, 15. April 2011

Die Strategie der EU

EU will der Schweiz ihre Gesetze und ihre Rechtsprechung aufzwingen

von Dr. iur. Marianne Wüthrich, Zürich

Eine «Dynamisierung oder «Institutionalisierung» der rechtlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU fordern die Machthaber, so EU-Ratspräsident Van Rompuy oder Kommissionspräsident Barroso. Laut Tagespresse vom 12. März wollen die EU-Oberen mit der Schweiz erst weiterverhandeln, wenn diese sich die Gesetzgebung und die Gerichtsbarkeit aus Brüssel überstülpen lasse. Der eigentliche Zweck dieser Aktion ist nur zu offensichtlich: Der Schritt zum EU-Beitritt wäre danach nicht mehr gross. Da werden unsere Politiker in Bern und wir als Volk aber nicht mitmachen: Mit Recht beharrt die Schweiz auf eigenständigen Entscheiden.

Die mehr als hundert bilateralen Abkommen der Schweiz mit der EU seien unübersichtlich, und ihre Umsetzung sei aufwendig, klagen Brüsseler Politiker, deshalb brauche es dringend eine einheitliche Regelung für die Übernahme des EU-Rechts durch die Schweiz. Da lachen ja die Hühner! Etwas Unübersichtlicheres und Verworreneres als die aus allen Fugen platzende Rechtssammlung und Rechtsprechung der EU gibt es laut Fachleuten kein zweites Mal – und da wollen die Brüsseler Bürokratie-Profis mit ein paar bilateralen Verträgen nicht zu Rande kommen (die übrigens viel kürzer und verständlicher formuliert wären, wenn sie in Bern statt in Brüssel verfasst worden wären)?

Direkte Demokratie in der Schweiz – ein Stachel im Fleisch der EU-Machthaber
In Tat und Wahrheit stört die Zentralisten, dass die Schweiz allen Einverleibungsversuchen zum Trotz immer noch relativ eigenständig ist. Dank der direkten Demokratie wurde der Beitritt zum EWR oder zur EU von Volk und Ständen mehrmals klar abgelehnt. Zu den Bilateralen I und II hat der Souverän eine Referendumsabstimmung verlangt, und wenn auch die Rosinen in erster Linie in den Kuchenstücken der EU liegen, obwohl uns im Vorfeld jeweils von den Bundesbehörden das Blaue vom Himmel versprochen worden war, so besteht doch ein gewaltiger Unterschied zu den EU-Mitgliedstaaten, wo die jeweilige Exekutive unbehelligt von den Bürgern schalten und walten kann.
Wie im Artikel von Thomas Schuler, «Bertelsmann scheitert bei Übernahme von Kommunalverwaltungen», zu lesen ist, geht die Macht der Exekutive zum Beispiel in deutschen Städten sogar so weit, dass sie ohne Erlaubnis ihrer Bürger ihre eigene Verwaltung an globale Konzerne verkaufen können. Das wäre in Schweizer Gemeinden, wo das Volk bestimmt, undenkbar.
Dass bei jedem neuen Staatsvertrag und bei jeder Änderung eines bestehenden Vertrages mit einem Referendum gerechnet werden muss, zwingt den Bundesrat dazu, sich schon bei den Verhandlungen darüber Gedanken zu machen, welche Vertragsinhalte es in einer Volksabstimmung schwer haben könnten. Wenn die EU zum Beispiel neue Mitgliedsländer aufnimmt, muss das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit einem neuen Staatsvertrag auf diese ausgedehnt werden; auch dagegen kann das Referendum ergriffen werden. Und selbst ein Heer von internen und externen «Kommunikationsspezialisten» kann nicht immer verhindern, dass die ans Selberdenken gewohnten Stimmberechtigten der Classe politique zuweilen oft anders stimmen als die Parlamentarier.
Das ist Demokratie, meine Herren Politologen, für die Sie die Schweiz in Ihrem jeder Wissenschaftlichkeit spottenden «Demokratiebarometer» hinter Deutschland und Slowenien gesetzt haben. Demokratie heisst nämlich Volksherrschaft, und die haben wir in der Schweiz. Um dies festzustellen, braucht es keine modularisierten Fragebögen aus Berlin (auf Kosten der Schweizer Steuerzahler!), sondern die Fähigkeit, geschichtlich und ­politisch zu denken.

