Freitag, 31. Oktober 2008

Wer ist Obama wirklich?

US-Präsidentschaftswahlen
Wer ist Obama wirklich?

Von Hanspeter Born

Die Welt wartet auf die Wahl Barack Obamas zum amerikanischen Präsidenten. Im grenzenlosen Enthusiasmus geht die Frage nach den Absichten und Qualitäten des Kandidaten verloren. Einen Blick hinter seine Fassade gewähren Obamas Weggefährten und seine eigenen Bücher.

«Obama ist nicht aufzuhalten. Bitte, Gott, lass ihn gewinnen.» Dieses Zitat eines Uno-Beamten fasst die Stimmung im Hauptquartier der Weltorganisation schön zusammen. Wie die Washington Post berichtet, findet man in den Korridoren des Glaspalasts am Hudson River kaum jemanden, der nach acht Jahren George Bush nicht eine Obama-Präsidentschaft herbeisehnt. Gemäss einer Umfrage der BBC unter 22 000 Personen in 22 Ländern würden die Befragten Obama im Verhältnis von 4:1 McCain vorziehen. Wenn, wie immer wahrscheinlicher, die Amerikaner am nächsten Dienstag Barack Obama zu ihrem 44. Präsidenten wählen, wird die Welt frohlocken.

Der universale Enthusiasmus für Obama widerspiegelt die unverhohlene Schwärmerei der massgeblichen amerikanischen Medien und ihrer Journalisten für den attraktiven Homo novus aus Chicago. So beschrieb der Fernsehmoderator Chris Matthews einmal das Gefühl, das die «meisten Leute beim Anhören einer Rede von Barack Obama» erfasst: «Ich spürte diesen Kitzel, der mein Bein hinauflief. Ich meine, ich habe dies nicht oft.»

Worauf gründet diese schier blinde Begeisterung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten? Nicht auf einer soliden Kenntnis seiner politischen Ansichten und auch nicht auf einem tieferen Einblick in seinen Charakter. In seiner (zweiten) Autobiografie hat Obama, wahrscheinlich unbewusst, das Phänomen seines ungewöhnlichen Erfolgs vorausgeahnt: «Ich diene als ein unbeschriebenes Blatt Papier, auf das Leute mit völlig unterschiedlicher politischer Zugehörigkeit ihre eigenen Ansichten projizieren.»

Wer ist Obama wirklich? Er mag, wie er sagt, als unbeschriebenes Blatt (oder als eine Art Rorschachtest) dienen, aber er ist kein unbeschriebenes Blatt, auch wenn er in den zwölf Jahren, in denen er zuerst als Staatssenator und dann, seit 2005, als US-Senator für Illinois politisch tätig gewesen ist, weder grosse Stricke zerrissen noch deutliche Spuren hinterlassen hat. Seit Obama seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt hat, sind 21 Monate vergangen, in denen er sich den Amerikanern in unzähligen Auftritten, Reden, Debatten, Interviews und persönlichen Begegnungen vorstellte. Die Wähler glauben Obama zu kennen, und immer mehr von ihnen fühlen sich beim Gedanken einer Obama-Präsidentschaft wohl. Sie hören seine Botschaft von Hoffnung und Wandel, und die Botschaft gefällt ihnen.

Obama, wie mittlerweile allgemein bekannt, ist ein hervorragender Redner, der alle Register der Rhetorik zu ziehen weiss. Das Publikum erliegt dem Zauber seiner Worte, auch wenn diese nicht mehr so frisch sind wie zu Beginn des Wahlmarathons und Obamas Bühnenauftritte gelegentlich (wie etwa im Sommer in Berlin) gar bombastisch anmuten. Wie etwa Ted Kennedy erfahren musste, wird mit Redekunst allein keiner Präsident, aber sie hilft - wie dies Ronald Reagan bewies. Durch seine erhebenden Reden hat sich Obama als Erneuerer, Hoffnungsbringer, Einiger und Kämpfer für die middle class (die in Amerika die Arbeiter und die unteren Einkommensschichten umfasst) profilieren können. Die Reden waren ein Angelpunkt, aber beileibe nicht der einzige, einer perfekt organisierten Wahlkampagne, die als exemplarisch und wohl auch als einmalig in die Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft eingehen wird.

Vor fünf Jahren kannte ausserhalb von Chicago kein Mensch den jungen Lokalpolitiker Obama. Als er dann im Rennen um die demokratische Präsidentschaftsnomination die haushohe Favoritin Hillary Clinton herausforderte, hielt man den Schnösel für verwegen. Doch Hillary machte den fatalen Fehler, den Neuling und dessen von David Axelrod konstruierte Wahlkampfmaschine zu unterschätzen. Der heute 53-jährige, aus einer politisch engagierten linken New Yorker Familie stammende Axelrod verdiente sich seine Sporen zuerst als Reporter und dann als politischer Berater in Chicago. Er weiss (und hat dies schon in vielen Kampagnen demonstriert), wie man einen Kandidaten möglichst vorteilhaft präsentiert und verkauft. Wie ein ausgekochter Regisseur inszeniert er jeden kleinsten Auftritt seiner Schützlinge und kümmert sich ums hinterste Detail. Mit Obama, den er seit sechzehn Jahren kennt, versteht er sich blind.

Das Duo Obama/Axelrod hat im multiethnischen, politischen Treibhaus Chicago gelernt, wie man zwischen unterschiedlichen Interessengruppen etwa den Schwarzen in den Armenquartieren und dem alteingesessenen, liberalen Geldadel - Koalitionen schmiedet und wie man Rivalen rücksichtslos zu Fall bringt. David Mendell verfolgt für die Chicago Tribune seit zehn Jahren Obamas Karriere aus nächster Nähe und hat dessen Aufstieg (und dessen «brennenden Ehrgeiz») in einem aufschlussreichen, von den Medien kaum beachteten Buch, objektiv und fair nachgezeichnet. Mendell kennt Obamas verborgene Seite, «seine herrische, launenhafte, selbstgerechte und manchmal kratzbürstige Art», aber er hat auch immer wieder die Wirkung von Obamas «überzeugendem Charme» und seinem «unbekümmerten öffentlichen Temperament» beobachtet. «In welches Milieu auch immer er tritt eine schwarze Kirche, das Plenum des Senats oder ein Bauernhaus , er fügt sich bequem in die Atmosphäre, als habe er sein Leben lang dort verbracht.»

Man kann Obama nicht verstehen, wenn man seinen Lebenslauf nicht kennt. Sein Vater, ein kenianischer Austauschstudent, hatte an der Universität Honolulu die achtzehnjährige, aus Kansas stammende, etwas naive Weisse Ann Dunham geheiratet, diese und den gemeinsamen Sohn Barack jr. aber bald verlassen. «Barry» wuchs im Haushalt von Anns zweitem Mann in Indonesien und bei den Grosseltern auf Hawaii auf, die ihm den Besuch einer der vornehmsten Privatschulen der Insel ermöglichten. Später studierte er am Occidental College in Los Angeles, wo er Partys feierte, Hasch rauchte, sich betrank und wo er - um nicht als Verräter an seiner afrikanischen Herkunft zu gelten die Gesellschaft «der politisch aktiveren schwarzen Studenten, von Chicanos, marxistischen Professoren, strukturellen Feministinnen und Punk-Rock-Dichtern» suchte. Die Suche des Heimatlosen nach einer Heimat und nach der eigenen Identität führte Barack schliesslich nach Chicago, der politischen und intellektuellen Hauptstadt von Amerikas Schwarzen. Während dreier Jahre wirkte der idealistische junge Mann, der nach einer Aussage seiner Mutter «die Welt als besseren Ort verlassen wollte, als er sie betrat», in der Funktion eines community organizers, der versuchte, ein nach der Schliessung der Stahlfabrik verwahrlosendes Quartier und dessen Bewohner wieder aufzurichten.

Es war eine Sisyphusarbeit, bei der Obama immerhin die Machtverhältnisse in der Stadt und die Bedeutung der zahllosen Kirchen für das Gemeinschaftsleben der schwarzen Bevölkerung entdeckte. In der Trinity Unided Church des charismatischen (und politisch extremistischen) Pastors Jeremiah Wright fand der von seiner progressiven Mutter als Freidenker erzogene Obama ein geistliches und geistiges Zuhause. Chicagos Schwarze und mit ihnen Barack Obama verehrten ihren Bürgermeister Harold Washington, dem es geglückt war, als erster Afroamerikaner die Hegemonie der weissen Machthaber in der Stadt zu brechen. In Obama reifte die Überzeugung, dass er in die Politik gehen müsse, wenn er das Los seiner Mitbürger (und dabei dachte er in erster Linie an seine schwarzen Brüder) verbessern wollte. Er bewarb sich um ein Stipendium an Amerikas führender Juristenschule an der Harvard-Universität, wo er als erster Schwarzer auf den prestigereichen Posten des Präsidenten und Chefredaktors der Fachzeitschrift Harvard Law Review gewählt wurde. Doch zeichnete er sich (wie übrigens jeweils auf dem Basketballplatz) als Schlichter zwischen Kampfhähnen aus.

Das Anwaltsstudium erwies sich als geeignetes Sprungbrett für den Einstieg in die Politik. Die Afroamerikaner Chicagos hatten Obama, obwohl er nicht aus einer typisch schwarzen Familie mit Sklavenvergangenheit stammte und obwohl sein Dialekt angelernt war, als einen der Ihren aufgenommen. Den weissen Akademikern und dem gehobenen Bürgerstand imponierten Obamas intellektuelle Geschmeidigkeit, sein angenehmes Wesen, seine guten Manieren und sein Pragmatismus. Obama besass ein sicheres Gespür für Macht und wusste, welchen politischen und gesellschaftlichen Leithammeln er sich andienen musste, um Karriere zu machen. Er heiratete die aus dem unteren schwarzen Mittelstand von Chicagos Südseite stammende Anwaltskollegin Michelle, wurde Vater zweier Töchter und etablierte sich im gemischtrassigen, eleganten Universitätsviertel Hyde Park. Dort schloss er Bekanntschaft mit dem Pädagogikprofessor Bill Ayers, der in der Zeit der Vietnamproteste die Terroristengruppe Weatherman mitgegründet und als überzeugter Kommunist seiner Bombenlegervergangenheit keineswegs abgeschworen hatte. Der aus einer schwerreichen, hochangesehenen Familie stammende Ayers engagierte den jungen schwarzen Aufsteiger Obama als Galionsfigur einer von ihm ins Leben gerufenen Stiftung (Chicago Annenberg Challenge), deren erklärter Zweck die Verbesserung des Niveaus von Chicagos öffentlichen Schulen war. Ayers - mit der Billigung Obamas - benutzte allerdings die Stiftung vornehmlich zur Subventionierung von radikalen schwarzen, räterepublikanischen und feministischen Gruppen. Die Schulen allerdings wurden dabei nicht besser.

Obama verdankt seinen raschen politischen Aufstieg nicht zuletzt auch seinen Beziehungen zu unappetitlichen Figuren wie Ayers, zu den radikalen, Hass auf Weisse und Juden predigenden, Amerika verhöhnenden Pfarrern Wright und Pfleger, zu korrupten schwarzen politischen Bossen und zu zwielichtigen Geschäftsleuten wie dem jetzt des Betrugs schuldig befundenen «Tony» Rezko. Es gehört zu den manipulativen Meisterleistungen der von David Axelrod gelenkten Präsidentschaftskampagne Obamas, dass dessen zweifelhafte Vergangenheit im politischen Sumpf von Chicago nie als Wahlkampfthema zum Tragen kam. Es genügte, dass sich Obama von diesen dubiosen Leuten mit der fadenscheinigen Begründung lossagte, sie seien nicht diejenigen, die er einst gekannt habe. Obama hatte immerhin während zwanzig Jahren regelmässig den Gottesdienst des giftspritzenden Demagogen Wright besucht und war von diesem, den er als Mentor betrachtete, getauft, verheiratet und auch politisch beraten worden. John McCain hat bewusst darauf verzichtet, Obamas Beziehung zu Wright, die von Hillary Clinton im Primärwahlkampf aufgegriffen worden war, erneut zur Diskussion zu stellen, aus Angst, schlummernde rassistische Dämonen zu wecken.

Der konservative Journalist Stanley Kurtz, der als einer von wenigen Obamas achtjährige Tätigkeit im Senat von Illinois unter die Lupe genommen hat, ist zum Schluss gekommen, dass dieser - entgegen seiner heutigen Rhetorik, in der er sich als überparteilicher Brückenbauer darstellt - konsequent eine klassisch linke Steuer- und Ausgabenpolitik und eine seine schwarzen Mitbürger begünstigende Sozialpolitik vertrat: «Grundsätzlich ist er ein staatsgläubiger [big government] Umverteiler, der den Armen und speziell den afroamerikanischen Armen helfen will. Obama will dies sowohl durch rassenspezifische Programme wie auch durch breiter abgestützte soziale Wohlfahrtsgesetzgebung tun. Mindestlohngesetze mögen ökonomisch kontraproduktiv sein und die von Obama unterstützten Sozialwohnungsexperimente mögen katastrophal geendet haben, aber Obama hat sich auf grossangelegte Staatslösungen für das Armutsproblem versteift.» Wenn Obama in dem mittlerweile fast legendären Wortwechsel mit «Joe dem Spengler» davon sprach, «den Reichtum umzuverteilen», dann ist ihm ernst damit.

Leon Wieseltier, Feuilletonredaktor der Wochenschrift New Republic, erinnert sich an Spaziergänge mit dem von den Studenten der Sechziger vergötterten, erfolglosen Präsidentschaftskandidaten Gene McCarthy im Jahre 1992. McCarthy warnte seinen Gesprächspartner, sich bei Präsidentschaftswahlen von politischen oder philosophischen Beweggründen leiten zu lassen. «Du stimmst für den Mann», meinte McCarthy, «was wichtig ist, ist der Mann.» Für McCarthy gehörte das menschliche Temperament zu den Verursachern der Geschichte: «Wenn es um den Präsidenten geht, ist Charakter Schicksal - sein Charakter, unser Schicksal.» Ich teile McCarthys Auffassung. Und ich kann auch Wieseltier nicht widersprechen, wenn er schreibt: «Obama ist ein gescheiter Mann. Er ist ein anständiger Mann. Er ist ein ungefährlicher Mann, nach Art aller Pragmatiker und Opportunisten.»