Anpassung der bilateralen Verträge: heutige Regelung
Die bilateralen Abkommen zwischen der EU und der Schweiz basieren auf dem zur Zeit des Vertragsabschlusses geltenden EU-Recht. Da die Verträge zum Teil schon seit zehn oder mehr Jahren in Kraft sind, hat sich das EU-Recht inzwischen «weiterentwickelt», das heisst, es wurde geändert. Wenn die EU heute ein Gesetz ändert, das die Inhalte eines bilateralen Vertrages mit der Schweiz tangiert, muss in einem gemischten Ausschuss, also mit Verwaltungsbeamten der Schweiz und der EU, darüber verhandelt werden, ob die Schweiz die neue Regelung übernehmen will. Andernfalls hat sie die Möglichkeit, das betreffende Abkommen zu kündigen. So wurde das Landverkehrsabkommen (Transit-Lastwagenverkehr über die Nord–Süd-Achse der Schweiz) seit seinem Abschluss 1999 siebenmal durch den «Gemischten Landverkehrsausschuss Gemeinschaft/Schweiz» angepasst.
Wie viel einfacher wäre es doch für die Machthaber in Brüssel, wenn sie mit der Schweiz ein Abkommen schliessen könnten, wonach Änderungen des EU-Rechts automatisch ins Schweizer Recht übernommen werden müssten! «Einfacher» meint nicht die Büroarbeit, die mit der jetzigen Regelung verbunden ist. Das kann ja für die EU-Bürokraten nicht besonders mühsam sein, sind sie doch zahlreich vorhanden und solcherart «Chlüngeli»-Arbeit gewohnt. Vielmehr ist mit «einfacher» gemeint, dass die Brüsseler Zentrale nicht mehr vom Schweizer Stimmvolk gestört würde, das sich immer wieder einmengt und die Zentralisierung und Beherrschung Europas ähnlich dem gallischen Dorf in «Astérix und Obelix» behindert, indem es den unterworfenen Völkern der Römer – pardon, den EU-Mitgliedsländern – ständig vor Augen führt, dass es auch demokratischer, föderalistischer und dezentraler, ja sogar viel besser ginge.

Souverän und Bundesversammlung sollen ausgehebelt werden
Im Klartext würde das geplante Rahmenabkommen bedeuten, dass die Schweiz dazu verpflichtet wäre, EU-Recht in Schweizer Recht umzusetzen, ohne dass sie gefragt würde, ob es ihr passt oder nicht. Der Souverän – und die Bundesversammlung! – könnten ein für allemal ausgehebelt werden: Ähnlich wie bei den Naturpärken auf Gemeindeebene gäbe es auch hier nur eine einzige Grundsatzabstimmung, in der Volk und Stände ja oder nein sagen könnten, nachher müssten die Bundesbehörden EU-Rechtsänderungen in die eidgenössische Gesetzgebung transferieren, ohne dass das Volk, die Kantone und das Parlament etwas zu melden hätten.
Das wäre das Ende der direkten Demokratie, nicht nur in aussenpolitischen Fragen. 70 bis 80 Prozent der Legiferierung finden für die EU-Mitgliedstaaten in Brüssel statt, und für die Schweiz sähe dies bald auch so aus. Zur «Beruhigung» der ihre Unabhängigkeit liebenden Schweizerinnen und Schweizer versichert die EU-Kommission, «dass die Souveränität der Schweiz bei der Übernahme von EU-Recht garantiert sei». (vgl. «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) vom 3. Februar) In ähnlicher Manier wurden die Österreicher «beruhigt», als ihnen die Erhaltung ihrer Neutralität «garantiert» wurde, wenn sie ihre Soldaten in EU-Eingreiftruppen entsenden würden. «Verzell du das im Fährimaa!»
Einer derartigen Entmachtung des Souveräns werden wir Bürgerinnen und Bürger uns mit Entschiedenheit widersetzen! Zahlreich sind bereits die Proteste: Der Gewerkschaftsbund fürchtet mit Recht um die Schutzmass­nahmen, die anlässlich der Öffnung des Arbeitsmarktes getroffen wurden (Lohn- und Arbeitszeitvorschriften, Kautionen und Voranmeldefristen für Selbständigerwerbende) und erklärt Abstriche für nicht verhandelbar. Die SVP kündigt an, dass sie «eine weitgehende Aufgabe der schweizerischen Souveränität keinesfalls akzeptieren werde», für die CVP «kommt die automatische Übernahme von EU-Recht nicht in Frage: Die Schweiz ist schliesslich nicht Mitglied der EU». Selbst die SP wird laut Nationalrat Hans-Jürg Fehr «zu einem automatischen Nachvollzug von EU-Recht nicht Hand bieten». (vgl. NZZ vom 9. Februar). Einzig die FDP hält es für legitim, auch die institutionellen Fragen zu verhandeln.