Bezüglich Temperament ist Obama gleichmütiger und ausgeglichener als der manch-mal heissspornige, emotionale Romantiker McCain. Gelassenheit kann einem amerikanischen Präsidenten nicht schaden. Was mir bei Obama hingegen zu denken gibt, ist seine Rechthaberei und gelegentliche Selbstüberschätzung. Sein Wahlkampfstratege und Freund Axelrod hat es einmal so formuliert: «Barack ist extrem intelligent, und eine der Tücken extremer Intelligenz liegt darin, dass du so gewohnt bist, recht zu haben, dass du glaubst, du habest immer recht.» Obama hat sich nie sonderlich mit Weltpolitik beschäftigt, und sein Interesse für Geschichte ist (nach allem, was über ihn zu erfahren ist) gering. Wenn dann ein gutgläubiger Präsident Obama dereinst sein eigenes begrenztes Verständnis von weltpolitischen Vorgängen mit der Realität verwechselt, könnte dies fatale Folgen haben. McCain hat Obama nicht zu Unrecht vorgeworfen, er verstehe nichts von Strategie.

Der demokratische Bewerber bildet sich viel darauf ein, dass er bereits im November 2002 vor dem Abenteuer des Irakkriegs warnte. Er tat dies an einer Demo in seinem Chicagoer Wahlkreis, in dem wahrscheinlich neunzig Prozent gegen den Krieg waren. Mut erforderte seine Stellungnahme für einen Lokalpolitiker, der noch keine nationale Aufgabe vor sich sah, keinen. Zweifel an Obamas Urteilsvermögen werden wach, wenn man sich an dessen Ablehnung der von McCain geforderten, von Bush und General Petraeus umgesetzten, als «Surge» bekannten Politik zur Bekämpfung der Aufständischen im Irak erinnert. Obama prophezeite, dass der «Surge» die religiöse Gewalt im Irak noch verschlimmern werde. Hätte Obama seinen eigenen Truppenabzugsplan im Kongress durchsetzen können, hätten bis Ende Mai dieses Jahres alle amerikanischen Kampfbrigaden den Irak verlassen müssen. Aus heutiger Sicht ist unschwer zu erahnen, dass ein überstürzter Truppenabzug den Irak ins blutige Chaos gestürzt hätte. Die Vereinigten Staaten wären wie in Vietnam als gedemütigte Verlierer abgezogen, was ihre weltpolitische Stellung auf fatale Weise geschwächt hätte.

Nachdem Obama den Erfolg des «Surge» hartnäckig abgestritten hatte, machte er Anfang September in einem Fernsehinterview eine erstaunliche und nicht eben für seine Umsicht sprechende Kehrtwendung: «Ich glaube, dass der ’Surge’ auf eine Art erfolgreich gewesen ist, die niemand vorausgesehen hat. Ich habe bereits gesagt, dass er über unsere wildesten Träume hinaus Erfolg gehabt hat.»

Von einem amerikanischen Präsidenten erwarten wir Menschenkenntnis. Da er nicht alles wissen kann, ist er auf kluge Berater angewiesen. Obamas Wahl von Joe Biden als Vize ist für mich unerklärlich. Bidens langjährige Erfahrung als Mitglied und Präsident der aussenpolitischen Kommission (das Amt verdankt er seiner Seniorität) hat den eitlen und leichtfertigen Schwätzer nicht vor gravierenden Fehleinschätzungen - er stimmte gegen den ersten Golfkrieg 1991 und plädierte für eine Dreiteilung des Iraks - geschützt.

Wäre ich Amerikaner, wären Obamas Haltung zum «Surge» und seine Wahl von Biden Gründe genug, um für McCain zu stimmen. Andererseits habe ich am Wochenende Obamas erste Autobiografie «Dreams from My Father» endlich fertig gelesen. Die Lektüre hat mich mit Bewunderung für Obamas grosse, bei einem Politiker wohl einmalige literarische Begabung erfüllt. Obamas treffliche, oft warmherzige und manchmal sanft ironische Beschreibungen von Personen, alltäglichen Ereignissen und Schicksalsschlägen verraten eine für einen kühlen Realpolitiker seltene Humanität und einen für einen Amerikaner aussergewöhnlichen Sinn für die Tragik der menschlichen Existenz.

Amerika hat mit relativ unerfahrenen, ebenso idealistischen wie ehrgeizigen Politikern unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Der politische Kleinkrämer Jimmy Carter, der «eine Regierung so gut wie das amerikanische Volk» versprach, scheiterte. John F. Kennedy hingegen, dessen Vater ihm die demokratische Nomination praktisch kaufte und der dann einen auf Unwahrheiten gestützten demagogischen Wahlkampf führte, bewies, dass er aus Präsidentenholz geschnitzt war. Wird Obama ein Carter oder ein Kennedy? Kühn, wer eine Voraussage wagt.

Samstag, 25. Oktober 2008

Wurde Jörg Haider ermordet?

Aus dem Verkehr gezogen? Diskussionen um den Tod des Kärtner Landeshauptmanns - aufgegriffen und zusammengestellt von Wolfgang Eggert, 19.10.2008 15:30

Es heisst, Jörg Haider habe auf gerader Fahrbahn die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Auf gerader Fahrbahn. Ohne daß Fußgänger, Radfahrer oder andere Kraftfahrer in der Nähe gewesen wären, denen er hätte ausweichen müssen. Das ist erstaunlich, ebenso wie die Tatsache, daß der Kärnter Landesvater offenkundig keinen Versuch unternahm, sein Fahrzeug zu stoppen. Bremsstreifen, und seien sie noch so kurz, sucht man auf den Bildern des Unfallorts vergebens:

Das Szenario erscheint umso unverständlicher, wenn man bedenkt, daß der BZÖ-Chef in einem VW Phaeton verunglückte. Das Fahrzeug gilt gerade bei Topgeschwindigkeiten als eines der sichersten Fahrzeuge weltweit. Es verfügt über Allradantrieb, ABS, ESP, ASR -hochentwickelte, »mitdenkende« Stabilitätsprogramme, die im Notfall blitzschnell reagieren und gegebenenfalls sogar einzelne Räder separat abbremsen. Und verhindern, daß das Auto ins Schleudern gerät. Bei Haider versagte diese Elektronik offenkundig vollständig. Völlig unerklärbar muß jedem VW-Werkstechniker erscheinen, wie das 2500kg schwere Gefährt durch die »Mitnahme« eines windigen Ortsschilds sowie das Touchieren einer Bordsteinkante und einer niedrigen Thujahecke in Überschlag kam, daß es sich derart zerlegte. Schon Stunden nach dem Unfall wunderte sich ein Blogger auf einer Diskussionsplattform: »Ich bin erfahrener B-Lizenzfahrer. Ich habe einige Seminare - auch bei VW - mitgemacht. Dabei wurde schon oft versucht, einen Wagen, der sogar mit den Hinterreifen auf den Grünstreifen bei über 100 km/h geriet, ins Schleudern zu bringen. Klappt normalerweise nicht. Und der Phaeton war doch wohl sicher ein 4-Motion?« War er. Das Credo von ESP und 4-Motion besteht nun genau darin, das Schleudern und Außerkontrollebringen eines Wagens zu verhindern [1]. Der Blogger »Nachdenker« fährt fort: »Sollte sich nicht herausstellen, daß der Fahrer in irgendeiner Form beeinträchtigt war (Infarkt, Substanzen o.ä.), klingt die ganze Sache doch tatsächlich merkwürdig…..« Einen Infarkt hat die Obduktion bereits ausgeschlossen. Was aber war es dann, das dem vielfach angefeindeten Rechtspopulisten zum Verhängnis wurde?

Ebenso auffallend wie unverständlich erscheinen in diesem Zusammenhang auch die vielgestalten und schwerwiegenden Verletzungen Haiders, den es im Inneren des Hochsicherheitswagens förmlich auseinandergerissen haben muß. Der linke Arm war quasi vom Körperrumpf abgetrennt. Dieses Schreckensbild steht in krassem Gegensatz zur Beschaffenheit des Unglückswagens, der gebaut ist, jedem »normalen« Unfall geradezu spielerisch zu trotzen. Der VW-Phaeton hat angeblich die stabilste Fahrgastzelle auf der ganzen Welt, zumal in der gepanzerten Variante, die Haider gefahren haben muß. In der Internetenzyklopädie Wikipedia wirbt das Wolfsburger Unternehmen mit der »höchsten je erreichten Torsionsteifigkeit einer PKW-Karosserie«. Ferner verfügt der Wagen rundum über sage und schreibe 12 (zwölf!) Airbags, welche - separat auf Gesicht, Kopf, Brustpartien ausgelegt - einen Verkehrsunfall für die Insassen zu einer regelrechten Kissenschlacht gestalten. In einem solchen Auto sollte es, zumal wenn man wie im Fall Haider angeschnallt ist, de fakto unmöglich sein, zu sterben. Warum es trotzdem anders kam und Fahrer wie Auto so erschreckend zugerichtet werden konnten, ist nun Gegenstand der laufenden Ermittlungen des VW-Konzern, der sich das Wrack von Klagenfurt nach Deutschland überstellen ließ. Dabei wird auch Beachtung auf die Frage zu legen sein, ob der Tod seinem Opfer aus einer ganz und gar unerwarteten Richtung aufgelauert haben könnte: Von INNEN, wo es dem prominenten Fahrer linksseitig die schützenden Türen wegriß (was die Armverletzungen und die Auslösung des BF-SRS ohne Fahrgast erklärt), als seien diese aus Pappe. Oder von OBEN.

In diesem Zusammenhang diskutiert das Internetportal PI-News über eine merkwürdige Delle im Dach des Haider-Fahrzeugs. In dem Gegenöffentlichkeitsforum heißt es: »Es überrascht, daß der Überschlag eines VW-Phaeton, immerhin eines der sichersten Fahrzeuge der Welt, vergleichbar mit der Mercedes S-Klasse, durch einen Überschlag auf einer Böschung, dazu bei den in einer geschlossenen Ortschaft und kurviger Straße denkbaren Geschwindigkeiten, eine solche Verformungsenergie freisetzt, wie sie auf dem ersten Bild von Jörg Haiders Fahrzeug zu erkennen ist. Tatsächlich zeigt das Bild bei genauem Hinsehen eine punktförmig konzentrierte Einwirkung, unglücklicherweise genau über dem Fahrersitz. Es handelt sich um eine etwa fußballgroße, nahezu kreisförmige Beule, die mit hoher Energie entstanden sein muß. Unterhalb dieser Einschlagstelle - und nur dort - wurde das Autodach in den Innenraum gedrückt und der Stoffhimmel aufgerissen. Dies ist zweifellos die Ursache für die beschriebenen tödlichen Verletzungen Haiders im Kopf- und Brustbereich. Die Energieeinwirkung an diesem Punkt war so groß, daß auf der Fahrerseite beide stabilen Türen herausgedrückt und die Türholme nach außen gebogen wurden. Der übrige Innenraum des Fahrzeugs weist dagegen tatsächlich kaum Beeinträchtigungen auf, gerade so, wie man es nach einem Überschlag dieser Fahrzeugklasse erwarten kann. Wer hinten oder auf dem Beifahrersitz gesessen hätte, hätte den Unfall vermutlich fast unverletzt überlebt.« Tatsächlich: Was den oder die angeblichen Überschlag/äge angeht, ist der Wagen »weiter hinten« gut in Form. Weder die Heckscheibe noch die Hinterachse und die Reifen hinten sind von dem Unfallsgeschehen merklich in Mitleidenschaft gezogen.

Soweit auf den Fotos zu erkennen, ist das rätselhafte Loch im Dach durchweg rund, kann also kaum von einer Rettungsschere der Einsatzkräfte stammen; die Feuerwehr verfügt zwar auch über hydraulische Hebelwerkzeuge, diese verursachen allerdings höchstens Dellen und werden in der Regel mit Holzklötzen unterlegt, damit sie sich nicht ins Metall bohren können. Für einen Grenzstein o.Ä., auf den das Fahrzeug beim Überschlag aufgeschlagen sein könnte, sieht das Loch dagegen zu symmetrisch aus. Auch ist auszuschließen, daß der Betonpfeiler, den Haiders Auto rammte, diese Delle verursachte, da er diesen traf, bevor sich das Auto überschlug. In der Summe bleibt der Eindruck, als wenn dort ein Gegenstand mit sehr hoher Beschleunigung und in der Form eines Ziegelsteines (aber eben aus anderem Material) eingeschlagen wäre. Die Tatsache, daß der Unglückswagen keine Bremsspur hinterließ, legt die Annahme nahe, daß die Dachverbeulung nicht im Verfolg des Unfalls auftrat sondern diesem vorausging und die Ursache - wenn nicht gar der Hauptinhalt - der Tragödie war. Ein kurzer Denkansatz: Als die RAF 1989 Alfred Herrhausen in Bad Homburg ermordete, war die fatale Wirkung nicht etwa der Sprengstoff selber, sondern eine Eisenplatte innerhalb dieses Sprengsatzes, die auf fast 40.000km/h beschleunigt wurde…. Die hob den Wagen von Herrhausen meterhoch in die Luft und zerfetze das Auto trotz Panzerung.

Die Terroristen hatten ihr Handwerk in Speziallehrgängen beim DDR-Geheimdienst Staatssicherheit gelernt. Die Ostdeutsche Schlapphuttruppe schickte ihre Verkehrs-Opfer auch auf verdeckteren Wegen in den Tod: Der hierfür gebräuchliche Fachausdruck zu Stasizeiten nannte sich »Verblenden«. Dazu baute man eine Blendanlage auf ( 2 Scheinwerfer + eine Batterie). Bei Einfahren des Zielfahrzeugs schaltete man diese mit maximaler Blendwirkung ein und erreichte so die optische Täuschung eines frontal entgegenkommenden, sehr breiten Fahrzeugs (LKW). Die typische Reaktion ist dann das Verreißen des Fahrzeugs nach rechts von der Straße weg. Das führt einerseits zum Verlassen der festen Straße und weiterhin meist zu einem mehrfachen Überschlag über die linke Wagenhälfte (Fahrerseite) mit maximalem Schadenseintritt. Ist die Gegend auch noch baumbestanden, kann man auch noch auf ein hochgeschwindiges Auftreffen der Fahrgastzelle an ihrer schwächsten Zone (Türseite) auf einen Baum hoffen, was zu einer Maximierung der Schadenswirkung führt. Dieser Coup wurde zu DDR-Zeiten vom MfS mehrfach und erfolgreich in Westdeutschland praktiziert. Als weitere oder begleitende »Unfallursachen« gebräuchlich waren Schüsse auf die Reifen, das verdeckte Verabreichung von Drogen an den Zu-Verunfallenden oder die Gasflutung der Fahrgastzelle, die den Fahrer binnen weniger Minuten in den Todesschlaf schickt. Als bekanntes Opfer der Stasi-amtlichen Unfallstatistik gilt der »republikflüchtige« Fußballspieler Lutz Eigendorf.