Keine fremden Richter
«Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landmann ist, annehmen sollen.» (Bundesbrief 1291)

Die Übernahme von EU-Recht in die eidgenössische Gesetzgebung genügt den Machthabern in Brüssel aber nicht. Selbstverständlich hängt das Rechtsleben eines Landes massgebend davon ab, wie die Gerichte und die Verwaltungsbehörden das Recht interpretieren und umsetzen. Gemäss der schweizerischen Tradition seit dem ersten Bund 1291 ist die Justiz in Bund und Kantonen nicht gewillt, ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Die Rechtsprechung des EU-Gerichtshofes EUGH ist für sie nicht das Mass aller Dinge. So stellt Efta-Gerichtspräsident Baudenbacher bedauernd fest: «Der [schweizerische, d. V.] Gesetzgeber verpflichtet die schweizerischen Gerichte nicht zu einer europakompatiblen Auslegung des nachvollzogenen Rechts. Tatsächlich geht das Bundesgericht nach den Regeln der traditionellen helvetischen Methodenlehre vor. Das steht in klarem Gegensatz zum methodologischen Ansatz der supranationalen Gerichtshöfe in der EU und im EWR.» (Souveränität im Härtetest, S. 254)
Laut Baudenbacher betrachtet der EUGH das EU-Recht als eine dem nationalen Recht übergeordnete Rechtsordnung, welche die Souveränität der Nationalstaaten und ihrer Bürger direkt einschränkt. Seiner Meinung nach sollte das Bundesgericht die Souveränität der Schweiz und der Schweizer ebenfalls zugunsten der EU-Kompatibilität sausen lassen. Statt dessen verstehe das Bundesgericht das EU-Recht «lediglich im Sinne einer Inspirationsquelle» oder betreibe sogar die autonome Auslegung eines Bundesgesetzes, statt es «europakompatibel» auszulegen (S. 256).

EU-Kommission will richterliche ­Unabhängigkeit der Schweiz knacken
Ungeachtet der Tatsache, dass die Schweiz als Nicht-Mitgliedstaat keinerlei Verpflichtung hat, sich an die EU-Rechtsprechung zu halten, erkühnt sich die EU-Kommission, eine einheitliche Auslegung und Anwendung der bilateralen Abkommen bzw. des ihnen zugrundeliegenden EU-Rechts durch die Schweizer Rechtsprechung zu verlangen. Ja, sie geht sogar noch weiter: Auch die zukünftigen Entscheide des EUGH sollen für die Schweiz verbindlich sein.
Genau dies betreibt Efta-Gerichtspräsident Baudenbacher nach eigenen Angaben in bezug auf die EWR/Efta-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein, indem er die Entscheide des EUGH «dynamisiert», das heisst eins zu eins auf diese Nicht-EU-Staaten anwendet. Baudenbacher selbst gibt zu: «Vor allem in Norwegen wird der mit diesen Mechanismen verbundene Souveränitätsverlust beklagt.» (S. 259) Damit Baudenbacher auch die Schweiz in die Klauen seines Efta-Gerichtes bekommt, sollte die Schweiz seiner Ansicht nach zunächst dem EWR beitreten, was allerdings nur ein weiterer Zwischenschritt wäre: «Das ändert nichts daran, dass eine EU-Mitgliedschaft langfristig unausweichlich sein wird.» (S. 273)
Die EU-Kommission ihrerseits benimmt sich wider besseren Wissens seit geraumer Zeit so, als ob die Schweiz der Rechtsprechung des EUGH unterstehen würde. So reklamierte sie lautstark, als der Kanton Baselland sich gegen die von ennet der Grenze hereinströmende Flut von «Dienstleistungsunternehmen» wehrte, indem er eine siebentägige Meldepflicht einführte, um überprüfen zu können, ob es sich dabei auch wirklich um selbständige Unternehmen handelt und nicht etwa um Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber mit diesem Trick die Schweizer Massnahmen gegen Lohndumping unterlaufen wollen. Eine derartige Meldepflicht verstosse gegen die Rechtsprechung des EUGH, rügte die Kommission.
Eine derartige Einmischung in unsere Justiz weisen wir klar zurück.

Mut zur Eigenständigkeit
Wer die Souveränität der Schweiz erhalten will und Wert legt auf direktdemokratische Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die mehr als Makulatur sind, wird nicht zögern, auf die «Dynamisierung» der Schweizer Gesetzgebung und der Schweizer Gerichtsbarkeit von Brüssels Gnaden dankend zu verzichten. Gleichzeitig setzen wir denjenigen Politikern, die unsere Grundversorgung (Agrarfreihandel, Elektrizitätsmarkt) in den freien Binnenmarkt der EU werfen wollen, ein energisches «Stopp!» entgegen.
Die Kleinmütigen mögen an einen Schweizer erinnert werden, der in einer schweren Zeit nicht zauderte, alles für die Erhaltung der eigenständigen Schweiz zu tun: «Schon zu Lebzeiten war Guisan noch weit mehr als General: Guisan war Gewährsmann und Garant für eine Schweiz, die sich treu bleibt. Für eine Schweiz, die den Mut und die Kraft hat, den eigenen Weg zu gehen. Für eine Schweiz, die nicht über Demokratie und Unabhängigkeit verhandelt. Auch dann nicht, wenn es einsam wird für eine Demokratie in einem Europa der Diktaturen. Guisan war Gewährsmann für den Sonderfall Schweiz.» (Bundesrat Ueli Maurer, 10. April). •