Heute werden bei Anschlägen und im Sicherheitsbereich sogenannte Hochleistungs-Blendlampen verwendet, die in kürzester Zeit (wenige Hundertstelsekunden) eine äußerst große Lichtmenge gerichtet abgeben, so daß der Blendeffekt auch bei Tageslicht voll wirksam ist. Die gibt es heute schon in einem recht handlichen Format. Das Opfer wird dabei für eine kurze bis mittlere Zeitspanne Zeit praktisch blind - eine äußerst gefährliche Situation: z.B. in Tunnels oder allgemein bei höheren Fahrgeschwindigkeiten. Auch im militärischen Bereich werden solche Geräte in speziellen Situationen eingesetzt. Das Wissen hierüber hat sich bis dato in mafiose und politisch extremistische Kreise hinein »demokratisiert«. Entsprechende Blaupausen finden sich sogar im Internet: Abmessung der Kurve, Positionierung und Bauanleitung der Lichtanlage die in einen Rucksack passen muss, Zeitpunkt der Blendauslösung, Positionierung von Beobachter und Blender, Spurenminimierung etc., etc. Einige linke Aktionsseiten empfehlen den Blendeinsatz als probates und vor allem spurenfreies Mittel zum Beseitigen von politischen Gegnern.
Eine geheimdienstliche Hand hätte im Fall der Klagenfurter Todesfahrt auch auf die Mikroelektronik des Unfallwagens zugegriffen. Die neuen Kfz sind durch die umfangreiche Elektronik leichter zu manipulieren, als »Oldtimer«. Bei dem elektronisch gesteuerten Lenksystem des Phaeton ist eine Manipulation durch Austausch des Steuerchips durch einen umprogrammierten vorstellbar. Durch den CAN-Feldbus sind sämtliche relevanten Sensordaten verfügbar, so daß beispielsweise eine Programmierung dahingehend aussehen kann, bei Überschreiten einer bestimmten Geschwindigkeit und Querbeschleunigung (= Kurvenfahrt), die Sensordaten von der Lenksäule falsch zu interpretieren.

Obwohl die Presse derartigen Überlegungen diametral entgegenwirkt, wird die Mordthese in Österreich bereits breiter diskutiert. Als Motiv wird auf eine zeitliche Koinzidenz verwiesen: Der Kärntner Landeshauptmann stand inmitten eines Machtpokers, der ihn wie den 2002 ermordeten niederländischen Populisten Pim Fortuyn auf den Gipfel seines Einflusses führen können hätte. Weniger als zwei Wochen zuvor hatten die in zwei Lager gespaltenen österreichischen Rechtsliberalen bei den Nationalratswahlen einen Erdrutschsieg eingefahren. Weniger als eine Woche war es her, daß die konkurrierenden Parteichefs Strache und Haider im Zuge der Regierungsbildungsgespräche wieder aufeinander zugegangen waren. Stand die Alpenrepublik vor einer freiheitlichen Koalitionsregierung und einem europäischen Schlinger- oder gar Abnabelungskurs? Fakt ist: Die den Kanzler stellenden Sozialdemokraten ließen die bestehende große Koalition nicht zuletzt dadurch platzen, indem sie einer europakritischen Volksbefragung das Wort redeten. Eine Forderung, die BZÖ-Haider und FPÖ-Strache mehr oder weniger vehement schon seit Jahren auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ein »Nein« der Österreicher und eine Wieder-Verselbständigung Wiens, auch auf dem finanziellen und börsialen Parkett (das in Österreich im Laufe der vergangenen Woche fast völlig in sich zusammenbrach), hätte weitreichendste Folgen für die Europäische Union als Ganzes gehabt. So mögen Spuren des »Autounfalls« durchaus auch nach Brüssel führen.

Übrigens: Verunfallungen dissidenter Politiker sind gar nicht so selten, wie man gemeinhin denken mag. Erst im August 2005 starb Robin Cook, britischer Außenminister der Jahre 1997-2001, während einer leichten Bergwanderung in Schottland »an Bluthochdruck«. »Beim Kollabieren infolge des Bluthochdrucks« zog sich der 59jährige Labourpolitiker außerdem einen Genickbruch zu. Cook hatte nur vier Wochen zuvor die Al Kaida als »wörtlich übersetzt ›die Datenbank‹ der CIA« bezeichnet und ihr Relevanz außerhalb des Einflusses westlicher Geheimdienste abgesprochen. (Robin Cook, The struggle against terrorism cannot be won by military means, The Guardian, 8. Juli 2005) Für eine Beteiligung an einer die Blair-Regierung ablösende Regierung unter Gordon Brown wurde der Name Robin Cook hoch gehandelt. Die sklavisch auf Staatsräson festgelegte und nicht selten von Geheimdiensten geschmierte öffentlich-rechtliche Medienmaschinerie fragte nie nach möglichen politischen Gründen, die das Genick des populären Volkstribunen gebrochen haben mögen. Nicht anders wird es im Fall Haider sein.

Tipp: Wer sich Schützenhilfe von berufener Seite gegen die absehbare Vernebelung wünscht, sollte schon mal in Leserbriefbeiträgen oder direkt bei VW per e-mail anfragen ob der Phaeton dem Stand der Sicherheitstechnik im PKW-Bau entspricht. Nichts fürchten Firmen mehr als ein schlechtes Image ihrer Produkte. Voraussehbares Ergebnis: Das Unternehmen wird seinerseits eine Öffentlichkeitskampagne starten, die von der Politik und der veröffentlichten Meinung kaum ignoriert werden kann.

Wolfgang Eggert ist Journalist und Historiker. Er verfaßte acht Bücher, die das schmutzige Wirken von Geheimdiensten und Fundamentalistengruppen thematisieren.

Homepage: www.berlin911.com
Bücher: www.chronos-medien.de

[1] https://www.volkswagen-media-services.com/medias_publish/ms/content/de/pressemitteilungen/2007/01/10/
faszination_technik.standard.gid-oeffentlichkeit.html

»Kommen Sie zuhause an«: Das Sicherheitsauto Phaeton www.volkswagen.de/vwcms_publish/etc/medialib/vwcms/virtualmaster/de/Models/Phaeton/media.Par.0033.File.pdf
Siehe auch die Aufnahme von Haider auf http://www.innenhofkultur.at/aktuell-bilder/haider-euchaoten.jpg; Untertitel: Ausgebremster Europakritiker- Jörg Haider

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Europa und seine transatlantischen Beziehungen

USA / Europa
Viel Streit um nichts

Von Peter Baldwin
Nach acht Jahren George W. Bush scheint zwischen den USA und Europa eine tiefe Kluft zu klaffen: Dort der Hegemon, verschwenderisch, rücksichtslos. Hier Europa, sozial und umweltfreundlich. Eine Studie zeigt, dass die Unterschiede in Wirklichkeit gering sind.

Wenige Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen ist es angebracht, einen Blick auf die transatlantischen Beziehungen zu werfen. Unter George W. Bush sah sich Europa veranlasst, Amerika als unilateralistischen Kraftprotz zu betrachten, der sich in aussenpolitischen Fragen wenig um die Meinung anderer schert und nicht bereit ist, sich in internationale Strukturen einzufügen. Aussenpolitische Konflikte haben die Europäer in ihrer Ansicht bestärkt, dass man nicht nur in bestimmten politischen Fragen anderer Meinung ist; Europa und Amerika, glaubte man, seien überhaupt verschiedene Gesellschaften, die immer weniger verbindet. Das transatlantische Verhältnis wird sich, unabhängig vom Ausgang der Wahlen, verbessern. Selbst McCain hat eine eher multilaterale Aussenpolitik zugesagt. Man darf also die Frage stellen, wie gross die Kluft zwischen Amerika und Europa tatsächlich ist.

Europa und Amerika sind sehr anders, jeder weiss das. Konservative Amerikaner weisen gern darauf hin, und in Europa wird diese Ansicht im gesamten politischen Spektrum vertreten. Amerika hat eine ungezügelte kapitalistische Marktwirtschaft, mit uneingeschränkter Konkurrenz, Armut, Umweltverschmutzung, Kriminalität, ist letztlich eine unsoziale Klassengesellschaft. Europa hält am Sozialstaat mit geregeltem Arbeitsmarkt und gutentwickelten Wohlfahrtssystemen fest. Die europäische Wirtschaft mag weniger dynamisch sein, aber die Gesellschaft ist solidarischer und harmonischer. Die Stimme der britischen Linken, der Guardian, bezeichnet den europäischen Weg als «soziale Marktwirtschaft», den amerikanischen Weg als «Raubtierkapitalismus».

Dass es grosse Unterschiede zwischen Europa und Amerika gibt, ist nicht neu. Sie haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich verschärft. Aussenpolitische Meinungsverschiedenheiten (Irak, Iran, Israel, Nordkorea) tragen ebenso dazu bei wie die grundsätzliche Frage, welche Rolle der einzig verbliebenen Supermacht zukommt. Letztlich aber dreht sich der Streit um die vermeintliche Andersartigkeit der beiden Gesellschaften.

Die transatlantischen Unterschiede

Dies sind die Gegensätze: Amerika glaubt an den ungehinderten Markt, Europa akzeptiert den Kapitalismus, bändigt aber dessen Exzesse. Wegen der dominierenden Stellung des Marktes wird in den USA nicht so viel Rücksicht auf die Umwelt genommen wie in Europa. Amerikaner sind konkurrenzorientiert, Europäer solidarisch. Initiative und Leistung mögen in Amerika besser belohnt werden, aber wer nicht mithalten kann, findet sich rasch ganz unten wieder. In Europa verhindern Sicherheitsnetze solches Elend, mit der Folge, dass Initiative und Enthusiasmus der Besten gebremst wird. Weil die sozialen Gegensätze in Amerika grösser sind, ist die Kriminalität ein grösseres Problem als in Europa. Wenn es in Amerika überhaupt so etwas wie Sozialpolitik gibt, so ist sie kümmerlicher als in Europa. Das Bildungswesen etwa ist schichtspezifisch organisiert und weitgehend privatisiert, in Europa ist es allgemein zugänglich und staatlich finanziert. Weil es in Amerika keine staatliche Krankenversicherung gibt, sterben die Leute früh und leben schlecht. Europäer denken säkular, bei Amerikanern spielt die Religion eine Rolle im öffentlichen Leben. Es scheint, als würden sich beide Gesellschaften grundsätzlich voneinander unterscheiden: Konkurrenz versus Kooperation, Individualismus versus Solidargemeinschaft, Autonomie versus Kohäsion.

Das alles ist bekannt. Aber stimmt es auch? Ist dies ein zutreffendes Bild der transatlantischen Unterschiede? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst untersuchen, wie breit das europäische Spektrum ist. Gibt es ein uniformes Europa, mit dem man die USA vergleichen kann? Und zweitens müssen wir untersuchen, ob sich Amerika im Rahmen dieses Spektrums bewegt oder ob es weiter vom europäischen Mittel entfernt ist als die anderen europäischen Extreme wie weit sozusagen der Apfel vom Baum gefallen ist.

Betrachten wir also einige Aspekte, bei denen nach allgemeiner Auffassung die Unterschiede zwischen Amerika und Europa besonders gross und unüberbrückbar sind. Mit Europa soll hier Westeuropa gemeint sein, also die fünfzehn EU-Staaten vor der letzten Osterweiterung plus Norwegen, Island und die Schweiz. Ich stütze mich dabei auf mein Buch «The Narcissism of Minor Differences: How America Resembles Europe», das im Herbst 2009 bei Oxford University Press erscheinen wird. Dort finden sich auch weitere Details sowie Quellenangaben.

Es heisst oft, Amerika sei eine ökonomisch ungleichere Gesellschaft als Europa, eine Gesellschaft, in der die Unterschiede zwischen Reich und Arm stärker ausgeprägt sind. Das stimmt - mit Einschränkungen. Im Durchschnitt ist Amerika reicher als die meisten europäischen Staaten. Das mittlere Einkommen ist höher als in Europa, ausgenommen Luxemburg. Mit verbreiteter Armut ist das sehr wohl kompatibel. Bei ungleicher Einkommensverteilung verschleiert ein hoher Durchschnitt extremen Reichtum und bittere Armut. Ein relativer Indikator für Armut ist die Höhe der anderen Einkommen in derselben Gesellschaft. Armut kann beispielsweise definiert werden als 60 Prozent des mittleren Einkommens. So gesehen gibt es in den USA relativ mehr Arme als in Europa, obwohl die Zahlen vergleichbar sind mit denen in Grossbritannien, Irland, Spanien und Griechenland, wo ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung arm ist.

Die Einkommensverteilung ist in den USA tatsächlich ungleicher als in Westeuropa. 1998 entfielen auf das reichste Prozent 14 Prozent des gesamten Einkommens, in Grossbritannien waren es 12,5 Prozent, in Schweden nur 6 Prozent. Anders sieht es aus bei der Konzentration von Vermögen. Im Jahr 2000 besass das reichste Prozent der Amerikaner etwa 21 Prozent des gesamten Vermögens. Einige westeuropäische Länder weisen eine höhere Konzentration auf. In der Schweiz entfielen auf das reichste Prozent 35 Prozent des gesamten Vermögens. Die entsprechende Zahl für die reichsten Schweden - obwohl ihr Land für seinen Egalitarismus bekannt ist - liegt bei 21 Prozent, was genau den amerikanischen Verhältnissen entspricht. Addiert man die erheblichen Beträge, die legal ausser Landes gebracht werden dürfen, schneiden die reichsten Schweden mit etwa 42 Prozent des gesamten Volksvermögens doppelt so gut ab wie ihre amerikanischen Kollegen.

Einkommen und Vermögen sind in Amerika sehr unterschiedlich verteilt, aber nicht sehr viel anders als in Europa. Ungleichheit ist aber nicht dasselbe wie Armut. Bedeutet eine breite Einkommensverteilung, dass viele Amerikaner arm sind? Wenn wir Armut relativ definieren, etwa als die Hälfte des mittleren Einkommens, dann wird eine komprimierte Einkommensverteilung, wie sie viele europäische Länder aufweisen, die Zahl der Armen natürlich reduzieren. Die vielen Amerikaner, die als arm gelten, mögen schlechter dran sein als diejenigen, die in der Skala etwas höher stehen, aber geht es ihnen wirklich schlecht? Nehmen wir absolute Armut (gemessen an dem Betrag, der der Hälfte des mittleren Einkommens der sechs ursprünglichen EWG-Gründungsmitglieder im Jahr 2000 entspricht), stellt man fest, dass viele westeuropäische Länder einen höheren Anteil an Armen haben als die USA. Nicht nur in den Mittelmeerländern gibt es proportional mehr Armut, auch in Grossbritannien und Irland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Finnland und Schweden.

Hohe Kindersterblichkeit

Der amerikanische Wohlfahrtsstaat wird (im Vergleich zu Europa) oft als unterentwickelt und kärglich bezeichnet. Gemessen an den Verhältnissen in Schweden oder Deutschland stimmt das auch. Wenn wir aber die europäische Sozialpolitik betrachten, so bewegen sich die USA in der unteren Hälfte des Spektrums. Zunächst einmal gibt es in Amerika keine staatliche Krankenversicherung. Fünfzehn Prozent der Bevölkerung sind nicht versichert. Das ist fraglos unfair und brutal, und es liegt auf der Hand, dass die medizinische Versorgung das dringendste Problem in der amerikanischen Innenpolitik ist. Selbst die Republikaner sehen das allmählich ein. Dennoch: Nicht versichert zu sein, ist etwas ganz anderes, als keinen Zugang zu medizinischer Versorgung zu haben. Auch wenn in einem so unvollkommenen System wie dem amerikanischen hohe Kosten anfallen und es allenthalben Lücken und Mängel gibt die Realität ist erstaunlich respektabel. Die eigentliche Schande des amerikanischen Gesundheitswesens ist die hohe Kindersterblichkeit, die höher ist als in allen europäischen Ländern. Das ist unstrittig. Auch die Lebenserwartung ist gering, aber im europäischen Massstab stehen amerikanische Männer besser oder jedenfalls nicht schlechter da als ihre Geschlechtsgenossen in Belgien, Irland, Dänemark, Portugal und Luxemburg.

Gesund und gut versorgt

Trotz des grossen Anteils der Nichtversicherten, ganz zu schweigen von dem exorbitanten Preis, den die Nation insgesamt bezahlt, sind die Amerikaner aber relativ gesund und werden medizinisch gut versorgt. Bei vielen Krankheiten liegt Amerika im europäischen Mittelfeld: Diabetes, Herz- und Kreislaufkrankheiten, Schlaganfall. Viele Krebserkrankungen sind in Amerika recht häufig. Das könnte auf einen ungesunden Lebensstil hinweisen, aber auch auf bessere Diagnosen. Was immer der Grund ist, die Sterblichkeit - die Anzahl der Personen, die tatsächlich am diagnostizierten Krebs sterben - ist bemerkenswert gering (sie bewegt sich am unteren Ende der europäischen Skala). Bei Brustkrebs verzeichnet Amerika mehr Erkrankungen als jedes westeuropäische Land, aber der Prozentsatz der Frauen, die an Brustkrebs sterben, bewegt sich in der unteren Hälfte der europäischen Skala. Ähnliches gilt für Krebserkrankungen ganz allgemein. Mehr amerikanische Männer erkranken an Krebs als europäische Männer, aber die Sterblichkeit ist vergleichsweise niedrig - nur in Finnland, Schweden, Island, Griechenland und der Schweiz liegt sie tiefer. Bei den vier Hauptkrebserkrankungen (Dickdarm-, Lungen-, Brust- und Prostatakrebs) verzeichnen alle europäischen Länder eine schlechtere Überlebensrate als Amerika. Entweder sterben die Amerikaner, bei denen Krebs diagnostiziert wurde, aufgrund anderer Ursachen, oder sie werden gut behandelt.

Auch in anderen Bereichen der Sozialpolitik bewegen sich die amerikanischen Zahlen in der unteren Hälfte der europäischen Skala. Die Arbeitslosenhilfe ist in Amerika höher als in einigen europäischen Ländern. In Griechenland, Grossbritannien, Italien und Island gibt der Staat weniger Geld (pro Kopf der Bevölkerung) für Arbeitslosenunterstützung aus. Das liegt auch daran, dass schon seit Jahren prozentual weniger Amerikaner arbeitslos sind als Europäer. Und die Arbeitslosigkeit dauert deutlich weniger lang. Amerikanische Männer sind nicht einmal ein Drittel so lange arbeitslos wie ihre Geschlechtsgenossen in der Schweiz oder in Frankreich. In Amerika wird eine höhere Invalidenrente bezogen als in Griechenland und Portugal und praktisch genau so viel wie in Frankreich, Italien, Irland und Deutschland. Für Hinterbliebenenrente wird in Amerika pro Kopf der Bevölkerung mehr ausgegeben als in allen europäischen Ländern (ausgenommen Italien, Frankreich, Belgien und Luxemburg).

In Amerika existiert keine staatliche Familienförderung. Kindergeld gibt es nicht. Rechnet man aber Steuerentlastungen für Familien, direkte Zuwendungen und Dienstleistungen hinzu und setzt sie zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ins Verhältnis, so rangieren die USA in Sachen Familienförderung noch vor Spanien, Griechenland und Italien und nur knapp hinter der Schweiz. Die staatliche Kinderförderung (Kindertagesstätten und Vorschulen) der USA bewegt sich im europäischen Mittelfeld.

Die staatlichen Renten liegen in der unteren Hälfte des europäischen Spektrums. Vergleicht man aber das verfügbare Einkommen der Senioren mit den Bezügen der Beschäftigten, so stehen Senioren nur in Österreich, Deutschland und Frankreich besser da.

Der US-Sozialhaushalt, als Anteil der Gesamtwirtschaft, entspricht knapp der europäischen Norm und rangiert noch vor Irland. Weil das amerikanische BIP aber grösser ist als in den meisten europäischen Ländern, sind die Pro-Kopf-Ausgaben grösser, als der amerikanische Rang vermuten lässt. Bei dem real aufgewendeten Pro-Kopf-Betrag rangiert Amerika im unteren Mittel des europäischen Spektrums, noch vor den meisten Mittelmeerländern und Island, in derselben Gruppe wie Grossbritannien, die Niederlande und Finnland. Die Schweden geben (nach Anteil am BIP berechnet) fast das Doppelte für den Sozialhaushalt aus wie die Amerikaner, aber die Pro-Kopf-Ausgaben in den USA liegen nur dreissig Prozent unter denen in Schweden. Ein grösserer Anteil an weniger ist eben nicht mehr.

Dieser Vergleich kann noch erweitert werden. Der US-Sozialhaushalt entspricht dem unteren Ende der europäischen Skala. Aber das ist nicht das Einzige, was den Wohlfahrtsstaat charakterisiert. Sozialpolitik ist mehr als nur das Geld, das vom Staat für diese Zwecke aufgewendet wird. Andere Umverteilungsmassnahmen sind genauso wichtig: freiwilliges Engagement, private, aber gesetzlich vorgeschriebene Leistungen sowie Steuern. Wenn man all das addiert, ist der amerikanische Wohlfahrtsstaat umfangreicher als weithin angenommen. Die Gesamtheit der sozialpolitischen Aufwendungen in Amerika bewegt sich in der Mitte des europäischen Spektrums - sechs Länder geben mehr Geld aus als die USA, sechs Länder weniger.

In Frankreich gibt es mehr Bestechung

Gewalt und Kriminalität sind in Amerika an der Tagesordnung. Erschreckend viele Morde werden verübt, pro Kopf der Bevölkerung fast doppelt so viele wie bei den nächsten Konkurrenten Schweiz, Finnland und Schweden. Das ist unstrittig. In den USA werden auch prozentual deutlich mehr Leute ins Gefängnis gesteckt. In anderer Hinsicht ist Amerika für europäische Begriffe ruhig und friedlich. Die Einbruchszahlen sind ziemlich hoch, liegen aber unter den Vergleichszahlen für Dänemark und Grossbritannien. In den USA werden weniger Diebstähle verübt als in sechs westeuropäischen Ländern, und die Zahl der Taschendiebstähle liegt nur wenig über den Vergleichszahlen für Schweden, Schottland, Finnland und Portugal. Die Zahlen für Körperverletzungen liegen im mittleren Bereich, entsprechend den Zahlen für Schweden und Belgien. Die Zahl der Vergewaltigungen ist hoch, die Zahl sexueller Übergriffe aber moderat. Nur Dänemark, Belgien und Portugal weisen hier niedrigere Zahlen auf; Österreich verzeichnet dreimal höhere Zahlen. Drogenmissbrauch ist häufig in den USA, bewegt sich aber (ausgenommen bei Cannabis, wo die Zahlen knapp über den britischen liegen) innerhalb des europäischen Spektrums.

Die Wirtschaftskriminalität liegt zwischen der Mitte und dem unterem Ende der europäischen Skala. In Frankreich gibt es sechsmal so viel Bestechungsfälle wie in Amerika. Die Zahl der korrupten Beamten entspricht derjenigen in der Schweiz und in Belgien, für Deutschland, Österreich, Dänemark, Portugal, Frankreich und Griechenland liegen die Zahlen über den amerikanischen. Die Kriminalitätsrate in den USA liegt in der Mitte der Skala. Tatsächlich verzeichnen nur relativ kleine Länder (Finnland, Österreich, die Schweiz und Portugal) eine geringere Kriminalitätsrate.

Im Bildungssektor lässt sich leichter zeigen, dass die transatlantischen Unterschiede nicht so gross sind. Es wird allgemein anerkannt, dass die akademische Ausbildung in den USA relativ gut ist, wobei die grösste Konkurrenz von den britischen Universitäten kommt. Auf die USA entfallen 40 Prozent der weltweiten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, in den USA erscheinen 63 Prozent aller wichtigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, 70 Prozent aller Nobelpreisträger arbeiten in den USA, und drei Viertel der 40 besten Universitäten weltweit befinden sich in den USA. In Amerika gibt es mehr Akademiker und Oberschulabsolventen als in jedem europäischen Land. Die amerikanischen Erwachsenen sind also besser ausgebildet als die europäischen. Man sollte auch bedenken, dass die amerikanischen Oberschulen, anders als gemeinhin angenommen, nicht schlechter sind als viele europäische. Laut Pisa-Studie 2006 rangieren amerikanische Schüler bei der Lesekompetenz in der Mitte des europäischen Spektrums, in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern in der unteren Hälfte. Europäer glauben meist, dass in Amerika gute und schlechte Schulen strikt voneinander getrennt sind. Die Zahlen besagen jedoch etwas anderes. Bei der Pisa-Studie 2003 (Mathematik) waren die Unterschiede zwischen den amerikanischen Schulen höchstens moderat. Amerika liegt in der skandinavischen oberen Hälfte des Spektrums, nicht bei den stark gegliederten Schulen in Mittel- und Südeuropa. Nach Ansicht vieler Europäer sind gute Schulen in den USA privat organisiert und nur für eine Elite da. Doch das amerikanische Schulsystem ist, wenn überhaupt, weniger privatisiert als in den meisten europäischen Ländern. Das gilt beispielsweise für amerikanische Grundschulen, wo der Anteil der Schüler, die private Einrichtungen besuchen, sich in der Mitte des europäischen Spektrums bewegt.

Was ist das Ergebnis dieses Bildungssystems? Der Anteil ungebildeter Amerikaner ist durchschnittlich. Amerikaner lesen. Es gibt mehr Zeitungen pro Kopf als irgendwo in Europa, ausgenommen Skandinavien, die Schweiz und Luxemburg. Dank einer langen Tradition von finanziell gutausgestatteten Bibliotheken hat der durchschnittliche amerikanische Leser einen besseren Zugang zu Büchern als der durchschnittliche Leser in Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Holland, Österreich und den Mittelmeerländern. Amerikaner kaufen mehr Bücher pro Kopf der Bevölkerung als die Europäer, für die Zahlen vorliegen. Sie schreiben auch mehr Bücher. Nach der Zahl der veröffentlichten Bücher pro Kopf der Bevölkerung liegen Amerikaner als Autoren am oberen Ende des europäischen Spektrums.

Weil Amerikaner als Anhänger des freien Marktes angesehen werden, gelten sie meist als grosse Umweltsünder. Die USA sind der weltweit grösste Produzent von Treibhausgasen (in jüngster Zeit sind sie von China überholt worden). Bezieht man die Zahlen aber auf die Produktion, sieht es in Amerika nicht viel anders aus als in Europa - die Zahlen liegen nur etwas über denen der unmittelbaren Konkurrenten Luxemburg und Finnland. Die USA liegen, was Erhöhung oder Reduzierung des Ausstosses von Treibhausgasen angeht, im europäischen Mittelfeld. Pro Produktionseinheit sind die CO2-Zahlen zwischen 1990 und 2002 um 17 Prozent zurückgegangen. Das ist, produktionsbezogen, eine grössere Reduzierung als in neun westeuropäischen Ländern.

Der Pro-Kopf-Benzinverbrauch in Amerika ist hoch, aber geringer als in Belgien und Luxemburg zusammengenommen und nur etwas höher als in Island und den Niederlanden. Ausgedrückt als Funktion der wirtschaftlichen Produktion, bewegt sich der amerikanische Ölverbrauch im europäischen Mittel, er liegt sogar unter den Vergleichszahlen für Portugal, Griechenland, die Benelux-Staaten und Island. Der gesamte Pro-Kopf-Energieverbrauch ist hoch, liegt aber unter den Zahlen für Island und Luxemburg und nur etwas über denen für Finnland. Bei der Erzeugung erneuerbarer Energien (Biosprit, Biomasse, Erdwärme oder Windenergie) befinden sich die USA im europäischen Mittelfeld. Und der Anteil der Sonnenenergie am gesamten Energieverbrauch liegt nur in Portugal, der Schweiz, Österreich und Griechenland höher als in den USA.

Obwohl Amerika als hypermotorisierte Nation gilt, besitzen die Amerikaner pro Kopf weniger PKWs als die Franzosen, Österreicher, Schweizer, Deutschen, Luxemburger und Italiener. Selbst die Zahl aller Strassenfahrzeuge liegt in den USA unter der von Portugal, sie entspricht derjenigen von Luxemburg, Island und Italien. Pro Kopf nutzen die Amerikaner ihre Fahrzeuge sehr viel mehr als die Europäer, etwa siebzig Prozent mehr als die Italiener. Berücksichtigt man jedoch die Grösse des Landes, ist die Nutzung nur in Finnland, Schweden und Griechenland niedriger. Und wenn man die Zahl der Autofahrten proportional zum Strassennetz berechnet, so wird in Italien und Grossbritannien mehr Auto gefahren als in Amerika.