Autonomer und automatischer Nachvollzug
mw. Autonomer Nachvollzug: Seit dem Nein des Souveräns zum EWR-Beitritt (1992) wurden immer wieder Teile des Acquis communautaire von der Schweiz ins Bundesrecht übernommen, vor allem im Bereich des Wirtschaftsrechts. Beispiele sind das Kartellrecht, die Produktehaftpflicht, der Betriebsübergang oder Bestimmungen betreffend Massenentlassungen. Seit 2002 ist der Bundesrat gesetzlich verpflichtet, in seinen Botschaften an das Parlament jeweils das Verhältnis einer geplanten Vorlage zum europäischen Recht zu erläutern. Ein kürzlich erfolgter bedeutender Fall einseitiger Rechtsübernahme war die Verankerung des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Diese freiwillige Übernahme von EU-Recht wird als «autonomer Nachvollzug» bezeichnet.
EU-Beitrittsbefürworter kritisieren, die Rechtsübernahme sei nicht wirklich «autonom», der Schweiz bleibe oft nichts anderes übrig, weil ihre Unternehmen andernfalls einen Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen müssten. Sie behaupten, wenn die Schweiz der EU beitreten würde, könnte sie das Gemeinschaftsrecht mitbestimmen. Allerdings können wir jeden Tag der Presse entnehmen, wer in der EU tatsächlich mitbestimmt – die Kleinstaaten sind es jedenfalls nicht.
EU-Skeptiker kritisieren demgegenüber, dass einige Bundesämter (Bundesamt für Statistik, Amt für Raumentwicklung, EU-Integrationsbüro und andere) in vorauseilendem Gehorsam vieles aus der EU übernehmen, worauf die Schweiz gescheiter verzichten sollte: So zum Beispiel die ganze Regionalpolitik mit ihren ­Metropolitanräumen, Naturpärken und Interreg-Räumen, die zur föderalistischen und kleinräumigen Schweizer Struktur in keiner Weise passt, sondern einzig darauf angelegt ist, die Schweiz für einen späteren EU-Beitritt zurechtzukneten.
Trotz berechtigter Einwände gegen den teilweise ausufernden autonomen Nachvollzug bleibt die Souveränität der Schweiz dabei dennoch gewahrt: Rechtlich steht es der Schweiz frei, eine Regelung der EU zu übernehmen oder darauf zu verzichten. Dies wird deutlich anhand der Kritik von EU-Turbo Carl Baudenbacher*. Dieser moniert, der Nachvollzug habe «etwas Chaotisches» an sich, das heisst, er finde nicht regelmässig statt und könne von Parlamentariern «blockiert oder verwässert» werden. Baudenbacher beklagt, dass keine Kontrolle des inhaltlich korrekten Nachvollzugs «durch ein Überwachungsorgan nach dem Vorbild der Europäischen Kommission» erfolge (sic!) und dass «der Zugang zum EUGH fehle» (sic!).1 Damit wird deutlich: Der Nachvollzug ist tatsächlich autonom.
Automatischer Nachvollzug: Demgegenüber hätte der automatische oder systema­tische Nachvollzug von EU-Recht, wie ihn der EU-Ratspräsident und die EU-Kommission der Schweiz gerne aufdrängen möchten, tatsächlich einen massiven Souveränitätsverlust der Schweiz und vor allem eine starke Einschränkung der direktdemokratischen Rechte der Stimmberechtigten zur Folge.

1 Souveränität im Härtetest, Zürich 2010, S. 253f. (ISBN 978-3-03823-649-8)

*Carl Baudenbacher ist Mitautor der EU-Beitritts-Propagandaschrift «Souveränität im Härtetest» des Think tanks avenir suisse. Er ist Präsident des Efta-Gerichtshofs, dessen Tätigkeit nach eigenen Angaben vor allem darin besteht, den Efta-/EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein die Entscheide des EUGH überzustülpen; zudem Professor und Institutsdirektor an der Universität St. Gallen für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht. Ausser zur EU hat Baudenbacher auch enge Kontakte zu den USA: Von 1994 bis 2005 war er ständiger Gastprofessor an der University of Texas School of Law.

Freitag, 8. April 2011

Die USA und ihre heimlichen Ziele

Libyen: Die Ziele Washingtons und der NATO und der nächste Weltkrieg

Paul Craig Roberts

In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verschworen sich die USA, Großbritannien und die Niederlande gegen Japan und leiteten damit eine Entwicklung ein, die in den zweiten Weltkrieg im Pazifik mündete. Die drei Regierungen beschlagnahmten japanische Bankkonten in ihren jeweiligen Ländern, über die Japan seine Zahlungen für Importe abwickelte, und schnitten Japan von der Versorgung mit Erdöl, Kautschuk, Zinn, Eisen und anderen wichtigen Rohstoffen ab. War Pearl Harbor die Antwort Japans darauf?

Derzeit wenden Washington und seine NATO-Marionetten die gleiche Strategie gegenüber China an.

Die Unruhen in Tunesien, Ägypten, Bahrain und dem Jemen entwickelten sich aus den Protesten der Bevölkerung gegen die von Washington unterstützten tyrannischen Marionettenregime. Die Proteste gegen Gaddafi andererseits, der keine westliche Marionette ist, wurden offenbar von der CIA im Osten Libyens organisiert, wo sich die größten Erdölreserven befinden und China erhebliche Investitionen im Energiebereich getätigt hat.

80 Prozent der libyschen Erdölreserven befinden sich Berichten zufolge im Sirte-Becken in Ostlibyen, das jetzt von den von Washington unterstützten Aufständischen kontrolliert wird. Da 70 Prozent des libyschen Bruttoinlandsprodukts auf die Erdölförderung und damit zusammenhängende Wirtschaftsbereiche zurückgehen, würde das Gaddafi-Regime mit seinem Sitz in Tripolis im Falle einer erfolgreichen Teilung Libyens den größten Teil seiner Einnahmen einbüßen.

Die Chinesische Volkszeitung berichtete am 23. März in ihrer Internetausgabe, China sei federführend an 51 Großprojekten in Libyen beteiligt. Nach dem Ausbruch des Krieges mussten diese Projekte vorläufig eingestellt und 30.000 chinesische Arbeiter aus Libyen evakuiert werden. Chinesische Unternehmen berichteten bereits, sie rechneten mit Verlusten in Höhe von Hunderten Millionen Yuan.

China hängt, was die Befriedigung seiner zukünftigen Energiebedürfnisse angeht, von Afrika und dort vor allem von Libyen, Angola und Nigeria ab. Washington reagierte auf das zunehmende wirtschaftliche Engagement Chinas in Afrika mit dem Aufbau des US-Regionalkommandos Afrika (AFRICOM), das 2007 von Präsident George W. Bush errichtet wurde [und für sämtliche amerikanische Militäroperationen in Afrika verantwortlich ist]. 49 afrikanische Länder stimmten der Zusammenarbeit mit Washington im Rahmen von AFRICOM zu. Gaddafi allerdings weigerte sich und gab Washington damit einen weiteren Grund, aktiv auf die Machtübernahme in Libyen hinzuarbeiten.

Ein dritter Grund für das Vorgehen gegenüber Libyen hat damit zu tun, dass Libyen und Syrien die beiden einzigen Länder im Mittelmeerraum sind, die nicht von Washington kontrolliert werden oder zu dessen Einflussbereich zählen. Interessanterweise sind jetzt auch Proteste in Syrien ausgebrochen. Was immer auch die Syrer von ihrer Regierung halten mögen, nachdem sie Gelegenheit hatten, das Schicksal des Irak und die Ereignisse in Libyen zu verfolgen – es ist unwahrscheinlich, dass sich die Syrer sozusagen selbst für einen amerikanischen Militäreinsatz anbieten würden. Sowohl die CIA als auch der Mossad sind dafür bekannt, die Internetseiten sozialer Foren dazu zu benutzen, Proteste anzustacheln und Desinformation zu verbreiten. Diese Nachrichtendienste sind die wahrscheinlichen Drahtzieher, die die syrische und libysche Regierung für die Proteste verantwortlich machen.

Nachdem Washington von den Protesten in Tunesien und Ägypten zunächst überrascht worden war, erkannte es, dass Proteste dazu benutzt werden könnten, Gaddafi und Assad beiseite zu räumen. Der Vorwand einer Einmischung aus humanitären Gründen ist im Falle Libyens nicht glaubhaft, wenn man bedenkt, dass Washington dem saudischen Militär grünes Licht gab, die Proteste in Bahrain, dem Stützpunkt der fünften US-Flotte, niederzuschlagen.

Sollte es Washington gelingen, die Regierung Assad in Syrien zu stürzen, verlöre Russland seine Mittelmeer-Marinebasis im syrischen Hafen von Tartus. Washington hat also viel zu gewinnen, wenn es die Volksaufstände dazu benutzt, China und Russland aus der Mittelmeerregion zu verdrängen. Roms »mare nostrum« (»unser Meer«, die altrömische Bezeichnung für das Mittelmeer) würde dann zu Washingtons »mare nostrum«.

»Gaddafi muss gehen«, erklärte Obama. Wie lange vorher hörten wir schon, »Assad muss gehen?«

Die unfreie amerikanische Presse ist damit beschäftigt, sowohl Gaddafi als auch Assad zu dämonisieren. Letzterer, ein ausgebildeter Augenarzt, lebte lange in London und kehrte nach dem Tod seines Vaters nach Syrien zurück, um die Leitung der Regierung zu übernehmen.

Kaum einer reagierte auf die Scheinheiligkeit, als Obama Gaddafi und Assad als Diktatoren bezeichnete. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts regiert der amerikanische Präsident wie ein »Caesar«. Gestützt auf nichts anderes als lediglich ein Memorandum des Justizministeriums, wurde erklärt, in seiner Funktion als Oberbefehlshaber im »Krieg gegen den Terror« stehe George W. Bush über dem Gesetz, über dem Völkerrecht und habe weitreichendere Befugnisse als der Kongress.