Für Güter die Bahn

Der öffentliche Personenverkehr lässt in Amerika viel zu wünschen übrig, aber das Schienennetz ist grösser als in jedem europäischen Land, ausgenommen Finnland, Schweden und Island. Es stimmt schon, Amerikaner reisen nicht besonders gern mit der Eisenbahn. Auf den Schienen wird vor allem Fracht befördert. In Amerika wird pro Kopf mehr als dreimal so viel Bahnfracht befördert wie in Schweden, das gleich dahinter rangiert. Ökologisch ist es wenig sinnvoll, wenn Passagiere mit der Bahn reisen, während Fracht auf der Strasse befördert wird. In allen europäischen Ländern wird proportional mehr Fracht per LKW befördert als in Amerika. In Irland, dem Land das an der Spitze dieser Rangliste liegt, wird viermal so viel Fracht auf der Strasse befördert wie in den USA. Die Zahl der LKWs pro Kopf der Bevölkerung ist in Amerika niedriger als in ganz Europa - sie entspricht etwa einem Drittel der Zahl von Norwegen, Frankreich oder Österreich.

Beim U-Bahn-Verkehr in den Grossstädten liegen die USA im europäischen Mittelfeld. Die New Yorker fahren öfter (pro Kopf) mit der U-Bahn als die Leute in Athen, Berlin, London, Oslo, Brüssel und Helsinki. Die Zahl der Nutzer der Stadtbahn in Boston liegt über der vergleichbaren Zahl in Brüssel. In San Francisco und Philadelphia wird die U-Bahn stärker genutzt als in Amsterdam und Rotterdam. Die Chicagoer Metro befördert mehr Passagiere als die Hamburger U-Bahn. In Atlanta werden etwa dreimal mehr Passagiere befördert als in Glasgow, was, in Prozentzahlen ausgedrückt, etwa auf das Gleiche hinausläuft. Die Passagierzahl in Rom liegt nur ein Fünftel über derjenigen von Washington.

Amerikaner produzieren pro Kopf ziemlich viel Müll, aber die Norweger sind noch schlimmer, während Iren und Dänen fast gleichauf liegen. Doch in Sachen Abfallrecycling stehen sie genauso gut da wie Finnen und Franzosen und sogar besser als Briten, Griechen und Portugiesen. Seit 1990 ist das Müllaufkommen (pro Kopf) in Amerika kaum gestiegen, während in allen europäischen Ländern, für die Zahlen vorliegen, eine dramatische Zunahme registriert wurde - über 50 Prozent in Italien, 40 Prozent in Norwegen, 30 Prozent in Schweden.

Beim Naturschutz sieht es in Amerika gar nicht so schlecht aus, es steht prozentual etwa zweimal so viel Bodenfläche unter Naturschutz wie in Frankreich, Grossbritannien oder auch Schweden mit seinen ausgedehnten Nationalparks. In elf europäischen Staaten (von sechzehn) ist der Anteil an Nationalparks geringer als in den USA. In Amerika gibt es prozentual mehr geschützte Gewässer als in jedem europäischen Land (bis auf Dänemark). Das Ergebnis ist, dass in den USA, verglichen mit Europa, relativ wenige Tierarten bedroht sind. Nur in Irland, Grossbritannien, Finnland, Portugal und den Niederlanden gibt es (im Verhältnis zur Anzahl aller bekannten Arten) weniger bedrohte Säugetiere als in den USA.

Der Anteil landwirtschaftlich genutzter Flächen ist in Amerika niedriger als in Europa. Aber der Verbrauch von organischen Lebensmitteln entspricht dem europäischen Durchschnitt, er ist höher als in Holland, Schweden, Italien, Frankreich und Belgien. Konventionelle amerikanische Landwirte arbeiten mit weniger Düngemitteln als ihre europäischen Kollegen. Pestizide werden nur sparsam eingesetzt. Nur in Finnland, Schweden und Irland verwenden die Bauern weniger Düngemittel pro Quadratkilometer bewirtschafteter Fläche. Die Italiener verwenden mehr als siebenmal so viel. Niederländische Bauern verwenden fünfmal so viel Stickstoffdünger wie die Amerikaner. Nur die Portugiesen verwenden weniger. Nach europäischen Standards kann die US-Landwirtschaft praktisch als organisch bezeichnet werden.

Die Industrie-Emissionen (bezogen auf das BIP) sind in den USA ziemlich hoch, aber nur die Kohlenmonoxidwerte sind höher als in jedem europäischen Land. Bei flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) weisen Norwegen, Portugal und Griechenland eine schlechtere Bilanz auf, die von Spanien ist etwa gleich, dicht gefolgt von Schweden. Bei Stickstoffoxid hat Island höhere Werte, während Spanien und Griechenland knapp hinter den USA liegen. Bei Schwefeloxid stehen Griechenland, Portugal und Spanien schlechter und Island nur etwas besser da. Nach europäischem Massstab ist die Feinstaubbelastung in amerikanischen Städten mässig, und sie ist schneller gesunken als in Österreich, Norwegen, Portugal und der Schweiz.

Wenn wir uns von den harten Fakten in Wirtschaft, Sozialpolitik, Kriminalität und Umwelt den «weicheren» Themen der Zivilgesellschaft zuwenden, so ist nüchternes Quantifizieren und Vergleichen in diesem Bereich nur eingeschränkt möglich. Anhand internationaler Studien zu sozialen Einstellungen, durchgeführt vom World Values Survey und dem International Social Survey Programme, lassen sich aber einige Schlussfolgerungen ziehen.

Grosse Patrioten: Portugiesen und Iren

Amerikaner gelten als nationalistisch und religiös, Europäer dagegen als postnationalistisch und säkular. Auch an diesem Klischee sind Zweifel erlaubt. Amerikaner sind patriotisch und nationalistisch, aber nicht stärker als manche Europäer. Deutsche sind, kein Wunder, am wenigsten stolz auf ihr Land, und erstaunlicherweise sind nicht die Amerikaner die stolzesten Patrioten, sondern die Portugiesen, dicht gefolgt von den Iren. Laut einer Studie von 2007 fühlen sich mehr Italiener als andere Völker kulturell überlegen. Gemäss einer anderen Studie ist vor allem der irische Nationalstolz besonders ausgeprägt. Prozentual mehr Österreicher, Franzosen und Dänen als Amerikaner fühlen sich ihrem Land verbunden. Die Überzeugung, dass ihr Land besser sei als die meisten anderen Länder, ist unter den Amerikanern stärker als unter den Europäern. Allerdings sind prozentual mehr Portugiesen, Dänen und Spanier der Ansicht, dass die Welt besser wäre, wenn andere Völker so wären wie sie. Und der ausgeprägte amerikanische Patriotismus wird dadurch gemildert, dass prozentual mehr Amerikaner als Deutsche, Österreicher, Spanier, Franzosen, Dänen und Finnen einräumen, dass nicht alles in ihrem Land gut ist. Laut Umfragen sind Finnen (82 Prozent), Dänen (83 Prozent), Norweger (87 Prozent) und Schweden (85 Prozent) eher bereit, für ihr Land zu kämpfen, als die Amerikaner (71 Prozent). Vom Postnationalismus zumindest der Skandinavier hat man sich vielleicht ein falsches Bild gemacht. Eingeklemmt zwischen Russland und Deutschland, wissen sie den Wert einer guten Armee zu schätzen.

Selbst im Bereich der Religion sind die üblichen Klischees einer absoluten Polarität zwischen Amerika und Europa anzuzweifeln. Es gibt Gegensätze, aber sie sind weniger krass oder undifferenziert als oft angenommen. 1999 bezeichneten sich nur 1,7 Prozent der Amerikaner als Atheisten, das sind weniger als bei den Europäern, wobei die Iren und Österreicher den Amerikanern ziemlich nahe kamen. Aber in keinem europäischen Land, ausser Frankreich (mit 14,2 Prozent), gibt es mehr als 8 Prozent erklärte Atheisten. Die Amerikaner sind dem europäischen Mittelwert näher als die Franzosen. Prozentual weniger Amerikaner als Portugiesen und Italiener halten sich für religiös. Weniger Amerikaner als Iren und Portugiesen und nur etwas mehr als Italiener glauben an Gott. Mehr Amerikaner als Nordeuropäer glauben an Gott, aber die amerikanischen Zahlen sind generell vergleichbar mit denen in katholischen Ländern. Mehr Amerikaner (16,4 Prozent) als Europäer gehen mehr als einmal wöchentlich zur Kirche (Irland: 13,3 Prozent), aber die Zahl der Amerikaner, die wöchentlich in die Kirche gehen, ist deutlich geringer als die in Irland, in Portugal und Italien ist sie ungefähr gleich. Mehr Amerikaner als Europäer beten mehrmals am Tag, aber weniger Amerikaner als Portugiesen beten einmal täglich, und einmal wöchentlich beten weniger Amerikaner als Briten, Italiener, Spanier, Portugiesen und Schweizer. Bei den Leuten, die überhaupt nie beten, ist der Anteil in Amerika doppelt so gross wie in Irland.

Wenn wir von den Meinungsumfragen wegkommen und uns den realen Verhältnissen zuwenden, werden die vermeintlich dramatischen Gegensätze zwischen amerikanischer und europäischer Religiosität noch unbedeutender. Die Zahl der christlichen Gemeinden pro Kopf der Bevölkerung entspricht in den USA dem europäischen Durchschnitt, sie ist deutlich niedriger als in Griechenland und nur etwas über der Zahl in Grossbritannien. Die Zahl der Amerikaner, die religiösen Gemeinschaften angehören, wird nur noch in den Niederlanden, in Frankreich, Belgien und Luxemburg unterschritten. Das hat mit dem Charakter der nordeuropäischen Staatskirchen zu tun und den dort gegebenen Austrittsmöglichkeiten. Aber selbst verglichen mit Grossbritannien, wo das nicht gilt, gehören weniger Amerikaner einer Religionsgemeinschaft an. Amerikanische und europäische Katholiken gehen etwa gleich oft, nur Spanier und Iren gehen öfter in die Kirche.

Aus Platzgründen kann eine breite Palette von Themen nicht erwähnt werden: Arbeitszeit, Mindestlohn, Sexualpraktiken, Nobelpreisträger, Aufgaben des Staates, Bodenbesitz, Arbeitsgesetze, Restaurants mit Michelin-Sternen, Mitgliedschaft in Gewerkschaften, Heizölverbrauch, Arbeitszeit, Freizeit, Produktivität, Blutspenden, Wahlverhalten, Lebensstil, Glück, Politikerinnen, Selbstmord, Spitzenweine, Seniorenheime, Ausländerintegration, zivilgesellschaftliches Engagement, Steuerrecht, Übergewicht, Essgewohnheiten, Strassenverkehrstote, Einstellung zur Wissenschaft, seelische Gesundheit, Beamte, alleinerziehende Eltern, Glaube an ein Leben im Jenseits, Homöopathie, Preis von Opernkarten, Nachbarschaftshilfe, Waffenbesitz, Kinobesuch, Polizei, Steuerflucht, Analphabetismus, Höflichkeit, Wohnungsstandard, Fahrradfahren, Entwicklungshilfe, Reisegewohnheiten, Klavierverkäufe und manches andere.

In dieser Fülle von Indikatoren, zu denen statistische Daten vorliegen, die sinnvolle Vergleiche ermöglichen, gibt es im Grunde nur drei, bei denen Amerika sich deutlich von Europa unterscheidet: Mordrate, Zahl der Gefängnisinsassen und Waffenbesitz. Bei praktisch allen anderen Indikatoren befindet sich Amerika im europäischen Mittelfeld (in der Mehrzahl der Fälle) oder ist nicht weiter vom Mittelwert entfernt als andere europäische Ausreisser. Welche Unterschiede es zwischen Europa und Amerika geben mag - sie haben weniger mit grundsätzlichen ideologischen Differenzen zu tun, sondern mehr mit dem spezifischen und noch immer ungelösten Problem der Unterschicht in den amerikanischen Städten.

Niemand behauptet, Amerika sei Schweden. Aber auch Italien ist nicht Schweden, nicht einmal Frankreich und schon gar nicht Grossbritannien. Und seit wann ist Schweden Europa - Vermont ist ja auch nicht Amerika. Europa ist nicht nur der Kontinent und nicht nur sein nördlicher Teil. Europa ist grösser und vielschichtiger. Und mit der jüngsten Erweiterung ist Europa noch grösser und vielfältiger geworden. Die EU-Neulinge werden Europa verändern. Sie sind nicht nur ärmer als das alte Europa, sondern, wie die vielen Einwanderer aus Asien und Afrika, auch religiös, sie sind gegen einen starken Staat, sie haben eine geringe Wahlbeteiligung und sind allergisch auf hohe Steuern. Aus Sicht des alten Europas ähneln sie fast schon Amerika. Was hier in Bezug auf Westeuropa festgestellt wurde - dass die transatlantischen Unterschiede nämlich gar nicht so gross sind - wird sich zunehmend als Realität erweisen.

Peter Baldwin ist Professor für Geschichte an der University of California, Los Angeles. Er ist Autor verschiedener Bücher. Diesen Artikel hat er exklusiv für die Weltwoche verfasst. Er ist ein Ausblick auf Baldwins Buch «The Narcissism of Minor Differences. How America Resembles Europe», das im Herbst 2009 bei Oxford University Press erscheinen wird.

Dienstag, 21. Oktober 2008

Die "Federal Reserve" - die Ursache des Übels

Zum Thema »Federal Reserve«, 19.10.2008 14:45

politonline d.a. Obwohl die in dem nachfolgenden Artikel zur US- Notenbank aufgezeigten Fakten nicht etwa neu sind, sondern im Gegenteil längst Gegenstand zahlreicher Publikationen waren, ist es dennoch aus zwei Gründen angebracht, die Ausführungen von Freisleben hier zu veröffentlichen, erstens, weil sie im Zusammenhang mit der Finanzkrise mehr als wissenswert sind, zweitens, weil sie offensichtlich bei den Verantwortlichen selbst nicht den geringsten Widerhall erzeugen.