Caesar Obama ging noch einen Schritt weiter als Bush. Caesar Obama zog die USA in einen Krieg gegen Libyen hinein, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, den Kongress [wie es der Verfassung entspräche] um Bewilligung zu bitten. Dies allein reicht aus, Anklage wegen Amtsvergehen zu erheben, aber ein machtloser Kongress ist kaum in der Lage, seine Befugnisse zu verteidigen. Indem der Kongress die sogenannte »Executive Authority« des Präsidenten akzeptierte, hat er stillschweigend den »Caesarismus« hingenommen. Das amerikanische Volk hat keine größere Möglichkeit mehr, ihre Regierung zu kontrollieren, als dies in diktatorisch regierten Ländern der Fall ist.

Washingtons Drang nach Weltherrschaft treibt die Welt in Richtung eines Dritten Weltkrieges. China ist ein nicht weniger stolzes Land, als es Japan in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts war, und es ist unwahrscheinlich, dass es sich von einer Macht schikanieren und Vorschriften machen lässt, die es als Teil des dekadenten Westens betrachtet. Russlands Verärgerung über seine militärische Einkreisung wächst. Die in Washington vorherrschende Hybris könnte zu fatalen Fehleinschätzungen führen.

Dienstag, 5. April 2011

Die EU - eine undemokratische Konstruktion

Magnus Enzensberger entzaubert Europäische Union

Carlos A. Gebauer

Friedrich Nietzsche war es wohl, der schrieb: Die leisen Worte bringen den Sturm. Und Hans Magnus Enzensbergers Essay besteht in genau diesem Sinne aus leisen und kurzen, aber nicht zuletzt deswegen umso deutlicheren Worten. Knapp 70 Seiten genügen ihm für die gekonnte Inspektion – und Entzauberung – seines Gegenstandes. Am Ende stehen für den Leser zwei Gewissheiten. Die erste Gewissheit, dass, wer Europa wertschätzt, gegen diese Europäische Union opponieren muss. Und die zweite Gewissheit, dass dieser megalomane Versuch, 500 Millionen Menschen rücksichtslos bürokratisch zu überrennen, automatisch an sich selbst scheitern wird: »Europa hat schon ganz andere Versuche überstanden, den Kontinent zu uniformieren. Allen gemeinsam war die Hybris, und keinem von ihnen war ein dauerhafter Erfolg beschieden. Auch der gewaltlosen Version eines solchen Projektes kann man keine günstige Prognose stellen. Allen Imperien der Geschichte blühte nur eine begrenzte Halbwertzeit, bis sie an ihrer Überdehnung und an ihren inneren Widersprüche gescheitert sind.«

Enzensberger berichtet – aus Sicht des besser informierten Europäers – für sich gesehen keine bahnbrechenden Neuigkeiten. Er trägt vielmehr das Ungeheuerliche dieser politischen Großenteignung nur nochmals strukturiert und wortgewandt zusammen. Da aber gerade er als Person nicht in dem Verdacht steht, ein rassistischer und nationalistischer, und also ein reaktionärer und europafeindlicher Kritiker zu sein, prallen die erwartbar nämlichen Rhetoriken der gestörten Eurokraten an ihm von vornherein ab. Enzensberger verlängert somit die Reihe der Intellektuellen, die dem kontinentübergreifenden Neototalitarismus wachsam entgegentreten, um einen weiteren, wesentlichen Kopf.

Die Sehnsucht der EU-Eliten ist, um jeden Preis Weltmacht sein zu wollen. Diesem Ziel gelten ihre administrativ-undemokratische Rücksichtslosigkeit und der »Glibber« ihrer PR, um »die Meinungsbildung selbst in die Hand zu nehmen«. Wer sich gegen diesen Größenwahn stellt, der muss öffentlich mundtot gemacht werden: »Dazu haben sich die Wortführer in Brüssel, Straßburg und Luxemburg eine Strategie ausgedacht, die sie gegen jede Kritik immunisieren soll. Wer ihren Plänen widerspricht, wird als Antieuropäer denunziert.« Hellsichtig erkennt Enzensberger in dieser Kommunikationsstrategie bittere historische Parallelen zu Joseph McCarthys ›un-american activities‹ und weiland Moskaus Rede von ›antisowjetischen Umtrieben‹. Doch um die Perfidie der amtlichen Euro-PR noch deutlicher zu entlarven, fragt er, wie es wohl umgekehrt wirken würde, wollte ein deutscher Politiker seinen Gegnern vorhalten, sie verhielten sich ›undeutsch‹.