Die Geheimnisse der US-Notenbank - Von Wolfgang Freisleben, Wien
Entgegen dem allgemeinen Glauben ist die amerikanische »Zentralbank« in Wahrheit eine Geldmaschine für ein privates Bankenkartell, das um so mehr verdient, je höher die Zinsen sind. So nebenbei druckt es billig US-$-Noten und verkauft sie teuer weiter. Immer wieder steht die »Federal Reserve« beziehungsweise »amerikanische Notenbank« - gemeinhin als FED bezeichnet - im Blickpunkt, wenn die internationale Finanzwelt gespannt darauf wartet, ob sie die Zinsen verändert oder nicht.

Das Kürzel steht für »Board of Governors of the Federal Reserve System«, also die Konferenz der Gouverneure des 93 Jahre alten amerikanischen »Federal Reserve Systems«. Darunter ist nicht eine staatliche Nationalbank im herkömmlichen Sinn zu verstehen, sondern ein Zusammenschluss von zunächst 5 und heute 12 regionalen, über die USA verstreuten Privatbanken, die jeweils den Namen Federal Reserve Bank tragen dürfen und von denen nur ein kleiner Zirkel von Eingeweihten weiss, wem sie gehören. Nur eines ist sicher: Sie gehören nicht dem Staat. Dennoch üben sie die Funktion einer staatlichen Nationalbank aus. Ihre Willensbildung findet im Federal Reserve Board statt, den der Präsident nach aussen repräsentiert und dessen Sitzungen in Washington in einem eigenen, entsprechend imposant gestalteten historischen Gebäude stattfinden. Die wichtigste dieses exklusiven Zirkels von Privatbanken ist die Federal Reserve Bank of New York, die den riesigen Finanzplatz New York kontrolliert.
Privilegien für eine Geldmaschine
Dieses private Bankenkartell verfügt über unglaubliche Privilegien, von denen drei besonders hervorstechen: 1. Mit dem Drucken von amerikanischen US-Dollar-Banknoten verwandelt die FED zu minimalen Kosten wertloses Papier in US-$-Noten und leiht diese gegen Schuldverschreibungen an die USA (sowie inzwischen auch an weitere Staaten) und andere Banken aus. So hat das Kartell im Lauf seiner Geschichte aus dem Nichts Billionen von Forderungen geschaffen, für die es permanent Zinsen kassiert, was einen immerwährenden jährlichen Profit in unvorstellbaren Milliardenhöhen sichert. Dadurch muss sich so nebenbei keine amerikanische Regierung Sorgen um das Staatsdefizit machen, solange die Herren in Nadelstreifen auf der Seite der Regierung stehen und bei Bedarf - wie gegenwärtig in der Ära Bush zur Finanzierung der Kriege - jederzeit die Druckerpresse in Gang setzen. Mit dem Zinsprivileg setzt die FED die Höhe der Zinsen selber fest, und es ist einsichtig, daß sie grösstes Interesse daran hat, möglichst hohe Zinsen zu kassieren. Daher reizt sie die Zinshöhe möglichst oft bis zum äussersten aus und verursacht periodisch damit Krisen - dies ist derzeit der Fall - um danach brav als Retter in der Not aufzutreten. Mit den Zinsen wird permanent Kaufkraft von den amerikanischen Bürgern abgeschöpft und an die FED-Bankiers umverteilt: über Kreditzinsen ebenso wie über die Steuern, die als Zinsen für die riesige Staatsschuld zur FED umgeleitet werden. Mit den ständigen Zinsänderungen verändert die FED daher die Rahmenbedingungen für die grösste Volkswirtschaft der Erde und deren wichtigste Aktienbörse an der New Yorker Wall Street, die als weltweite Leitbörse Signalwirkung für die restlichen Börsen der Welt hat.

Um Bankenkrisen wieder stabilisieren zu können, verwaltet die FED Geldreserven ihrer Mitgliedsbanken (die mit 6 % pro Jahr verzinst werden), die sie dem Bankensystem bei Bedarf zur Abwehr dieser Krise wieder zur Verfügung stellt. Derzeit ist die FED darum bemüht, eine weltweite Finanzkrise im Zuge des Crashs im System der amerikanischen Immobilienfinanzierer durch wiederholte Liquiditätszufuhr an die Banken abzuwenden. Da viele US-lmmobilienbanken ihre Kreditforderungen klugerweise zu Wertpapieren gebündelt und ihre Probleme damit an Banken in Europa weitergereicht haben, kamen dadurch auch europäische Banken ins Trudeln. Doch die FED, beziehungsweise ihr früherer Präsident Alan Greenspan, hat diese Krise selber provoziert. Denn mit den raschen und geradezu dramatischen Zinssenkungen (nach bis auf 6 % völlig überzogenen Leitzinsen) und einer damit verbundenen übermässigen Liquiditätsversorgung der US-Wirtschaft, hatte Greenspan ab 3. Januar 2001 versucht, den grössten Kurssturz an den Börsen seit 50 Jahren zu stabilisieren. Per 25. Juni 2003 hatten die Leitzinsen mit 1 % ihr tiefstes Niveau erreicht, was den Banken die Möglichkeit gab, extrem niedrig verzinste Kredite zu vergeben. Dadurch wurden viele Familien in eine »Kreditfalle« gelockt und zu Hauskäufen auf Kredit animiert, die sie sich nur unter den Bedingungen der niedrigen Zinsen leisten konnten.
Krise von der FED provoziert
Ab dem Ende des Zinssenkungszyklus hatte Greenspan ein Problem provoziert, das allmählich lawinenartig immer grösser wurde. Denn ab 30. Juni 2004 erhöhte die FED bis zum 29. Juni 2006 die Leitzinsen 12 Mal um jeweils 0,25 Prozentpunkte bis auf 5,25 %. Diese sind somit jetzt um 525 % höher als vor 4 Jahren! Dementsprechend stiegen auch die Zinsen für Immobilienkredite und erreichten ein Niveau, das sich immer mehr Familien nicht mehr leisten können. Da die Sparquote in den USA derzeit negativ ist, die breite Bevölkerung also vorwiegend auf Pump lebt, und Sparbücher kaum eine Rolle spielen, weitet sich die Krise aus. Seit nun ab dem Vorjahr immer mehr Immobilienfinanzierer analog zu ihren Kunden in Zahlungsverzug bei anderen Banken gerieten und Konkurs anmeldeten, war die Krise perfekt und erreichte im August 2007 einen dramatischen Höhepunkt, den die FED und die europäische Notenbank EZB nur mehr durch mehrere Liquiditätsspritzen in das Bankensystem stabilisieren konnten. Die Liquiditätskrise der Banken hat sich natürlich sofort auf die Börsen übertragen, die generell auf die Zinsbewegungen der FED äusserst sensibel reagieren. Denn steigende Zinsen machen festverzinsliche Wertpapiere als Konkurrenz zu Aktien attraktiver, bremsen die Wirtschaft, sind daher immer Gift für die Börsen und zwingen die Aktienkurse nach unten. So begann der September 2007.

Die Motive der FED-Banken
Um Vorgangsweise und Motive der FED, die manchmal durchaus dubios erscheinen, zu verstehen, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte hilfreich. Der Vorschlag zur Etablierung einer Zentralbank stammte von dem deutschen Bankier Paul Warburg. Die durch den Bankrott der Knickerbocker Trust Co. und die bedrohliche Lage der Trust Company of America im Herbst 1907 ausgelöste schwere Finanz- und Bankenkrise riss 243 Banken in den Abgrund, weil es keine Institution gab, die ihnen temporär Geld zur Überwindung ihrer Zahlungsschwierigkeiten zur Verfügung gestellt hätte. Zufällig war diese Krise wenige Monate zuvor von dem Bankier John Pierpont Morgan in einer Rede vor der New Yorker Handelskammer angekündigt worden, verbunden mit dem Ruf nach einer Zentralbank. Die Krise eignete sich bestens zur Unterstützung dieser Forderung. Morgan sollte später bei deren Umsetzung eine wesentliche Rolle im Hintergrund spielen. Ursprünglich Teilhaber des Bankhauses Warburg in Hamburg, hatte Paul Warburg 1893 während eines Aufenthalts in der USA die Tochter von Salomon Loeb vom New Yorker Bankhaus Kuhn, Loeb & Co. geheiratet, der ihn und seinen Bruder Felix 1902 als Partner in die Bank (1977 zu Lehman Brothers fusioniert) holte. Von der Kuhn-Loeb-Bank grosszügig mit einem Jahressalär von 500 000 US-Dollar ausgestattet, war Paul Warburg nach der Bankenkrise sechs Jahre lang ausschliesslich damit beschäftigt, eine »Bankreform« mit Einrichtung einer Zentralbank nach dem Vorbild der Bank of England (die damals noch privaten Bankiers gehörte) zu propagieren und vorzubereiten. Dabei wurde er von Senator Nelson D. Aldrich unterstützt, dem Schwiegervater des ersten amerikanischen Milliardenerben John D. Rockefeller junior, der wiederum als der politische Steigbügelhalter des Bankiers J. P. Morgan im amerikanischen Kongress bekannt wurde.

Verschwörung im Jagdclub auf Jekyll-lsland
Im November 1910 begab sich schliesslich eine handverlesene Gruppe unter dem Vorwand eines Jagdausfluges in einem Eisenbahnwaggon mit zugezogenen Gardinen in den Jagdclub des Bankiers J. P. Morgan auf Jekyll-Island in Georgia. Auf diesem später als Verschwörung bezeichneten geheimen Treffen gingen Paul Warburg (als Vertreter von Kuhn-Loeb und anderen Banken) und je zwei führende Bankiers von J. P. Morgan (die auch die Interessen der Rothschild-Gruppe wahrzunehmen hatten) sowie der Rockefeller-Gruppe Senator Aldrich zur Hand, um binnen neun Tagen eine Gesetzesvorlage zu texten, die der überaus eitle Republikaner unbedingt unter seinem Namen in den Kongress einbringen wollte. Anstelle einer Zentralbank war darin aber nur von einer privaten nationalen Reserve-Gesellschaft mit mehreren über Amerika verstreuten Repräsentanzen die Rede, bei denen Geldinstitute, die sich freiwillig anschlossen, Geldreserven für Krisenfälle hinterlegen sollten. Wegen seiner bekannten Verbindungen zum Finanz- und Börsenzentrum an der New Yorker Wall Street scheiterte Aldrich, weil die Mehrheit der misstrauischen Abgeordneten darin zu Recht einen Plan sah, einem kleinen Kreis von mächtigen und untereinander verbundenen Bankiers eine dominierende Stellung und damit enorme Profitmöglichkeiten innerhalb der amerikanischen Wirtschaft zu sichern. Natürlich liessen sich die Wall Street-Haie nicht so schnell entmutigen und nützten die Präsidentschaftswahlen des Jahres 1912, um den demokratischen Kandidaten Woodrow Wilson mit üppigen Geldspenden ins Präsidentenamt zu hieven. Nach aussen gab er sich im Wahlkampf noch als Gegner des »Wall-Street-Money-Trusts« und versprach dem Volk ein Geldsystem, das frei von der Herrschaft der internationalen Bankiers der Wall Street sein sollte. Tatsächlich wurde das Zentralbank-Konzept aber von jener Gruppe eingefädelt, die ihrer Macht beraubt zu werden schien. Die Schiffs, Warburgs, Kahns, Rockefellers und Morgans hatten jedenfalls auf das richtige Pferd gesetzt. Unter dem verharmlosenden Titel «Federal Reserve Act», der angeblich den Wall-Street-Plan einer Zentralbank zunichte machte, schleusten sie die geringfügig umformulierte Gesetzesvorlage von Jekyll-Island über willige Abgeordnete der demokratischen Fraktion mit Unterstützung von Präsident Wilson am 23. Dezember 1913 zur Abstimmung in den Kongress, als viele ahnungslose Abgeordnete bereits ihren Weihnachtsurlaub angetreten hatten und kaum jemand die Gesetzesvorlage zuvor auch tatsächlich gelesen hatte.

Das gigantischste Kartell auf Erden
Die wenigen Abgeordneten, die das üble Spiel durchschauten, fanden kaum Gehör. Der Konservative Henry Cabot Lodge sen. prophezeite in weiser Voraussicht »eine gewaltige Inflation der Zahlungsmittel« und daß »die Goldwährung in einer Flut von nicht einlösbarer Papierwährung« ertrinken werde. Nach der Abstimmung sagte Charles A. Lindberg sen., der Vater des berühmten Fliegers, vor dem Kongress: »Dieses Gesetz etabliert das gigantischste Kartell auf Erden, dadurch wird die unsichtbare Regierung der Geldmacht legalisiert sein. Dies ist die verkleidete Aldrich-Gesetzesvorlage. Das neue Gesetz wird Inflation erzeugen, wann immer das Kartell die Inflation wünscht.« Lindberg sollte Recht behalten, wie sich am Beispiel des »Dollar-Privilegs« leicht erkennen lässt. Auch vor der Einrichtung des Notenbank-Systems hatten private Banken Geldscheine gedruckt. In den 1860er Jahren hatte es noch 8000 verschiedene Banknoten gegeben, die von privaten State Banks mit besonderer Genehmigung des Staates ausgegeben wurden. Ab 1880 durften noch 2000 Banken eigene Banknoten herausgeben. Ab 1914 aber war es nur mehr das privilegierte Dutzend.

Als der amerikanische Präsident Abraham Lincoln zur Finanzierung des Bürgerkriegs 1861 Geld benötigte und ihm die Kredite der Rothschild-Banken, der traditionellen Kriegs-Financiers, zu teuer waren, unterlief er das Privileg der privaten Banken und liess staatliche Dollarnoten drucken, den »Greenback«. Diese verwegene Tat sollte Lincoln nicht lange überleben. 1865 wurde er von einem Einzeltäter erschossen, der seinerseits auf der Flucht gleichfalls erschossen wurde. Lincolns Nachfolger Andrew Johnson stellte aus unerfindlichen Gründen die Banknotenproduktion ein. Der nächste Präsident, der das Geldmonopol wieder dem Staat unterordnen wollte, war John F. Kennedy. Davor war die Bank of England, die eigentlich Vorbild für die Zentralbank in den USA sein sollen hätte, bereits 1946 verstaatlicht worden.
Kennedy wollte FED entmachten
Wenige Monate vor seiner Ermordung soll John F. Kennedy laut Aussage einer Zeugin von seinem Vater Joseph Kennedy im Oval Office des Weissen Hauses angeschrieen worden sein: »Wenn du das tust, bringen sie dich um!«. Doch der Präsident liess sich von seinem Plan nicht abbringen. Am 4. Juni 1963 unterzeichnete er die »Executive Order Number 111 110«, mit der er die frühere »Executive Order Number 10289» ausser Kraft setzte, die Herstellung von Banknoten wieder in die Gewalt des Staates zurückbrachte und damit das exklusive Kartell der Privatbanken weitgehend entmachtete. Als bereits rund 4 Milliarden US-$ in kleinen Noten unter der Bezeichnung »United States Notes« der Geldzirkulation zugeführt worden waren und in der Staatsdruckerei grössere Noten auf die Auslieferungen warteten, wurde Kennedy am 22. November 1963, also 100 Jahre nach Lincoln, ebenso von einem Einzeltäter erschossen, der seinerseits gleichfalls erschossen wurde. Sein Nachfolger hiess Lyndon B. Johnson. Auch dieser stellte aus unerfindlichen Gründen die Banknotenproduktion ein. Die zwölf Federal-Reserve-Banken liessen die Kennedy-Scheine umgehend aus dem Verkehr ziehen und gegen ihr eigenes Schuldgeld austauschen.

Mit dem Monopol zur unbegrenzten Geld-Produktion verfügt das Banken-Kartell des Federal Reserve Systems über eine gigantische Geldmaschine, mit der es Jahr für Jahr prächtig verdient. Wer dahintersteht, ist ein streng gehütetes Geheimnis. Denn es muss zwischen den Eigentümerbanken und den einfachen Mitgliedsbanken, die Geldreserven einlegen, um notfalls damit wieder gerettet zu werden, unterschieden werden. Die Federal Reserve Bank of New York hat vor einigen Jahren wenigstens die Namen dieser »einfachen«, aber ansonsten rechtlosen Mitgliedsbanken veröffentlicht. Diese erhalten eine jährliche Verzinsung von 6 % auf ihre Einlagen. Doch die Höhe ihrer Anteile wird ebenso geheimgehalten wie die Eigentümer der anfangs nur drei, heute elf weiteren regionalen Federal-Reserve-Banken.
Vorwürfe nach dem Börsenkrach 1929
Den ihm angebotenen ersten Vorsitz des Federal Reserve Board lehnte Paul Warburg als eben erst (1910) eingebürgerter deutscher Jude mit unüberhörbarem deutschem Akzent knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegen Deutschland ab. Er wurde jedoch Mitglied des Aufsichtsrats sowie auch des mächtigen Council on Foreign Relations, das bis heute als Brutstätte amerikanischer Spitzenpolitiker und FED-Banker gilt. Seine jahrelange Bemühung um die Gründung des amerikanischen Notenbanksystems brachte ihm indes nicht nur Geld und Ehre in der Hochfinanz ein, sondern auch die schlimmste Erfahrung seines Lebens. Er forderte 1928 vergebens eine Beschränkung des Geldumlaufs, um die an den Goldrausch von einst erinnernde Spekulation an der Börse zu bremsen. Doch die wenigsten wollten auf ihn hören und nannten ihn Kassandra der Wall Street. Nach dem Börsenkrach im Oktober 1929 wurde er zur Zielscheibe von Leuten, die ihr Vermögen verloren hatten. Gerüchte, Broschüren und Artikel bezeichneten ihn, der versucht hatte, Finanzkatastrophen vorzubeugen, als den »unamerikanischen Urheber« der damaligen Börsenpanik. Formulierungen wie »Paul Warburg stundete mit seiner Bande das Federal Reserve System, um Amerikas Finanzen in jüdische Hand zu bringen und Amerika bis zum Zusammenbruch auszusaugen«, waren an der Tagesordnung und setzten sich in Legenden bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Verbittert über die Angriffe starb er 1932. Doch auch nach Warburg entstanden immer wieder wirtschaftliche Rezessionen und Kursstürze an der New Yorker Börse (mit gleichartigen Auswirkungen auf alle übrigen Weltbörsen), denen Zinserhöhungen des Federal Reserve Systems vorangegangen waren: 1936/1937 fielen die Aktienkurse um 50 %, 1948 um 16 %, 1953 um 13 %, 1956 um 13 %, 1957 um 19 %, 1960 um 17 %, 1966 um 25 % und 1970 um 25 %. Später folgten der Börsen-Crash im Oktober 1987, Kursstürze 1990, 1992, 1998 und zuletzt die schwere Baisse vom April 2000 bis März 2003 sowie die aktuelle Krise im August/September 2007, deren Auswirkungen ungewiss sind.

Heute wird kolportiert »aber offiziell nicht bestätigt«, daß die Rockefeller-Bankengruppe gegenwärtig 22 % der Aktien der Federal Reserve Bank of New York und 53 % der Anteile am gesamten Federal Reserve System hält. Die Bank of Japan als größter Käufer von US-Staatsanleihen hält angeblich 8 %. Den rein amerikanischen Banken insgesamt werden Anteile von 66 %, den alten europäischen Bankhäusern 26 % (darunter 10 % Rothschild-Banken) zugeschrieben.


Quellen: http://infowars.wordpress.com/ 13. 10. 2008
Zeit-Fragen Nr.1/2 vom 3.1.2008 © 2006 Genossenschaft Zeit-Fragen
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2314

Montag, 20. Oktober 2008

Jörg Haider - der Oppositionspolitiker

Jörg Haider
Tod eines Popstars

Von Christa Zöchling

Jörg Haider war der erfolgreichste Oppositionspolitiker, den das moderne Österreich je hatte. Sein Tod hat nochmals gezeigt, was er für viele Menschen bedeutete. Seine Biographin ergründet exklusiv den Aufstieg und Fall des politischen Ausnahmetalents.

Wer hätte gedacht, ein einziges Wort würde genügen? Die romantische Aufforderung "Deinetwegen" auf den Plakaten und ein paar Fernsehauftritte, viel mehr war da nicht im vergangenen Wahlkampf, um jeden zehnten Österreicher dahin zu bringen, ihm seine Stimme zu geben.

Tausendmal totgesagt ist Jörg Haider immer wieder aufgetaucht und im Windschatten seiner Wähler gross und grösser geworden. Vom alternden Dandy war zuletzt die Rede gewesen, der am Wörthersee den Operettenbuffo gibt und spätnachts auf Partys die Generation der Alkopoppers um sich schart. Doch Täuschung und Selbsttäuschung liegen in der Natur jener Bewegung, die Haider anführte. Vor 22 Jahren übernahm er am Innsbrucker Parteitag handstreichartig die Macht, auf das Schild gehoben übrigens von jenen deutschnationalen und rechten Kameraden, deren er am Ende überdrüssig wurde und die sich heute bei seinem jüngeren Wiedergänger, Heinz-Christian Strache, daheim fühlen- dem Discogeher, der sich einst im Neonazi-Milieu umgetrieben hat. Wie sich die Karrieren gleichen! Gemeinsam kamen sie bei den jüngsten Nationalratswahlen auf ein Drittel der Wählerstimmen.

Das Establishment stand dem Phänomen Haider ratlos oder mit schlechtem Gewissen gegenüber. Wie sollen auch jene, denen der Übertreiber einen Spiegel vorhielt, hineinsehen, ohne zu erschrecken? Der virilen Konkurrenz war nicht beizukommen, indem man die Person ablehnte, ihre Politik jedoch weitgehend vollzog.

Er bestimmte den Ton der Debatte

Haider bestimmte den Ton, in dem über die Verhältnisse geredet wurde. Er hatte die Lufthoheit über die Stammtische des Landes, auch über diejenigen in den "gehobenen" Kreisen. Mit der Hereinnahme seiner Partei in die Regierung im Jahr 2000 war er salonfähig geworden. Die angesehene Literaturkritikerin Sigrid Löffler erfand dafür den Begriff der "Verhaiderung" Österreichs. Er ist heute noch gültig.

Haider changierte selbst zwischen Anbiederung und Provokation. Er profitierte von der Dialektik der nützlichen Gleichzeitigkeit, sowohl verharmlost als auch dämonisiert zu werden. Wenn Haider sagte, dass er "das System für sturmreif" hält, dann sprach er vielen Menschen aus dem Herzen, die sich der vermeintlichen Willkür von Gesetzen und Vorschriften ausgeliefert sehen und die nicht wissen, wieso und warum. Und wenn er hinzufügte, es sei "nicht notwendig in diesem Lande eine Revolution zu machen", dann beruhigte er die verängstigten Gemüter.

Jörg Haider formte die FPÖ zu einer universellen Oppositionspartei und war, von Bruno Kreisky abgesehen, der erfolgreichste Politiker der Zweiten Republik. Wenn man Erfolg an der Leidenschaft misst, mit der er geliebt und gehasst wurde. ("Die Sonne ist vom Himmel gefallen", sagten seine Mitstreiter am Tag seines Todes) Und wenn man die Effektivität seines Tuns der Moral entkleidet.

Haider war ein Verführer, verspielt und schwer zu fassen, weil scheinbar jede beliebige Meinung eine Zeitlang bei ihm eine Heimat finden konnte. Ein Outlaw, der gegen die Etablierten antrat, rückwärtsgewandt und dennoch modern. Er war der erste, der Elemente des Showbusiness in der Politik etablierte.

Schon in jungen Jahren, gerade einmal 23 Jahre alt, gab er Interviews, hingefläzt auf eine Couch, eine Pfeife im Mund, ein Requisit der "politischen Imagebildung, das sich durch fernsehwirksame Darstellung noch ausbauen" lasse, wie er offen bekannte. Er posierte gern als Coverboy mit nacktem Oberköper und Starlets an seiner Seite. In seinen besten Zeiten marschierte er zu den Klängen von "Final Countdown" in die Arena, alles in Dunkel gehüllt, die Scheinwerfer allein auf ihn gerichtet. Solche Massenveranstaltungen waren - transportiert über Fernsehbilder - eine neue und starke Form der Propaganda, die seine Fans mit gesteigerten Selbstbewusstsein und einem Gefühl von Macht nach Hause entliess.

Jörg Haider hat die politische Kultur aus der Langeweile, aus einer mehr oder minder verdeckten Form der Depression wenigstens zeitweise erlöst. Seine Show wirkte euphorisierend. Er war der Komödiant, der sich in Szene setzte, seinen Spieltrieb auch gegen den Zeitgeschmack austobte, der sich daran berauschte, wenn ihm das Publikum nach anfänglichem Widerstand beinahe willenlos folgte, der ausreizte, was möglich war. Und noch darüber hinaus. Im Jahr 1991 musste Haider seinen Posten als Kärntner Landeshauptmann räumen, weil er von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" gesprochen hatte. Acht Jahre nahm er ihn unter Tränen wieder ein. Er hatte bei den Landtagswahlen 42,3 Prozent der Stimmen erreicht.

Haider arbeitete mit ziemlich banalen Strategien. Trotzdem- oder vielleicht deshalb - war er grandios in seiner Wirkung. Er schaffte es, die Politik zu einem Psychodrama, nicht zuletzt zu seinem eigenen zu machen, ein Phänomen der Massenkultur.

Haider holte die Politik auf die Schaubühne zurück, in einer Stadt, in der die Verkehrung von Sein und Schein zur Tradition gehört. "Nur in Wien, wo alles Politische zum reinen Theater geworden war, konnte das Theater sich wirklich an die Stelle aller Realitäten setzen" schrieb Hannah Arendt über "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" in ihrem Standardwerk aus den 50er Jahren.

Als stünde er in Brechtscher Tradition, zwinkerte Jörg Haider seinem Publikum dann und wann zu, daran erinnernd, dass doch alles Theater sei und die Zuschauer nicht so dumm, das Ganze ernst zu nehmen.

Hervorragender Nestroy-Schauspieler

Haider wollte, in seiner Pubertät, Schauspieler werden. Er hatte im Schülertheater Szenenapplaus bekommen. In den Nestroy-Rollen soll er so gut gewesen sein, erzählen ehemalige Klassenkameraden, dass er selbst jene faszinierte, mit denen er heillos zerstritten war. Seine Wirkung entsprang, wie in jedem Theater, nicht einem gemeinsamen, rationalen Interesse des Publikums. Der Mission von der Bewahrung einer ethnisch reinen Bevölkerung, von der schon die Nationalsozialisten träumten, ist Haider bis zuletzt treu geblieben.

Als 16-Jähriger hatte er unter tosendem Applaus mehrerer Hundertschaften von Turnern die "Mischungen von Völkern und Rassen", die er vor allem im Kärntner Grenzland, in Wien und in den niederösterreichischen Industriegebieten für zahlenmässig relevant hielt, angeprangert. "Wenn die Politik nicht auf ethnischen Prinzipien aufgebaut ist, dann hat die Menschheit überhaupt keine Zukunft mehr", sagte er in den 90er Jahren.

Als Erbe des Kärntner Bärentales, ehemals in jüdischem Besitz, der mit dem Geld seines Onkels 1939 "entjudet" worden war unter der Auflage, in diesem südlichen Teil Kärntens "das Deutschtum hochzuhalten" entsprach er dem Auftrag und beugte den Rechtsstaat, um keine weiteren zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten aufstellen zu müssen. In den letzten Tagen seines Lebens liess er Asylwerber, die Straftaten verdächtigt waren, auf der einsamen Kärntner Saualpe auf 1200 Meter Höhe in eine Sonderstrafanstalt transportieren. Unter dem Beifall der Kärntner Sozialdemokratie.

Haider war ein Abbild, ein Inbild gesellschaftlicher Sehnsüchte und Erwartungen, die nicht zufällig zeitgleich mit der Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten in den achtziger Jahren in österreichischen Politik Konturen bekamen. Während Waldheim, der alte Mann, hilflos von "Pflichterfüllung" sprach, als es um seine, in den Nationalsozialismus verstrickten Kriegsjahre ging, hob Haider den Teppich, unter den das alles jahrzehntelang gekehrt worden war. Er behauptete, dass sich niemand dafür genieren müsse. Die Nachgeborenen schon gar nicht. Und die Kriegsgeneration auch nicht. Eigentlich niemand. Unter Haiders Schutzherrschaft durfte fortan das kollektive schlechte Gewissen zu den Akten gelegt werden.