Die Diagnose, dass innerhalb der EU von Demokratie schon heute nur mehr noch eine »höfliche Fiktion der Volkssouveränität« übriggeblieben ist, trifft – leider – den Kern. Einer aus der Reihe jener intellektuellen Kritiker, die Enzensberger nun dankenswerterweise weiter verlängert, war bekanntermaßen schon Hans-Herbert von Arnim, der für ähnliche Konstrukte den Begriff vom »schönen Schein der Demokratie« geprägt hat. Nationale Eliten haben sich hier augenscheinlich, eilends vor dem Niedergang ihrer maßgebenden Einflüsse zu Hause, mit der EU und ihren organisatorischen Anhängen eine neue herrschmächtige Struktur geschaffen, die in Europa postdemokratisch-autonom tun und lassen kann, was immer sie nur selbst will: »Die Union sieht ihre Aufgabe nicht darin, Bürger zu unterdrücken, sondern darin, alle Lebensverhältnisse auf dem Kontinent möglichst lautlos zu homogenisieren. Hier wird nicht an einem neuen Völkergefängnis gebaut, sondern an einer Besserungsanstalt, der die gütige, aber strenge Aufsicht über ihre Schutzbefohlenen obliegt. Im Idealfall soll das Leben ihrer Zöglinge von der Festlegung des Wohngeldes bis zum gesunden Speiseplan zentral geregelt und normiert werden.« Dem dient einerseits, dass es eine kritische europäische Öffentlichkeit bis heute nicht gibt; allen sogenannten »Unionsbürgern« wird nach wie vor praktisch ausschließlich nationale Politik medial als wesentlich präsentiert. Dem dient aber andererseits auch eine faszinierend autoritäre Strenge bei der Durchsetzung dessen, was die europäischen Vormünder für ihre Schutzsubjekte als gedeihlich definieren; Enzensberger zitiert aus der Empfehlung des Rates der Europäischen Union zur effektiven Schaffung eines rauchfreien Kontinents: »Die Durchsetzungsmaßnahmen direkt nach der Inkraftsetzung der Rechtsvorschriften sind entscheidend für deren Erfolg und für den Erfolg der zukünftigen Überwachung und Durchsetzung. Sobald die aktive Durchsetzung beginnt, wird empfohlen, eine aufsehenerregende Strafverfolgung zu betreiben, um die abschreckende Wirkung zu verstärken.«

Zur Darstellung der inneren Haltung des eurokratischen Herrenmenschen, der seine millionenfachen Zöglinge dergestalt in ihre bessere Zukunft zwängen will, liefert Enzensberger ein bezeichnendes Psychogramm. Im zweiten Glied, hinter den politisch korrekt nach Proporz-Gesichtspunkten komponierten Gremien, dominiert der Spitzenbeamte, gerne vom Typus des arbeitssüchtigen Eliteschul-Absolventen. Ihn umweht ein Korpsgeist, der gleichsam heimatvergessen strikt multinational agiert: »Eine zu enge Bindung an das Herkunftsland gilt hier als unschicklich. Man ist polyglott. Abgehobenheit ist kein Fehler, sondern sogar erwünscht.«

Die Selbstgewissheit, ein Auserwählter zu sein, speist sich jedoch nicht nur aus dem Bewusstsein, die hohen formalen Hürden eines internationalen Rekrutierungsverfahrens genommen zu haben, sondern auch aus dem nachvollziehbar einzigartigen Gefühl, qua Zuständigkeitsregel beispielsweise derjenige maßgebliche Entscheider zu sein, der für eine halbe Milliarde Menschen normativ verbindlich den Standard für Banküberweisungen und Apfelwein, Presslufthämmer und Rohmilchkäse, Glühlampen und Toiletten- oder Traktorensitze definiert. Kritik an der Kompetenz kann hier geradezu denknotwendig nur noch unbegründet sein; was Brüssel beschließt ist richtig und »TINA« – »There Is No Alternative«. Und Enzensberger resümiert: »Man tut den emsigen Überzeugungstätern von Brüssel nicht Unrecht, wenn man annimmt, dass die Demut nicht zu ihren Stärken gehört.«

Zwischen dem Berlaymont-Gebäude für die Kommissare und dem Justus-Lipsius-Gebäude des Europäischen Rates hat sich nach allem ein ganz besonderer, souveräner Brüsseler Geist entwickelt. Er scheint dem Größen- und Machtanspruch Leopolds des II. von Belgien nicht nachzustehen; nur dass es diesmal nicht bloß um das Privateigentum nur am Kongo geht, sondern um die Zivilisierung und Humanisierung des eigenen Kontinents. Angesichts dieses hehren Zieles müssen Bedenken wie die der mangelnden demokratischen Legitimation des Ganzen schlicht zurückstehen. Schließlich ging es dem Gründervater Jean Monnet der Union schon seit ihren frühesten Anfängen 1948 darum, »dass Europa geeint ist, und zwar nicht nur in einer Kooperation, sondern durch eine von den europäischen Nationen gebilligte Übertragung von Souveränität auf eine Art zentraler Union«. Monnet war durch und durch Pragmatiker: »Wie Churchill und de Gaulle zog er es vor, das deutsche Industriepotenzial einzubinden nach dem Motto: Wenn Du sie nicht schlagen kannst, dann verbünde Dich mit ihnen.«

Wer diesen – von Enzensberger hübsch auf den Namen »halbvergessene Vorgeschichte« getauften – Ursprung der EWG-EAEC-EFTA-EWR-EWU-EU übersieht, der kann nicht verstehen, warum das Monster Brüssel aller Kritik zum Trotz beständig wächst und wächst und wächst. Der mehrheitlich (und zunehmend) entgegenstehende Wille seiner Bürger ist einfach irrelevant; die ablehnenden Referenden der Völker interessieren nicht, das »postdemokratische Zeitalter« fragt nicht nach Legitimation durch das Volk: »Die Europäische Union will nur unser Bestes. Wie ein gütiger Vormund ist sie besorgt um unsere Gesundheit, unsere Umgangsformen und unsere Moral. Auf keinen Fall rechnet sie damit, dass wir selber wissen, was gut für uns ist; dazu sind wir in ihren Augen viel zu hilflos und unmündig. Deshalb müssen wir gründlich betreut und umerzogen werden.«

Dass mit dem Vertag von Lissabon dann auch die Verfassungsklausel zur Selbstermächtigung hinzutrat, kann nach alledem nicht erstaunen. Die Kompetenz, die eigenen Kompetenzen bestimmen zu dürfen, ist seit jeher die Krönung aller selbstverliebten Gesetzgeber. Und gerade weil sie ausgerechnet auf unserem Kontinent mit seiner unguten Geschichte des Ermächtigungsgesetzes böseste Assoziationen weckt, kann nicht verwundern, wenn zu just dieser Frage mit so großer Heftigkeit gestritten wird. Die EU-eigene »Hofberichterstattung«, wie Enzensberger den Sender Europarltv nennt, hat dieses Problem bislang augenscheinlich nicht ernsthaft thematisiert: »Selbstkritik ist nicht die starke Seite unserer Wächter.«

Wer also Näheres erfahren will über den Stand der Debatten im Brüssel/Straßburger-Parlament, der ist auf eigene Recherchen angewiesen; ein Blick beispielsweise auf die Ereignisse im EU-Parlament am 12. Dezember 2007 oder auf die vielen bemerkenswerten Reden des britischen Abgeordneten Nigel Farage via Youtube wird manchem Unionsbürger eine ungekannte Facette der Europäischen Union näherbringen. Der SPD-Abgeordnete Martin Schulz beispielsweise, in dem Silvio Berlusconi bisweilen einen KZ-Wächter sehen wollte, vergleicht seinerseits Zwischenrufer im Parlament mit Nazi-Abgeordneten im Reichstag. Wie hatte Jeanne Rubner noch vor zwei Jahren in ihrem Buch Brüsseler Spritzen geschrieben? »Die Europäische Union leidet darunter, dass viele Menschen nicht richtig verstehen, wie Politik in Brüssel gemacht wird.« Wie wahr. Wie wahr.

Enzensberger ruft nicht zum Widerstand gegen das Monster Brüssel auf. Er verfällt auch nicht in Panikmache. Er stellt mit leisen, aber sicher nicht zuletzt auch deswegen sturmbringenden Worten nüchtern fest, dass das Konstrukt an sich selbst scheitern wird. Genau so ist es. Um den Niedergang – und damit die Zeit der unnötigen Widrigkeiten aus Brüssel, Straß- und Luxemburg – zu verkürzen, bietet sich an, über Alternativen zu reden. Denn üblicherweise hat diejenige Politik die besten Chancen, umgesetzt zu werden, die konkrete Möglichkeiten formuliert, auf die der Bürger Vorfreude entwickeln kann.

Beinahe zeitgleich mit Hans Magnus Enzensberger hat Gunnar Heinsohn im Schweizer Monat eine ebenso sympathische wie friedliche Perspektive für eine alternative Neuordnung Europas nach dem unvermeidlichen Ende der EU skizziert. Er schlägt vor, dass sich die Regionen Europas vielerorts einvernehmlich zu ganz neuen, kleineren Einheiten verbinden, innerhalb derer sie dann ihr eigenes Leben auf je eigene Kosten, frei von zentralstaatlichen Zwängen und frei von Transferzahlungsnötigungen an Dritte leben können. Für die Friedlichkeit dieses Prozesses auf unserem 1,3-Kinder-Kontinent sieht Heinsohn einen überzeugenden Grund: »Wenn potenzielle Soldaten die einzigen Söhne oder gar die einzigen Kinder ihrer Eltern darstellen, hütet man sich vor Kriegen.« Es steht zu erwarten, dass auch Hans Magnus Enzensberger an dieser Variante Gefallen finden wird. Denn er hat bemerkt, »dass es höchste Zeit ist, etwas gegen die drohende Sklerose zu unternehmen«.