Kein Mensch lebt ein Leben nach einem einzigen Gesetz oder einem allumfassenden Prinzip. Wenn man will, kann man jedoch einen roten Faden in Haiders persönlicher und politischer Entwicklung entdecken, ein Segment, das hypertroph geworden ist und das den grossen Rest hat absterben lassen. Eine Charaktereigenschaft, die all das, was er tat, bis in Kleinste kennzeichnete. Es war der kindische und potentiell gefährliche Drang, immer und überall Erster, der Beste zu sein, mehr geliebt und mehr gefürchtet zu werden als andere. So musste er fortwährend gegen Widerstände anrennen.

Keiner seiner Parteigenossen, die eine Zeitlang in der öffentlichen Anerkennung gleich wichtig waren, hat an seiner Seite politisch überlebt. Keiner durfte es wagen, seine führende Position in Zweifel zu ziehen. Jeder, der ihn einmal weinend, jammernd und depressiv gesehen hat, lief Gefahr, in einem dafür günstigen Augenblick abgeschoben zu werden.

In der politischen Sphäre war es der Widerstand gegen den Staat und all das, was er in der Zweiten Republik Österreich (re)präsentiert. Doch Haiders Kritik an den Verhältnissen ist im Grunde diffus geblieben. Er prangerte Verbände und Institutionen, Proporz und Privilegien, die Nutzniesser und deren Gehälter an. Als seine eigene Partei an der Macht kam, lief die propagierte Erneuerung darauf hinaus, dass sich auch noch die Haider-Partei in das alte Proporzsystem hineinzwängte.

Der Hauptvorwurf, der gegen Haider immer wieder erhoben wird, ist der des Rechtsextremismus oder der zynischen Instrumentalisierung dieser Haltung zum Zwecke der Provokation. Haider entstammte einem nationalsozialistischen Elternhaus. Von daher rührte Haiders beständiger, ins Ohr schleichender Unterschleif des nationalsozialistischen Worttums. Sein Lob für SS-Veteranen als "anständige Menschen mit Charakter, die trotz des Gegenwindes ihrer Überzeugung treu geblieben sind", die Rede von den "Straflagern" des Nationalsozialismus, sein Kampf gegen "Überfremdung".

Neben dem tiefen Verständnis für die sozialen Gründe der Hitler-Bewegung pflegte man im Hause Haider vor allem das Ressentiment gegen die Ehemaligen, die in einer der beiden Staatsparteien Unterschlupf gefunden hatten. Sie galten als Verräter. "Diejenigen, die früher hochrangige Nazis waren, waren nach dem Krieg auf einmal die grössten Widerstandskämpfer und haben auf die hinunter getreten, die im Prinzip, so wie meine Eltern, nicht zur Führungselite des Nationalsozialismus gehört haben", klagte Haider in einem Gespräch mit der Autorin.

Ein Teil seines Erfolgs ist seinen unterschwelligen homoerotischen Signalen geschuldet. Immer wieder tauchten sogenannte Mitwisser auf, die bestätigten wollten, dass Haider schwul sei. Ging man der vermeintlichen Zeugenschaft auf den Grund, verlor sich die Spur im Nichts. Es handelte sich um eine kollektive Phantasie, gereizt durch den Stil seines Auftretens und den Umgang mit seinen Bewunderern. Haiders Erfolgsjahre waren von einer sogenannten Bubenpartie begleitet: junge Männer, beeindruckt vom Erfolg und stark in der Gruppe, die auf Tennisplätzen, beim Wasserschifahren, oder in schicken Bars am Wörthersee aufgelesen wurden. Wo immer Haider auftrat, war er in wechselnder Besetzung von Angehörigen dieser Gruppe umgeben. Sie waren die Pin-ups der Haider-Partei, seine treuesten Wegbegleiter, die wie Trabanten um ihren Stern kreisten, immer genau darauf achtend, wer gerade in einer nähere Umlaufbahn wechselt. Bis der eine oder andere hinausgekickt wurde.

Haider war sich früh bewusst, worauf sein Leben in der Politik hinauslief. "Mir wird eiskalt, wenn ich daran denke, dass man wie ein Frosch auf einer Sprossenleiter sein ganzes Leben lang nur schaut, wie man die Sprossenleiter hinaufkommt. Dann sagst vielleicht einmal: Du bist ein Narr gewesen", reflektierte er am Beginn seiner Karriere vor 28 Jahren.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Wie weiter in der Finanzkrise?

Ursache analysieren, Auswege suchen
von Francis Gut und Dr. Vera Ziroff Gut

Für eine breitere Öffentlichkeit hat die derzeitige Finanzkrise zwei Gesichter: den Einbruch der Immobilienpreise in den Vereinigten Staaten und seine Folgen einerseits, den internationalen Börsenkrach andererseits. Auch wenn diese Ereignisse scheinbar Anfang und Ende einer Kette darstellen, sind damit das Ausmass der Krise und deren Ursachen noch nicht erklärt. Nun könnte man sagen: Zyklen am amerikanischen Immobilienmarkt und Krach an der Aktienbörse haben keinen Seltenheitswert. Die Rahmenbedingungen dieser Ereignisse müssen aber erörtert werden, um ihre Tragweite beurteilen und die richtigen Korrekturen vornehmen zu können. Um die Debatte zu erweitern, wird ein lesenswerter Artikel von Michel Chossudovsky1 beigezogen.

Seit Beginn der Globalisierung und mit fortschreitender Konzentration des Kapitals spielen die Hedge Fonds, die keiner Regulierung ausgesetzt sind, eine wichtige Rolle. Sie übernehmen Firmen, gleichgültig ob sich diese Firmen in Schwierigkeiten befinden oder gut geführt sind, und haben keine Angst vor einer Hebelwirkung (tiefes Verhältnis Eigenmittel/Gesamtbilanz; zum Beispiel wird mit relativ wenig Kapital ein gut geführtes Unternehmen übernommen, seine besten Teile werden abgetrennt und mit sattem Gewinn verkauft).

Leerverkäufe und Derivate-Politik
In ihrer Anlagepolitik wetten die Hedge Fonds sowohl auf Gewinne wie auf Verluste der Zielgesellschaften, so dass sie mit Leerverkäufen sehr vertraut sind (Verkauf von Werten wie Aktien auf Termin, obwohl der Verkäufer beim Abschluss des Vertrags die Aktien nicht besitzt; zum Beispiel Abschluss eines Terminverkaufs per Ende Juni 2009 auf CHF 100.- mit der Hoffnung, dass der Kurs inzwischen auf CHF 80.- sinkt; wenn die Wette klappt, kauft man die Aktien damit billiger, als sie Ende Juni 2009 verkauft werden). Durch die geschickte Kombination von Gerüchten und Leerverkäufen kann der Börsenwert einer Grossbank so gesenkt werden, dass sie billig übernommen werden kann. Mehrere der grossen Investmentbanken, die kürzlich in Schwierigkeiten geraten sind, waren Opfer von Leerverkäufen. So erfuhr die Wertpapieraufsicht SEC, dass zum Beispiel der Kollaps von Bear Sterns im März einer Kombination von Leerverkäufen und falschen Gerüchten zuzuschreiben war. Laut «Financial Times» vom 17. September schrieb auch John Mack, CEO von Morgan Stanley, in einem an einige seiner Angestellten geschickten Memo: «Was ist los hier? Für mich ist es ganz klar – wir sind in einem von Angst und Gerücht beherrschten Markt, wo Leute, die Titel leer verkaufen, den Kurs unserer Aktie belasten.»

Kriegskosten
Eine weitere Ursache der Krise bilden natürlich die Kriegsausgaben. Sie betragen USD 500 Mia. pro Jahr, Kosten der ersten Monate der zukünftigen Administration in Höhe von USD 70 Mia. nicht inbegriffen. Es ist weltweit der höchste Kriegsaufwand seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Ausgaben werden aus Steuergeldern finanziert und gehen selbstverständlich zu Lasten der Ausgaben für die zivile Bevölkerung, zu Lasten der Sozial- und Bildungsausgaben.

Dollarwillkür
Die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) tragen zur Krise bei, indem sie die Entwicklungsländer – deren Wirtschaft gegen den Wettbewerb mit dem Ausland geschützt werden sollte – zwingen, ihre Märkte zu öffnen.
Noch wichtiger war die Verwandlung des internationalen Gold/Dollar-Systems in ein System flexibler Wechselkurse, die 1971 erfolgte. Damals lehnten plötzlich die Vereinigten Staaten ab, die Dollars, die dem Federal Reserve System eingereicht wurden, gegen Gold einzutauschen. Das daraus folgende System flexibler Wechselkurse, das nur auf dem Dollar beruht, das heisst auf einer Währung, deren Wert nur durch die Streitkräfte dieses Landes erzwungen wird, bedeutet reine Willkür. In diesem System kann der Betrag der Geldmenge eines Landes beliebig hoch werden, bis eine Hyperinflation an die Wirklichkeit erinnert.

Deregulierung: die Entmachtung des Staates zugunsten der Finanzkonzerne
Diese Veränderung stellt eine Deregulierung des internationalen Währungsmarktes dar, die uns zur Hauptursache der Krise führt: der allgemeinen Deregulierung der Märkte. Wenn diese nach dem Zweiten Weltkrieg unter der ideologischen Leitung der OECD und dank dem GATT-Abkommen in der Realwirtschaft anfing, so wurde diese Bewegung in der Finanzwirtschaft unter Reagan durch den Börsenkrach von 1987 beschleunigt. Damals bat die Wall Street das Finanzministerium und den Kongress, sich freundlicherweise abseits zu halten, das heisst, Finanzministerium und Kongress wurden entmachtet. Die Zeit der «Selbstregulierung» war gekommen: Die Vorschriften des Gesetzgebers wurden durch eigene, von Natur aus schwächere Regelungen ersetzt. Dies förderte die Entstehung grosser Finanzkonzerne.

Unkontrollierte Bankriesen
Zur Wirtschaftskonzentration trug auch die Abschaffung der Trennung zwischen Bankentypen bei. Nach der grossen Wirtschaftskrise von 1929 hatte Franklin D. Roosevelt durch den Kongress das Glass-Steagall-Gesetz bewilligen lassen, das Investment Banking (Wertschriften- und Währungsgeschäft sowie weitere Kapitalanlagen für institutionelle Kunden – Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen usw.) vom Retail Banking (weitere Geschäfte, insbesondere Kreditgeschäfte) trennte. Damit wollte man Finanzmanipulationen und Insidergeschäfte verhindern, mit denen sich Bankiers auch auf Kosten ihrer Kunden sanierten. In den letzten Jahrzehnten haben die Banken diese Gesetzgebung mit dem Segen der US-Regierung mehr und mehr ignoriert. Schliesslich wurde sie 1999 durch das Financial Services Modernisation-Gesetz abgeschafft. Darüber hinaus wurden unter der Leitung der Wall Street internationale Bündnisse abgeschlossen, die zur Bildung weiterer Bankenkonzerne führten.
Die Wall-Street-Riesen wurden so mächtig, dass sie jede Kontrolle weitgehend verhindern konnten und nur ihrer eigenen Regulierung folgten. Im Ausland profitierten sie von ähnlichen Gesetzgebungen. Die WTO- und IWF-Abkommen öffneten ihnen die Türen zu den Entwicklungsländern.

Insider-Informationsmanipulationen: ein Milliardengeschäft für wenige
Chossudovsky sieht die Macht der Wall-Street-Riesen vor allem in ihrer frühzeitigen Information, ihrer Insider-Information, ihrer Fähigkeit zu manipulieren und Ergebnisse vorauszusehen, ihrer Fähigkeit, falsche Informationen zur Wirtschaft und zu Markttendenzen zu verbreiten, kurz, in ihrer Fähigkeit irrezuführen. Kein Wunder, dass die CIA dabei eine grosse Rolle spielt.
Das «Notgesetz zur Wirtschaftsstabilisierung», der sogenannte Auffangfonds, den die Bush-Regierung zur Lösung der Krise jetzt verabschiedet hat, ist dabei nur eine Verlängerung des gleichen schmutzigen Spiels: Man bittet die übriggebliebenen Finanzgesellschaften (Grossbanken, Versicherungsgesellschaften usw.), sich noch einmal zu bedienen. Die Gewinner der Krise sind die Bank of America, JP Morgan Chase (Rockefeller), die Federal Reserve Bank of New York, diese nicht zuletzt dank ihrer Insider-Information, sowie alle Spekulanten, die von Insider-Informationen, insbesondere am Schwarzen Montag (29. September, Kurseinbruch) und am folgenden Tag (Kurserholung), profitierten. Einige Analysten-Stimmen behaupten, die Gewinner haben die Krise bewusst ausgelöst, um noch mehr zu verdienen, noch mehr Macht zu konzentrieren. Andere sagen sogar, die Bush-Regierung will damit den politischen Feind (Russland und China, die umfangreiche amerikanische Staatsobligationen besitzen) schwächen.

Chancen für einen echten neuen Anfang
Auch die Verlierer kennen wir: die Angestellten der bankrotten Banken und Versicherungsgesellschaften, deren Kader sich nicht selten goldene Fallschirme versprechen liessen, die Hauseigentümer, deren Häuser von den Gläubigerbanken übernommen wurden und die jetzt in Wohnwagen und Zelten vor den Städten leben, die Arbeitnehmer, die auf Grund der Krise entlassen wurden und zum Teil bereits heute am Hinterausgang der Supermärkte nach Essbarem suchen, und die Steuerzahler, die durch die kommende Rezession noch mehr belastet werden.
Auch wenn einzelne europäische und amerikanische Politiker heute nach mehr Regulierung auf den Finanzmärkten rufen, ja sogar nach einer Abkehr von Deregulierung und Wirtschaftskonzentration, so bleibt es in einem ersten Schritt Aufgabe des Bürgers, dies mit Nachdruck zu verlangen. Darüber hinaus muss in Europa jeder Versuchsballon, einen 300-Milliarden-Euro-Auffangfonds «à l’américaine» zu kreieren, wie ihn Frankreichs Bush-Marionette Sarkozy losgelassen hat, heruntergeholt werden. In einem zweiten Schritt müssen die Bürger, muss der Souverän erörtern, welches bürgernahe Geld- und Währungssystem das gegenwärtige ersetzen könnte.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden im deutschen Sprachraum mehrere Modelle für ein Geld- und Kreditsystem erprobt (z.B. WIR-Geld, Chiemgauer, Schwundgeld, Freigeld, genossenschaftliche Modelle), die sich lohnen, für einen Neuanfang überprüft zu werden. Wesentlich ist dabei, Lösungen mit kleinräumigen, kontrollierbaren und unabhängigen Einheiten zu berücksichtigen. •